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Wednesday, April 9, 2014

A CHILD'S STORY/ Kindergeschichte

. In »Kindergeschichte« erzählt Peter Handke die ersten zehn Jahre im Leben eines Kindes und die Geschichte der ihm zugehörigen Erwachsenen. Weit entfernt von jeder Verharmlosung, aber auch aller pädagogischenIntention, nimmt der Erzähler dem Kind (und den Kindern) gegenüber die Haltung eines Geschichtsschreibersein.

http://handkeonline.onb.ac.at/search/node/Kindergeschichte


Diese Erzählung ist ohne Frage erzählerisch, stilistisch und vom Inhalt her ein kleines Meisterwerk. Peter Handke erzählt die Geschichte eines Kindes und die Geschichte des dazugehörigen Erwachsenen – von der Geburt des Kindes bis hin zu dessen 10. Lebensjahr. 

Diese Erzählung ist von einer fast schon unglaublichen Intensität. Hier schreibt jemand, der wirklich schreiben kann – der einen eigenen, ganz besonderen Schreibstil pflegt. 
Jeder Satz ist eine kleine Kostbarkeit.
Und als Leser ist man versucht, jeden Satz mindestens zweimal zu lesen – denn hier spielt jemand perfekt mit Worten und mit der Sprache. 

DIE ZEIT schrieb über dieses Buch:
„Handkes „Kindergeschichte“ ist nicht nur das feierlichste Kinderbuch seit Menschengedenken, sondern auch das wahrhaftigste.“.
Dem ist wirklich kaum etwas hinzuzufügen.

Auf lediglich 113 Seiten entfaltet die zeitgenössische Literatur ihre ganze sprachliche Schönheit und Faszination. 

Eine sehr lesenswerte Erzählung, empathisch, manchmal melancholisch, sogar etwas traurig, dazu dann wieder der verhaltene Optimismus. 

9 Eulenpunkte für ein echtes literarisches Meisterwerk. 


http://www.buechereule.de/wbb2/thread.php?threadid=88673


The opening here:
http://www.beck-shop.de/fachbuch/leseprobe/9783518423196_Excerpt_001.pdf

Christian Schultz-Gerstein über Peter Handke: Kindergeschichte

Von Schultz-Gerstein, Christian.
Kranzschleifen für das Leben
Auch in dem neuen Buch von Peter Handke geht es wieder um Wesentliches, der Autor ringt um "tiefgreifende Erleuchtung", um "Zusammenschau", er arbeitet, schlicht gesagt, "an dem Geheimnis der Welt".
Diesmal ist es nicht, wie in Handkes vorigem Buch "Die Lehre der Sainte-Victoire", ein Berg, der ihm den Weg ins Weltinnere weist; diesmal ist es zur Abwechslung ein Kind, das ihm zum "Wahrheitsmaß" wird. Im nächsten Buch mag es ein steinalter Baum sein, im übernächsten vielleicht ein Brunnen, der ihn ins ewige Gesetz einweiht.
Denn wer sich -- wie Handke -den totalitären Größenordnungen im Welt-, Menschheits- oder Wahrheitsmaßstab verschreibt, dem können unterschiedene Einzelheiten nur gleichgültig sein.
So kommt dann auch das Kind in Handkes Buch nur als beliebiges Geschöpf in Betracht, das für den Ehrgeiz des Autors herhalten muß, sich in die Ewigkeit einzuschreiben.
Dieses Kind, mit dem die Hauptfigur -- Handke nennt sie "der Erwachsene", "der Mann" oder "der Verantwortliche" -- allein zusammenlebt, dieses Kind ist weder dick noch dünn, es macht nicht in die Windeln, die auch folglich niemand wechseln muß, es hat kein Spielzeug, also auch kein Lieblingsspielzeug, es verletzt sich nicht, es drückt an keinen Lichtschaltern herum und triumphiert nicht, als hätte es gerade die Glühbirne erfunden, wenn die dann brennt.
Das Kind in Handkes Geschichte ist einfach nur dadurch ein Kind, daß der Autor es behauptet.
Aber gerade weil die alltägliche Existenz dieses unbekannten Wesens bedeutungslos und daher unbeschrieben bleibt, weil dieses Geschöpf nicht zu fassen ist, wirkt die ständige Fassungslosigkeit des Erwachsenen gegenüber dem Kind wie tiefinniges Verständnis, und tatsächlich heißt es auch, "daß die beiden dort, ein für alle Male, eine verschworene Gruppe bilden".
Doch diese Intim-Verschwörung des Vaters mit der Tochter, "das Geheimnis zwischen ihm und dem Kind", von dem Handke raunt, entpuppt sich sehr schnell als etwas ganz Landläufiges, nämlich als die Kindertümelei Erwachsener, die sich von all den "unwichtigen" Lebensäußerungen der Kinder in ihrer Wichtigkeit derart bedroht fühlen, daß sie gleich einen Mythos aus ihnen machen.
Da sieht dann also Handkes Erwachsener dem Kind nicht ins, sondern hinters Gesicht, wo er der eigenen Bedeutsamkeit Angemessenes gewahrt, nämlich "das erleuchtete allwissende Antlitz".
Wenn das Kind den Mann anblickt, dann blickt es ihn gar nicht an, denn der Mann ist ein faustischer Mensch, der an seine "Bestimmung" und an "das Große, das ihm vorschwebte", zu denken hat.
So einer, der gelegentlich auch im "Bewußtsein" lebt, "gerade im Mittelpunkt eines Weltgeschehens zu sein", so einer erträgt keinen bedeutungslosen Kinderblick, sondern "er empfängt aus den ruhigen, alterslosen Augen kurz" -- und? -- "und für immer den Freundschaftsblick". (Da der für immer ist, kann er zu den Akten gelegt werden und wird er auch: als "etwas" -der Freundschaftsblick, wie gesagt -als "etwas zum Beiseitegehen und Weinen".)
Und nicht einmal schlafen kann das Kind, ohne von den höheren Ansprüchen des Erwachsenen behelligt zu werden, der "an den Linien des schlafenden Kindes" die "Gewißheit" abliest, "daß für seinesgleichen seit je jene andere Weltgeschichte galt", jene andere, an der uns Nichtswürdige der Arbeiter am Weltgeheimnis nicht teilhaben läßt.
Damit all die Geheimnisse zwischen Kind und Erwachsenem, zwischen Erwachsenem und Weltgeschichte nicht gelüftet werden und jemandem womöglich sehr bekannt vorkommen, aus kirchlichen Groschenheften vielleicht oder aus Weihnachtsansprachen von Staatsoberhäuptern, sperrt Handke die Restwelt aus seinem Buch nachdrücklich aus.
Ein geistig lebensuntüchtiges, geheimnisunfähiges Gewimmel von "Wurstmenschen" und "Wirklichkeitlern" erblickt der Mann aus seiner Loge "in der Nacht des Jahrhunderts und in der leeren Grufthalle des Kontinents": da draußen nichts als "sinnlose Existenzen", "fern von der Schöpfung, schon lange tot", lauter "Ahnungslose", die "das Lügenleben der 'modernen Zeit'" bevölkern und dafür von Handke mit Gesundheit gestraft werden, jenem Indiz, das den Sensiblen aus der Fraktion "Genie und Krankheit" als untrügliches Zeichen für Durchschnitt und Minderwertigkeit gilt.
Da in solcher Welt für Handkes Erwachsenen kein Stoff zu holen ist für das "Große", das ihm vorschwebt, muß immer wieder das Kind den poetischen Karren weiterziehen und etwa einen "Anblick" bieten, den der Mann mit einem "für das Weitere beflügelnd" quittieren kann, um dann wieder seiner "Bestimmung" nachzugehen.
Dieser nicht näher bezeichneten "Bestimmung", hinter der man freilich unschwer den Willen der Vorsehung erkennt, den Erwachsenen zum Goethe-Nachfolger zu ernennen, dieser Bestimmung opfert Handke auch jene wenigen Erfahrungen, die das Buch tatsächlich zu einer Geschichte hätten machen können und nicht zu dem in priesterlichem Amtsdeutsch verfaßten Zertifikat für ewige Dichtung, das die "Kindergeschichte" geworden ist.
In diesen wenigen Passagen ist der Erwachsene "bloß noch gelangweilt", fühlt sich "zu Hause gefangen" mit dem sinnlos lallenden Säugling, neben dem er stumpf die Zeit absitzt. Als "brutales und sinnloses Verhängnis" erfährt er die "im Kinderzeitrhythmus ablaufende Tagtäglichkeit", und den böse dahockenden Mann treibt nur S.230 noch eins, die "Gier, hinweg ins Freie zu kommen".
Und wie sonst nirgendwo in diesem Buch leben das Kind und der Erwachsene, werden zu verstrickten Personen, statt nur ideologische Schemen zu sein, wo Handke nicht verschmäht mitzuteilen: "Der Erwachsene dachte auf den stundenlangen Kreisen, mit denen er nachts das weinende Kind durch die Wohnung schob, nur noch phantasielos, daß das Leben nun für lange Zeit aus sei."
Der Liebehaß zu dem ebenso unschuldigen wie alle Lebensaussichten versperrenden Kind kulminiert endlich in einem hilflosen Gewaltausbruch des Erwachsenen, der das schreiende Kind zusammenschlägt mit einem Schlag "so stark", daß es "daran auch hätte sterben können".
Aber mit dieser Tat bricht nach etwa einem Drittel des Buches die Geschichte ab, der Erwachsene übt Reue im Kranzschleifen-Pathos und geht wieder zur Tagesordnung seiner Bestimmung über, von der entseelt der Erwachsene das zusammengeschlagene Kind binnen weniger Seiten aus den Augen verliert und nur noch als dienstfertigen Lieferanten von "Trauer" im Kopf hat, jenem für höchste Dichtkunst unentbehrlichen Seelenstoff, durch den "die Augen umfassend magnetisch werden", so magnetisch, daß sie nichts mehr sehen und unwiderstehlich von einer Phraseologie angezogen werden, in der es schon als Arbeit am Weltgeheimnis gilt, wenn man statt Paris "die ferne Weltstadt" sagt.
Aber daß, wer nichts beim Namen nennt, alles sagt, in dieser Überzeugung sollte Handke doch lieber nicht mit Pfarrer Sommerauer wetteifern. Sonst hat er bald nur noch Leser wie den "Zeit"-Kritiker Henrichs, der zum tieferen Handke-Verständnis empfiehlt, daß man bei der Lektüre "nicht immer wieder zweifelt".
DER SPIEGEL 11/1981
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Peter Handke Kindergeschichte



Peter Handke: "Kindergeschichte"
"Der Gedanke an ein Kind war so selbstverständlich " Irgendwie streben wir alle danach eine Familie zu gründen. Doch leider gibt es immer mehr Scheidungen und Leute die meinen, dass die Karriere wichtiger ist als ein Kind aufzuziehen. Dabei sagt man, dass die Geburt das größte Wunder auf der Welt ist. Das hat auch Peter Handke erfahren und schreibt in seinem Buch "Kindergeschichte" darüber:
Alles beginnt damit, dass er zu spät zur Geburt seiner Tochter kommt. Im Spital sieht er nur noch seine vom Geburtsvorgang erschöpfte Frau. Als er dann seine Tochter zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, erkennt er in ihr etwas Besonderes.
Handke wußte, dass er einen Haufen Arbeit vor sich hatte, aber das würde er gerne tun, es ist ja sein Kind. So muß er einmal beim schlimmsten Schneetreiben zur Bereitschaftsdienstapotheke stapfen , um ein Medikament für sein Kind zu holen. Aber er führt sich auch die Familienidylle vor die Augen. Zum Beispiel am Fußballplatz kann er sich gar nicht auf das Spiel konzentrieren, sondern denkt nur an seine Frau und an seine Tochter. Mit seiner Frau jedoch, gibt es schon einige Streitigkeiten.
Durch seinen Beruf ist er gezwungen mit seiner Familie in ein fremdes Land zu ziehen. (Frankreich) Die Entscheidung fällt schwer, aber er überwindet sich doch. Das Kind ist nun schon so alt, dass es von der Mutter nicht mehr gesäugt werden muß, was einer endgültigen Trennung des Kindes vom mütterlichen Körper entspricht. (Das Kind kann auch ohne Mutter gut auskommen) Die Distanz zwischen seiner Frau und ihm wird immer größer, ihr Umgang ist nur mehr sachlich. Aber seine Tochter beginnt schon zu laufen und so unternimmt er ein paar Spaziergänge mit ihr in der neuen Umgebung.
Doch das Kind sollte nicht in einer Stadt auf wachsen. Also wird ein Haus gebaut, in der "Heimat". Bis dieses jedoch bezugsfertig ist, gründen sie mit Freunden, die beschlossen haben nie Kinder zu bekommen, eine Wohngemeinschaft. Auf engstem Raum bekommt man sich aber in die Haare und alle warten schon auf den Umzug. Seine Frau beschließt nicht mehr mit Handke zusammenzuleben "um neu in ihrem Beruf anzufangen" und eh' er sich's versieht steht er alleine mit dem Kind da. Natürlich mußte er jetzt auf einige Sachen verzichten, aber in einer bestimmten Art und Weise machte er das gerne.
Inzwischen ist das Kind mehr als drei Jahre alt. Bis jetzt hat es immer nur mit sich selbst oder mit dem Vater gespielt. Aber jetzt lernt es (auf Spielplätzen etc.) gleichaltrige Freunde kennen und der Handke ist ein bißchen eifersüchtig und erkennt auch, dass er ein wenig seiner Macht (oder Kontrolle) über sein Kind verloren hat. Er bemerkt auch, dass seine Tochter in Gesellschaft Gleichaltriger sich vollkommen anders verhält, als  in seiner Gegenwart. Aber auch er macht Bekanntschaften mit neuen Leuten (den Nachbarn, etc.)
Mit fast fünf Jahren, als man sich gerade so richtig eingelebt hat, muß das Kind schon wieder umziehen - ins geliebte Frankreich. Die Umstellung von der ruhigen Umgebung und dem eigenen Haus zur Großstadt und der kleinen Eigentumswohnung fällt anfänglich schwer.  Doch nach einiger Zeit "schien das Leben von ihnen beiden nun seine schöne Ordnung gefunden zu haben". Seine Tochter muß in die Schule, die ihr auch gefällt, doch die Lehrerin schlägt am Ende des Schuljahres einen Schulwechsel vor. In den Sommerferien besuchen sie die Mutter im "Heimatland". Handke unternimmt immer öfters lange Spaziergänge, in denen er sein Leben ordnet.
Eines Tages bekommt seine Tochter einen Drohbrief, in welchem ihre deutsche Abstammung verurteilt wird. Handke findet die Adresse des Absenders heraus, stattet jenem einen Besuch ab und in einem Spaziergang zum Friedhof reden sie sich aus. Das Kind ist glücklich in der neuen Schule und begleitet den Vater bei seinen allabendlichen Spaziergängen. Beim Abschlußfest in der Schule bemerkt Handke, das sich seine Tochter sehr gut in die Klassengemeinschaft integriert hatte, nur leider muß sie im nächsten Herbst in eine öffentliche Schule wechseln.
In der neuen Schule ist seine Tochter eine Außenseiterin, da sie ja von deutscher Herkunft ist. Sie will nicht mehr dorthin gehen, nicht einmal die abendlichen Spaziergänge können sie fröhlich stimmen. Auch der Tod einer ihr liebgeworden Lehrerin ist nicht sehr aufbauend für sie. Aber nach einem halben Jahr hat sie sich eingelebt.
Die Tochter bleibt in dieser (religiösen) Schule noch zwei Jahre. Sie verleugnet zwar ihre wahre Nationalität, aber das ist Handke nebensächlich. Als die Tochter in die nächst höhere Schulform kommt und Handke sie in die Schule begleitet, sieht er das sie sich schnell Freunde findet, und dass auch er im Leben seines Kindes keine allzu große Rolle mehr spielt. Er erkennt, dass das Kind gelernt hat seine Probleme selbst zu lösen.

http://www.schreiben10.com/referate/Literatur/25/Peter-Handke-Kindergeschichte-reon.php

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http://www.achgut.com/artikel/wie_sollen_wir_leben_was_ist_das_glueck

Wie sollen wir leben? Was ist das Glück?
Zusammen mit dem Schriftsteller Ludwig Lugmeier war ich in dem neuen Dokumentarfilm von Corinna Belz über Peter Handke. Wir waren neugierig. Was würde uns erwarten? Würden wir etwa einen Showdown virtuoser Formulierungskünstler erleben, als würde ein Herausforderer wie Michael Krüger gegen Peter Handke antreten, um sich einen Kampf der Wortgiganten zu liefern, bei dem sich noch in der neunten Runde nur ein knapper Sieg nach Punkten abzeichnet und immer noch keiner den anderen k.o.-gequatscht hat?

Die Eintrittskarte wirkte verdächtig. Der vollständige Titel „Peter Handke – bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte“, war nicht in voller Länge ausgedruckt, der Titel ist zu lang, er passt nicht in eine Zeile und mitten in „bin im Wald“ hörte die Zeile auf und ließ nur das „i“ aus dem „im“ zurück, so dass auf der Eintrittskarte der Film auf gut Bayrisch hieß: „Peter Handke bin i“ – und damit zu Befürchtungen Anlass gab, dass wir es mit einer Beweihräucherung zu tun haben würden, die das abgehobene Ego eines Großschriftstellers in den Mittelpunkt stellt.

So war es nicht. Ganz und gar nicht. Es war ein bewegender Film zu der großen Frage: Wie sollen wir leben? Ich will nicht allzu viel verraten; ich will nur einen Teil der Fragestellung aufgreifen, die Frage eingrenzen und etwas umformulieren: Mit wem sollen wir leben?

Zwar wusste ich schon, dass Handke mit seiner Tochter – wie wir heute sagen würden – als „Alleinerziehender“ gelebt hatte, doch ich hatte es glatt wieder vergessen, nun konnte ich Handke wieder entdecken als jemanden, für den das Leben mit einem Kind zu einer bedeutenden Selbstverständlichkeit gehört.

Unscheinbarer Titel, starke Wirkung
Sein Buch mit dem unscheinbaren Titel Kindergeschichte war sein letzter Bestseller, jedenfalls fand es sich auf entsprechenden Listen – das war, lang ist es her, im Jahre 1981. Da war er als „Heranwachsender“ mit seinem Kind zusammen.

Peter Handke spricht auch heute noch – auch im Film – über sich in der dritten Person, er tut es offenbar gerne, so wie ich es früher auch getan habe, als ich als Kind Indianer gespielt und mich als großen Häuptling Spitze Feder gesehen habe. Es heißt in der Kindergeschichte:

„Ein Zukunftsgedanke des Heranwachsenden war es, später mit einem Kind zu leben. Dazu gehörte die Vorstellung von einer wortlosen Gemeinschaftlichkeit, von kurzen Blickwechseln, einem Sich-dazu-Hocken, einem unregelmäßigen Scheitel im Haar, eine Nähe und Weite in glücklicher Einheit.“

Schon beim ersten Anblick des Kindes spürt der Heranwachsende, dass er nun ein für alle Mal mit dem Kind eine verschworene Gruppe bilden wird, die ihm zur „einzig gültige Wirklichkeit“ wird. Er nimmt es der Mutter übel, dass sie das Berufsleben vorzieht und sich nicht der unbedingten Notwendigkeit stellt, und er verachtet all diejenigen, die ihm eine andere Lebensweise aufreden wollen. Er spürt deutlich, dass er den gesamten Zeitgeist gegen sich hat und dass ihn die Dringlichkeit des politischen Lebens immer wieder herausruft aus der Enge und Gefangenschaft des Häuslichen mit dem bequemen Glück der Zweisamkeit.

Es ist kein reines Glück. Es ist nicht immer nur das Anwehen des Paradieses zu spüren, das sowieso nur unauffällig und beiläufig auftritt, es ergeben sich genauso tiefe Momente des Versagens, des Ungenügens und Momente einer Schuld, die so heftig sind, dass er das Gefühlt hat, als würde er – um es ausnahmsweise in meinen Worten zu sagen – vor der höchstmöglichen Instanz in Ungnade fallen. Als Peter Handke sein Kind in einem Zornesanfall schlägt, schreibt er (wieder über sich in der dritten Person):

„Das Entsetzen des Täters war fast gleichzeitig. Er trug das weinende Kind, selber bitter ermangelnd der Tränen, in den Räumen umher, wo überall die Tore des Gerichts offenstanden, mit den schalltoten Hitzestößen der Posaunen ...“

„Schalltote Hitzestöße der Posaunen“
Die Formulierung von den „schalltoten Hitzestößen der Posaunen“, fand ich damals schon übertrieben, ja geradezu lächerlich, das war 1981, als ich, selber noch kinderlos, das Buch zum ersten Mal gelesen hatte. Ich dachte nur: Geht’s vielleicht auch ne Nummer kleiner? Doch womöglich war es gerade die Übergröße der Formulierung, die bewirkt hatte, dass mir der Wortlaut bis heute in Erinnerung geblieben ist. Weiter heißt es über die erwähnte dritte Person, also über den Täter:

„Erstmal sah sich der Erwachsene da als einen schlechten Menschen; nicht bloß ein Bösewicht war er, sondern ein Verworfener; und seine Tat konnte durch keine weltliche Strafe gesühnt werden. Er hatte das einzige zerstört, das ihm je das Hochgefühl von etwas dauerhaft Wirklichem gegeben hatte, das einzige verraten, das er je zu verewigen und zu verherrlichen wünschte. Als Verdammter hockt er sich zu dem Kind und redet es an ...“

Ludwig, der selbstr keine Kinder hat, erzählte mir, als wir wenig später bei Rotwein und Tapas den Film verdaut haben, dass er vor vielen Jahren einer Frau ins Gesicht geschlagen habe. Es sei das Widerwärtigste gewesen, das er jemals getan habe. Zwar sei er besoffen gewesen, doch das könne keine Entschuldigung sein. Ich wiederum weiß von einer Frau, die vor über 20 Jahren ihren Dreijährigen verprügelt hatte, die es immer noch bereut, ihn schon mehrfach um Verzeihung gebeten hat und es immer noch tut. Von einer anderen Frau, die sich inzwischen in Frömmigkeit geflüchtet hat, weiß ich, dass auch sie eine unselige Zeit mit ihrem Kleinkind hatte und dass sie dann, wie sie es nannte, „den anderen Weg“ gegangen ist.

Der Film löst große Gefühle aus
Wir haben viel geredet. Über Peter Handke, über Edmund Husserl und seine Methode, einzelne Phänomene aus Zusammenhängen zu lösen, aber eben auch über private, über sehr intime Dinge. Ich erwähne das, um erneut zu unterstreichen, dass dies kein Literatur-Fuzzi-Film ist. Es geht nicht um Papierkram. Der Film löst große Gefühle aus. Wer hätte das gedacht? Man erwartet von Peter Handke, dass er andersgelbe Nudeln in Einzelheiten beschreibt und jedes Blatt, das vom Baum gefallen ist, zweimal umwendet, ehe er es wieder beiseitelegt, und dass er sich im Kleinen und Klitzekleinen verliert.

Doch er schreibt über die großen Tatsachen des Lebens, die erst erkennbar werden, wenn wir uns ungeschützt ausliefern, wenn das Gerümpel des Vorgestanzten und Vorgemeinten beiseite geräumt ist und die eigengesetzliche Lebenswelt mit seiner ganzen Wucht wirksam wird. Dann erscheinen uns auch seine übergroßen Worte, die ins Subjekt gegossenen Gedenksteine aus den persönlichen Weltkriegen, am rechten Platz.

Er erklärt ausführlich seine Gegnerschaft zu den Kinderlosen, zu den „Wustmenschen“, zu denen, die die Kulissen der Aktualität für die allein gültige Wirklichkeit halten, und lässt den großen Häuptling, der bekanntlich niemals mit gespaltener Zunge spricht, ausführlich zu Wort kommen:

„Später sollte er es noch des öfteren mit weit ärgeren überzeugt-Kinderlosen zu tun bekommen, einzeln oder in Paaren. In der Regel hatten sie einen scharfen Blick und wussten auch, selber in furchtbarer Schuldlosigkeit dahinlebend, im Expertisendeutsch zu sagen, was an einem Erwachsenen-Kind-Verhältnis falsch war; manche von ihnen übten solchen Scharfsinn sogar als ihren Beruf aus.“

Der Heranwachsende, der inzwischen unmerklich zum Erwachsenen und zum Täter geworden ist, der Schuldbeladene, der Alleinerziehende lebte im ständigen Zerwürfnis mit den Besserwissern und ihren wohlfeilen Naseweisheiten, die selber nur in die eigene Kindheit und in das eigene fortgesetzte Kindsein vernarrt waren und sich in der Nähe als ausgewachsene Monstren erwiesen. Es gab – damals schon – die für ihn so bezeichnende Konstellation: Peter Handke gegen den Rest der Welt. Einer gegen alle.

„Doch sein Wohlsein ist verfehltes Glück“
Mir wurde sofort klar, warum ich von der Prosa schon damals so tief beeindruckt war: Handke meidet gewöhnliche Ausdrücke. Er bemüht sich, Sätze zu finden, die einem wie Uraufführungen vorkommen; Sätze, die man so noch nie gelesen oder gehört hat und die einen die Welt so sehen lassen als sähe man sie zum ersten Mal, auch wenn da gelegentlich die Posaunen erklingen. Und noch etwas: Ich habe dahinter stets das Bemühen um Aufrichtigkeit gesehen. Wie soll ich sagen? Um Ehrlichkeit? Wahrhaftigkeit? Dass Handke hart und hemmungslos gegen sich selbst sein kann und dass er seine Wunden vorzeigt, hat mich ermutigt, das auch im Umgang mit mir selbst zu probieren und mich besser kennen zu lernen.

Ich habe die Kindergeschichte gleich noch einmal gelesen. Diesmal als jemand, der inzwischen mit einem kleinen Kind gelebt hat. Es hat mich – um es in einem gewöhnlichen Satz zu sagen – stark berührt. Deshalb will ich ihm das letzte Wort erteilen, aber vorher noch einmal darauf hinweisen, dass das Zusammensein mit einem Kind nur eine Szene aus dem Film ist, über den Ludwig zusammenfassend gesagt hat, es gebe darin nichts, das ihm nicht gefallen hätte. Hier also noch etwas aus der Kindergeschichte:

„Er verfluchte diese selbstgerechten kleinlichen Propheten als den Auswurf der modernen Zeiten, hob vor ihnen das Haupt und schwor ihnen die ewige Unversöhnlichkeit. Bei dem antiken Dramatiker fand er den ihnen gebührenden Bannfluch: Sind Kinder allen Menschen doch die Seele. Wer dies nicht erfuhr, der leidet zwar geringer, doch sein Wohlsein ist verfehltes Glück.“

Trailer zu "Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte" hier


Mehr von Bernhard Lassahn hier



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