" »Der Leser, wenn er eine Geschichte zusammensuchen will, kann sich nur an das äußere Kriminalgeschichtenschema halten, es gibt keine Geschichte zum Zusammensuchen, die Sätze lassen sich nicht logisch zusammensetzen« (Handke 1967b)
Lothar
Struck's mention of the nature of the political in DER HAUSIERER
Schon in Handkes »Hausierer«-Text, den er mit provokativer
Absicht als Kriminalroman ausgab, ging es darum den Zusammenhang zwischen den Worten und den
Dingen zu ergründen […] Immer deutlicher wurde ihm, dass vor aller
Gesellschaftskritik die Kritik der Sprache stehen müsse. Handke
habe damit, so Magenau, die Gruppe an ihre Ursprünge zurückgebracht.
Tatsächlich war man ja seinerzeit als Erneuerer und Ernüchterer der deutschen Sprache zusammengekommen.
Aber weder Richter noch die anderen Teilnehmer nahmen dies wahr. Auch Handke
selber nicht, so mutmaßt Magenau. Ob dieser tatsächlich so unbedarft war, ist
zumindest fraglich, nachdem man jüngst seineRadiofeuilletons aus den Jahren
1964 bis 1966 nachlesen konnte, in denen er trotz seines
jugendlichen Alters literatur- und theatertheoretisch sehr gut informiert
gewesen war.
http://www.begleitschreiben.net/joerg-magenau-princeton-66/
elicits
for one the briefest and then a rather lengthy comment & recollection about
the amazing DER HAUSIERER.
The
brief comment is that DER HAUSIERER is psychologically political in the same
sense as OEDIPUS, since all that anxiety that is being played with and stilled
in that fashion is derivative of the patrimony – not as brief a tweet as I
had envisioned. And to be elaborated below. I am not sure I agree, if in fact I
understand Struck’s comment – or is it Morgenau’s with whom he agrees? – that “den Zusammenhang zwischen den Worten und den Dingen
zu ergründen […- That is not the case in DER HAUSIERER I don’t
think, KASPAR!
1]
First of all, HAUSIERER is not a detective story in any ordinary sense but might
be regarded as their essence, whereby hangs a little tale: At Farrar, Straus I
had contracted for DER HAUSIERER together with the work in KASPAR & OTHER
PLAYS. When I met with Handke in Berlin in the Spring 1969 to discuss my
translation of KASPAR Handke mentioned that HAUSIERER contained no end of
quotes from translations of American detective stories, which meant that I
would have to find the originals. I was not going to read however many books in
translation to locate the originals unless Handke at least pointed out whence
they derived. However, as soon as Handke mentioned what he had done, my heart
sank and brain went dead and I failed to ask him how helpful he might be. Thus
was I ever glad when he published GOALIE AT THE ANXIETY KICK (after studying the linguistic of the paranoid schizophrenics!) & I was able
to substitute this best seller for the difficult and complex HAUSIERER, whence
of course GOALIE is just a sliver, and which probably would have been shot down
at Farrar, Straus once the translation came in. This was a Grove Press book!
Looking
at Buch’s SPIEGEL review of DER HAUSIERER (see below) once again I would say that he gives
a pretty fair description, but is entirely immune to the text’s poetry,
its two aspects which he duly notes, the first being all those fear and detective
story ones, their huge variety; and then the more nonsensical ones mixed in
(which, now that I have given serious thought to how RIDE ACROSS LAKE CONSTANCE
WORKS on the audience
remind
me of the apparent nonsense statements that irrupt there that breaks down resistance
and allows for catharsis, the great mysteriousness of a consciousness in an
entirely paranoid state! A terrified child of course! A child listening, say,
to its stepfather mauling its mother! For years on end! Vide SORROW BEYOND
DREAMS and imagine Peter Handke’s childhood and its “hornet bombers” and the
predisposition to justified paranoia on the part, especially of a love child as
he was his mothers, who falls in love with writing which it turns out calms him
down, which controls his anxiety, works it off, so that he can be a triumphant
writer! Something like that. In the text of Singular & Plural from INNERWORLD
you can actually read how in the process of writing fear is being stilled, or I
don’t know read something as wonderfully hoary as Freud’s “conversion” theory!
I
never did get to publish HAUSIERER, not at McGraw-Hill, the best paid year in
my life, but not a single title published (the Irving / Howard Hughes catastrophe
put the entire Trade Book Division on hold), not at Continuum which did not
publish novels, nor at Urizen because the dark partner – the working partners
had to agree - had taken a dislike to Handke after Handke had not liked, not
been grateful how he had directed some Handke plays – it was Handke who pointed
out the fellow’s dark nature, which I might have taken as seriously as I then was forced to later. However, HAUSIERER exists in the Romance languages and I expect in
Slavic ones as well.
" »Der Leser, wenn er eine Geschichte zusammensuchen will, kann sich
nur an das äußere Kriminalgeschichtenschema halten, es gibt keine
Geschichte zum Zusammensuchen, die Sätze lassen sich nicht logisch
zusammensetzen« (Handke 1967b)
http://handkeonline.onb.ac.at/node/1343
ALSO SEE
http://tinyurl.com/nw5uyxv
&
http://tinyurl.com/n7vcmyq
FOR AN INTERTEXTUAL TAKE ON THE BOOK
REMEMBER THE BOOK EXISTS IN THE ROMANCE LANGUAGES
Le Colporteur : ["der Hausierer"]. Traduit de l'allemand par Gabrielle Wittkop-Ménardeau.
http://www.unilibro.es/find_buy_es/result_scrittori.asp?scrittore=HANDKE%2C+PETER&number_page=3&idaff=fsfhdfbaqosczwd
Der
Hausierer, nach den Hornissen Peter Handkes zweiter Roman, erschienen
im Jahr 1967, ist ein Kriminalroman nach allen Regeln dieses Genres,
eine >Mordgeschichte<, die alle möglichen Mordgeschichten
zusammenfaßt. Jeder Satz ist eine Geschichte. Der Held ist der
>Hausierer<; er beobachtet alles, er registriert die kleinsten
Ereignisse, er ist der Zeuge, der überall dabei ist.
Entstehungskontext
Bereits 1963 verfasste Handke einen Kurztext unter dem Titel Der Hausierer, der am 7. April 1964 in Radio Steiermark gesendet wurde. Dieser steht mit dem späteren Roman über das gemeinsame Mordmotiv lose in Verbindung und er wurde erst 1966 – im Entstehungsjahr des Romans – in der Zeitschrift Literatur und Kritik (Nr. 4/1966, S. 46-49) abgedruckt, sowie 1967 in den Sammelband Begrüßung des Aufsichtsratsaufgenommen. An seinem Romanprojekt Der Hausierer arbeitete Handke ab März 1966 in Graz, was er am 24. März seiner Mutter berichtete: »Ich arbeite im Moment an einem Roman, und es geht so halbwegs langsam, aber jeden Tag etwas« (Pichler, S. 83). Frühe stichwortartige Notizen, die dem Hausierer-Roman zugeordnet werden können, sind auf einem Programmheft zur damals umstrittenen Urfaust-Inszenierung im Grazer Schauspielhaus (Premiere 30. Jänner 1966) erkennbar, dessen Verbleib allerdings ungeklärt ist (Faksimile in Liepold-Mosser 1998, S. 40). Handkes Lebensgefährtin Libgart Schwarz war in dieser Inszenierung als Gretchen engagiert.
Am 8. Juni 1966 wurde sein erstes Stück, Publikumsbeschimpfung, in Frankfurt und Oberhausen uraufgeführt. Am 24. Juni 1966 fand im Grazer forum stadtpark eine Lesung aus dem Hausierer-Romanmanuskript statt (Handke las das»Ermordungskapitel«), etwa zeitgleich wurden in den manuskripten (Nr. 17 (1966), S. 7-11) Sätze aus dem »Mord«-Kapitel Die erste Unordnung veröffentlicht, die Handke schon im April 1966 auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton gelesen hatte. In der Zeitschrift Akzente (Nr. 5/1966, S. 468-477) wurde eine starke Überarbeitung dieses Romankapitels abgedruckt, was ein Indiz dafür ist, dass Handke für Der Hausierer im ersten Halbjahr 1966 noch keine endgültige Fassung gefunden hatte. Dieser Vorabdruck führte auch zu Diskussionen mit seinem Verleger Siegfried Unseld (Handke / Unseld 2012, S. 50-53). Im Sommer 1966 (Juli oder August, vgl. Herwig 2010, S. 140, Fußnote 111) übersiedelte Handke mit Libgart Schwarz von Graz nach Düsseldorf, wo sie ein Jahr später, am 28. November 1967, heirateten.
Ein völliger Neubeginn am Romanprojekt erfolgte im September 1966, wie ein Brief an Alfred Holzinger vom 8. September 1966 belegt (Pichler, S. 83). Seinen Freund Alfred Kolleritsch, den Herausgeber der manuskripte, vertröstete er am 18. September während einer intensiven Schreibphase folgendermaßen: »Lieber Freddy, nur nicht schimpfen, ich komme jetzt wirklich nicht dazu, weil ich jeden Tag an dem Roman arbeite und dann einfach unfähig bin. Aber für die nächsten manuskripte kriegst Du was, wenn Du noch magst.« (Handke / Kolleritsch, S. 8) Parallel zur Arbeit an Der Hausierer, die er Eigenaussagen zufolge nur mehr ungern unterbrach, schrieb Handke im Oktober 1966 noch sein Radiofeuilleton Zirkus. Die Dressur des Objekts für Radio Steiermark (Brief an Alfred Holzinger, 3. Oktober 1966 in Pichler, S. 83). Gegenüber Kolleritsch erwähnte er das noch immer nicht abgeschlossene Romanprojekt erneut in einem Brief am 22. November 1966 – es handelte sich bereits um die Herstellung einer zweiten, überarbeiteten Textfassung für den Verlag: »... ich bin auch nicht mehr recht beieinander, sollte den roman für suhrkamp abschreiben, tue aber nichts«. (Handke / Kolleritsch, S. 10)
Am 21. Dezember 1966 teilte Handke seiner Mutter die Fertigstellung der zweiten Textfassung mit: »... heute habe ich den fertig durchgearbeiteten Roman an Suhrkamp geschickt ...« (Haslinger, S. 109). Seinem Freund Kolleritsch berichtete am 5. Jänner 1967: »Den Roman habe ich jetzt fertig durchgearbeitet und an Suhrkamp geschickt«, und am 1. Februar 1967 teilt er die Neuigkeit auch Alfred Holzinger zugleich mit der Befürchtung mit, dass er wohl kein Bestseller werde (Pichler, S. 83). Am 27. Februar las er aus dem unveröffentlichten Roman in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in Wien. Einige Monate später schrieb Handke am 18. Juli 1967 an Kolleritsch – mittlerweile hatte er sein Stück Kaspar abgeschlossen: »im augenblick habe ich ein stück fertig, lang, aber nicht sehr lang, wie ein film. hoffentlich wirds ein reißer, der roman, der im herbst kommt, wenigstens broschiert, wird's ja sicher nicht.«(Handke / Kolleritsch, S. 17)
Handkes erster Lektor im Suhrkamp Verlag, Chris Bezzel, verließ noch während der Herstellungsarbeiten den Verlag und wurde von Urs Widmer abgelöst. Am 28. August 1967 erschien Der Hausierer laut Verlagsangabe bei Suhrkamp. Der Publikation war eine Debatte zwischen Handke, Unseld und Widmer um die Gestaltung des Buchumschlages vorangegangen, die schließlich in dem Kompromiss endete, dass das Buchcover ohne Abbildung, dafür mit einem von Handke verfassten Text gestaltet wurde. In der Suhrkamp-Jahresschau Dichten und Trachten von 1967 wurde ein Begleittext Handkes zum Roman unter dem Titel Über meinen neuen Roman »Der Hausierer« veröffentlicht, in dem es heißt: »Der Leser, wenn er eine Geschichte zusammensuchen will, kann sich nur an das äußere Kriminalgeschichtenschema halten, es gibt keine Geschichte zum Zusammensuchen, die Sätze lassen sich nicht logisch zusammensetzen« (Handke 1967b). Im nachfolgenden Jahr 1968 verfasste Handke in Anlehnung an die Romankapitel Die Befragung und Die falsche Entlarvung den TextHörspiel, der unter dem Produktionstitel Hörspiel Nr. 1 am 23. Oktober 1968 in WDR I erstmals gesendet wurde (zur Hörspielbearbeitung vgl. Ðorđević 1989). (ck)
What I recall from the time at the outdoor spot on the Ku-Damm is Handke expressing the wish that especially the beginning of Kaspar the openings sentence “I want to be like somebody else once was” be as abstract as possible, and revealing, to heartfelt chagrin, that Der Hausierer was chockful of quotes from American detective stories & taken from their German translation. The idea of tracking down their originals! I was not going to translate them straight! I even failed to ask Handke if he knew whence in each translated book they derived... maybe he would have recalled and that would have done the trick; thus, Goalie’s Anxiety at the Penalty Kick became the first Handke novel in English, a far simpler book. Hausierer, still a wonderful book to my way of thinking, Virginia Woolfe like in its delicacy, still strikes me as “the new Kafka’s” wonderful literary way of playing with anxeity, and stilling it.
HERE IS A TRUE MISUNDERSTANDING OF THE BOOK:
Hans Christoph Buch über Peter Handke: Der Hausierer
TOT UND SAUBER AUFGERÄUMT
Wenn
Produktivität das Genie ausmacht, dann ist Peter Handke ein Genie. Seit
seiner spektakulären "Entdeckung" vor anderthalb Jahren bei der "Gruppe
47"-Tagung in Princeton hat Handke vier Bücher veröffentlicht, unter
anderem einen Band mit drei Theaterstücken ("Publikumsbeschimpfung"),
zwei Romane ("Die Hornissen", "Der Hausierer") und einen Band Prosatexte
("Begrüßung des Aufsichtsrats"), nicht gerechnet ein ästhetisches
Manifest ("Die Literatur ist romantisch"), Beiträge zu Zeitschriften und
Anthologien und Antworten auf Umfragen wie "Haben die jungen Autoren
nichts mehr zu sagen? Außerdem schreibt Handke Gedichte, die er
gelegentlich in Begleitung einer Beatkapelle rezitiert. Premiere und
Buchausgabe eines Kaspar-Hauser-Stückes sind angekündigt.
Der Hinweis auf Handkes Kreativität ist keineswegs abschätzig gemeint. Im Gegenteil: Die deutsche Literatur ist vom Verstummen bedroht, wenn Autoren wie Reinhard Lettau und Peter Bichsel sich um die Ehre streiten, wer von beiden mit weniger eine Buchseite zu füllen versteht; wenn es als unfein gilt, öfter als alle drei Jahre und mehr als hundert Seiten auf einmal zu veröffentlichen. Literatur sollte nicht allein nach Qualität gemessen werden, sondern auch nach Quantität.
Im Fall Handke kann an der Quantität des literarischen Schaffens kein Zweifel bestehen; zu prüfen ist dessen Qualität anhand der letzten Produktion des Autors, des Zweihundert-Seiten-Romans "Der Hausierer".
Den Schriften Peter Handkes -- ob sie sich "Sprechstücke" nennen, "Roman", "Prosatext" oder "Gedicht" -- ist ein formaler Gestus gemein, der sie, über die Gattungsgrenzen hinweg, einander annähert. Es ist jener monotone Rede- und Bewußtseinsstrom" der. nach Art einer Gehirnwäsche, den Leser so lange mit Wörtern bombardiert, bis er zum willenlosen Rezipienten des Geschriebenen wird. Die Übertragung dieser Methode aus Werbung und Propaganda, wo sie bisher zu Hause war, in die Literatur ist es, was Handke den Ruf einbrachte" das "vielleicht revolutionärste Talent auf der Szene des deutschen Gegenwartstheaters" zu sein -- so die "Hannoversche Presse".
Der Roman "Der Hausierer" demonstriert die Anwendung von Handkes Methode auf ein spezifisches Genre, den Kriminalroman. Das stereotype Ritual der Kriminalgeschichte kreuzt sich mit Handkes individuellem Formalismus. "Der Hausierer" ist ein Roman ohne Fabel, Handlung, Geschichte. Handke hat keinen neuen Kriminalroman schreiben wollen, er wollte sichtbar machen, bloßlegen, was allen bisherigen Kriminalromanen gemein ist: das abstrakte Schema von "furcht, angst, beklemmung, schmerz", den steten Wechsel von "Ordnung und Unordnung", wie er es nennt, deren Dialektik die Handlung in Gang hält.
"Die Ordnung vor der ersten Unordnung", "Die Ordnung der Unordnung", "Die Entlarvung der anfangs gezeigten Ordnung" -- so sind die einzelnen Kapitel überschrieben. Jedes Kapitel ist in zwei Hälften unterteilt: In der ersten Hälfte gibt Handke, in Kursivschrift, so etwas wie generelle Zusammenfassung und theoretischen Abhub, Inhaltsangabe und Kommentar dessen, was folgen wird, in einem bürokratischen Substantivstil, der sich wie eine Parodie auf Handkes eigenen Stil liest. Man wird daran erinnert, daß der Autor" bevor er zur Literatur kam. Jura studiert hat.
Im zweiten Teil des jeweiligen Kapitels folgt, nach dem Kommentar, der "Text" des Romans, atomisiert in ein Mosaik von Sätzen, die, außer der Tatsache, daß sie auf derselben Buchseite stehen, keine logische Beziehung zueinander haben. Fetzen einer imaginären Kriminalhandlung ("Eine behandschuhte Hand erscheint am Fensterbrett. Ein kleiner Schreckenslaut entfährt ihrem Mund") wechseln ab mit absurden Feststellungen, Sätzen, die logisch "falsch" sind: "Niemand verschwand eilig in einem Kino." Präzise Detailaufnahmen ("Der angebissene Apfel steckt im Kanalgitter") stehen neben sprachlichen und sachlichen Ungereimtheiten: "Der Draht wimmelt von leeren Wäscheklammern"; "Das Gesicht des Kindes spiegelt sich im Honigtopf."
Dazwischen finden sich immer wieder überraschende Einblicke in das Wesen des Kriminalromans: "Je länger der Tote beschrieben wird, desto mehr sieht er aus wie ein Einrichtungsgegenstand"; "Er kann noch nicht sterben, es ist in der Geschichte noch zu wenig über ihn bekannt."
Bei all dem ist Handkes Sprache eigentümlich leblos, von klinischer Sterilität. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: die verbissene Energie, mit der der Autor seine monotonen Sprachspiele über zweihundert Seiten vorantreibt, oder die künstlerische Intelligenz, mit der hier ein Nichts, die konstante Weigerung, den Leser zu interessieren, literarisch organisiert wird.
Kein Zweifel. Peter Handke ist ein gescheiter Autor. Fast alles, was sich gegen den Roman sagen ließe, hat er im Roman selbst vorweggenommen. Wer das Buch langweilig findet, wer einen konventionellen Kriminalroman vorzieht, dem könnte der Autor entgegnen, daß er an der falschen Adresse ist, daß Langeweile eine subjektive Kategorie sei, daß er nun einmal keinen gewöhnlichen Kriminalroman habe schreiben wollen. Wer nach einer Fabel, nach Handlung Ausschau hält, der könnte zu hören bekommen, daß dem Autor "die bisherigen Darstellungsmöglichkeiten unmöglich geworden sind und weder etwas sagen noch etwas zu denken oder zu spielen geben". Wer den Text nichtssagend und beliebig findet, der wiederholt nur, was der Roman selbst fragt: "Warum wird dieser nebensächliche Vorgang beschrieben und der andere nebensächliche Vorgang nicht?"
Ist Handkes Roman also unkritisierbar? Vom Standpunkt einer immanenten Kritik: allerdings. Vom Standpunkt einer Kritik, die sich darauf beschränkt, Widersprüche innerhalb des Buches ausfindig zu machen, zwischen diesem Buch des Autors und anderen Büchern des Autors, zwischen Büchern dieses Autors und Büchern anderer Autoren -- vom Standpunkt einer bloß literarischen Kritik bleibt Handkes Roman unangreifbar. Wenn ich die gepuderten Zöpfe verneine, schrieb Marx, habe ich immer noch die ungepuderten Zöpfe. Wenn ich Peter Handkes Roman verneine -- aus welchen literarischen Gründen auch immer -, stehe ich noch immer auf dem Boden von Peter Handkes Roman, akzeptiere dessen Voraussetzungen. Welches sind diese Voraussetzungen?
Die Voraussetzung von Peter Handkes Roman ist die Annahme, daß die ästhetische Geste die Widersprüche der außerliterarischen Welt aufhebt, wegzaubert, daß die Form das Ganze ist, daß eine Änderung der Form, eine Änderung der literarischen Sehweise die Dinge selbst verändert. Das ästhetische Credo des l'art pour l'art hat sein politisches Pendant in jenem Aristokratismus, der sich einbildet, im Nirwana der reinen Kunst über den Parteien zu stehen; im Geschwätz vom Ende der Ideologie, das selbst ideologisch ist -- im Dienst der herrschenden Ideologie; im Glauben an die Allmacht der Technologie, die die Widersprüche, an denen anderswo Menschen sterben, von selbst aufheben wird: eine Welt, so klinisch tot und sauber aufgeräumt wie Handkes Prosa.
Nichts beweist den affirmativen Charakter, das Nirgendwo dieser Prosa besser als die leere Rhetorik jener Sätze, mit denen Handke in einem Verlagsprospekt seinen Roman "erläutert" hat: "der roman spielt weder in los angeles noch in westberlin, weder im winter noch im herbst: er spielt im leser, wenn dieser ihn liest ..."
Die Hoffnung des Autors, daß der Leser im Roman "seine eigene geschichte" wiederfinden könne, muß unter diesen Umständen illusorisch bleiben. Die Geschichte des Hausierers ist nicht meine Geschichte; im abstrakten Schema des Schreckens kann ich meinen Schrecken nicht entdecken. Mein Schrecken ist konkret, er betrifft, was ich sehe, im Kino und auf der Straße, im Fernsehen und in der Zeitung. Mein Schrecken betrifft nicht "gegenstände, die sich heftigst bewegen: ein schlagender fensterladen, eine rhythmisch klopfende tür" -- mein Schrecken betrifft Bolivien und Vietnam, er betrifft auch Los Angeles und West-Berlin.
Das einzige, was man von einem Roman verlangen kann, hat Henry James einmal gesagt, ist, daß er interessant sei. Peter Handkes Roman interessiert mich nicht.
Der Hinweis auf Handkes Kreativität ist keineswegs abschätzig gemeint. Im Gegenteil: Die deutsche Literatur ist vom Verstummen bedroht, wenn Autoren wie Reinhard Lettau und Peter Bichsel sich um die Ehre streiten, wer von beiden mit weniger eine Buchseite zu füllen versteht; wenn es als unfein gilt, öfter als alle drei Jahre und mehr als hundert Seiten auf einmal zu veröffentlichen. Literatur sollte nicht allein nach Qualität gemessen werden, sondern auch nach Quantität.
Im Fall Handke kann an der Quantität des literarischen Schaffens kein Zweifel bestehen; zu prüfen ist dessen Qualität anhand der letzten Produktion des Autors, des Zweihundert-Seiten-Romans "Der Hausierer".
Den Schriften Peter Handkes -- ob sie sich "Sprechstücke" nennen, "Roman", "Prosatext" oder "Gedicht" -- ist ein formaler Gestus gemein, der sie, über die Gattungsgrenzen hinweg, einander annähert. Es ist jener monotone Rede- und Bewußtseinsstrom" der. nach Art einer Gehirnwäsche, den Leser so lange mit Wörtern bombardiert, bis er zum willenlosen Rezipienten des Geschriebenen wird. Die Übertragung dieser Methode aus Werbung und Propaganda, wo sie bisher zu Hause war, in die Literatur ist es, was Handke den Ruf einbrachte" das "vielleicht revolutionärste Talent auf der Szene des deutschen Gegenwartstheaters" zu sein -- so die "Hannoversche Presse".
Der Roman "Der Hausierer" demonstriert die Anwendung von Handkes Methode auf ein spezifisches Genre, den Kriminalroman. Das stereotype Ritual der Kriminalgeschichte kreuzt sich mit Handkes individuellem Formalismus. "Der Hausierer" ist ein Roman ohne Fabel, Handlung, Geschichte. Handke hat keinen neuen Kriminalroman schreiben wollen, er wollte sichtbar machen, bloßlegen, was allen bisherigen Kriminalromanen gemein ist: das abstrakte Schema von "furcht, angst, beklemmung, schmerz", den steten Wechsel von "Ordnung und Unordnung", wie er es nennt, deren Dialektik die Handlung in Gang hält.
"Die Ordnung vor der ersten Unordnung", "Die Ordnung der Unordnung", "Die Entlarvung der anfangs gezeigten Ordnung" -- so sind die einzelnen Kapitel überschrieben. Jedes Kapitel ist in zwei Hälften unterteilt: In der ersten Hälfte gibt Handke, in Kursivschrift, so etwas wie generelle Zusammenfassung und theoretischen Abhub, Inhaltsangabe und Kommentar dessen, was folgen wird, in einem bürokratischen Substantivstil, der sich wie eine Parodie auf Handkes eigenen Stil liest. Man wird daran erinnert, daß der Autor" bevor er zur Literatur kam. Jura studiert hat.
Im zweiten Teil des jeweiligen Kapitels folgt, nach dem Kommentar, der "Text" des Romans, atomisiert in ein Mosaik von Sätzen, die, außer der Tatsache, daß sie auf derselben Buchseite stehen, keine logische Beziehung zueinander haben. Fetzen einer imaginären Kriminalhandlung ("Eine behandschuhte Hand erscheint am Fensterbrett. Ein kleiner Schreckenslaut entfährt ihrem Mund") wechseln ab mit absurden Feststellungen, Sätzen, die logisch "falsch" sind: "Niemand verschwand eilig in einem Kino." Präzise Detailaufnahmen ("Der angebissene Apfel steckt im Kanalgitter") stehen neben sprachlichen und sachlichen Ungereimtheiten: "Der Draht wimmelt von leeren Wäscheklammern"; "Das Gesicht des Kindes spiegelt sich im Honigtopf."
Dazwischen finden sich immer wieder überraschende Einblicke in das Wesen des Kriminalromans: "Je länger der Tote beschrieben wird, desto mehr sieht er aus wie ein Einrichtungsgegenstand"; "Er kann noch nicht sterben, es ist in der Geschichte noch zu wenig über ihn bekannt."
Bei all dem ist Handkes Sprache eigentümlich leblos, von klinischer Sterilität. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: die verbissene Energie, mit der der Autor seine monotonen Sprachspiele über zweihundert Seiten vorantreibt, oder die künstlerische Intelligenz, mit der hier ein Nichts, die konstante Weigerung, den Leser zu interessieren, literarisch organisiert wird.
Kein Zweifel. Peter Handke ist ein gescheiter Autor. Fast alles, was sich gegen den Roman sagen ließe, hat er im Roman selbst vorweggenommen. Wer das Buch langweilig findet, wer einen konventionellen Kriminalroman vorzieht, dem könnte der Autor entgegnen, daß er an der falschen Adresse ist, daß Langeweile eine subjektive Kategorie sei, daß er nun einmal keinen gewöhnlichen Kriminalroman habe schreiben wollen. Wer nach einer Fabel, nach Handlung Ausschau hält, der könnte zu hören bekommen, daß dem Autor "die bisherigen Darstellungsmöglichkeiten unmöglich geworden sind und weder etwas sagen noch etwas zu denken oder zu spielen geben". Wer den Text nichtssagend und beliebig findet, der wiederholt nur, was der Roman selbst fragt: "Warum wird dieser nebensächliche Vorgang beschrieben und der andere nebensächliche Vorgang nicht?"
Ist Handkes Roman also unkritisierbar? Vom Standpunkt einer immanenten Kritik: allerdings. Vom Standpunkt einer Kritik, die sich darauf beschränkt, Widersprüche innerhalb des Buches ausfindig zu machen, zwischen diesem Buch des Autors und anderen Büchern des Autors, zwischen Büchern dieses Autors und Büchern anderer Autoren -- vom Standpunkt einer bloß literarischen Kritik bleibt Handkes Roman unangreifbar. Wenn ich die gepuderten Zöpfe verneine, schrieb Marx, habe ich immer noch die ungepuderten Zöpfe. Wenn ich Peter Handkes Roman verneine -- aus welchen literarischen Gründen auch immer -, stehe ich noch immer auf dem Boden von Peter Handkes Roman, akzeptiere dessen Voraussetzungen. Welches sind diese Voraussetzungen?
Die Voraussetzung von Peter Handkes Roman ist die Annahme, daß die ästhetische Geste die Widersprüche der außerliterarischen Welt aufhebt, wegzaubert, daß die Form das Ganze ist, daß eine Änderung der Form, eine Änderung der literarischen Sehweise die Dinge selbst verändert. Das ästhetische Credo des l'art pour l'art hat sein politisches Pendant in jenem Aristokratismus, der sich einbildet, im Nirwana der reinen Kunst über den Parteien zu stehen; im Geschwätz vom Ende der Ideologie, das selbst ideologisch ist -- im Dienst der herrschenden Ideologie; im Glauben an die Allmacht der Technologie, die die Widersprüche, an denen anderswo Menschen sterben, von selbst aufheben wird: eine Welt, so klinisch tot und sauber aufgeräumt wie Handkes Prosa.
Nichts beweist den affirmativen Charakter, das Nirgendwo dieser Prosa besser als die leere Rhetorik jener Sätze, mit denen Handke in einem Verlagsprospekt seinen Roman "erläutert" hat: "der roman spielt weder in los angeles noch in westberlin, weder im winter noch im herbst: er spielt im leser, wenn dieser ihn liest ..."
Die Hoffnung des Autors, daß der Leser im Roman "seine eigene geschichte" wiederfinden könne, muß unter diesen Umständen illusorisch bleiben. Die Geschichte des Hausierers ist nicht meine Geschichte; im abstrakten Schema des Schreckens kann ich meinen Schrecken nicht entdecken. Mein Schrecken ist konkret, er betrifft, was ich sehe, im Kino und auf der Straße, im Fernsehen und in der Zeitung. Mein Schrecken betrifft nicht "gegenstände, die sich heftigst bewegen: ein schlagender fensterladen, eine rhythmisch klopfende tür" -- mein Schrecken betrifft Bolivien und Vietnam, er betrifft auch Los Angeles und West-Berlin.
Das einzige, was man von einem Roman verlangen kann, hat Henry James einmal gesagt, ist, daß er interessant sei. Peter Handkes Roman interessiert mich nicht.
DER SPIEGEL 52/1967
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