KLAPPENTEXT
Herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Einen feierlichen Ton wählt Siegfried Unseld im Eingangssatz seines ersten Briefs an Peter Handke: "ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen." Mit diesem Schreiben vom August 1965 setzt eine Korrespondenz ein, die annähernd 600 Briefe und einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren umfasst, in denen Peter Handke und Siegfried Unseld das ihnen Wichtigste schriftlich besprachen: die Literatur, die Bücher, unterrichtete der Autor den Verleger von seinen Vorhaben, hielt Unseld schriftlich seine Eindrücke über die neuen Manuskripte fest, diskutierten beide Erscheinungstermin und Ausstattung von Büchern, Publikationsstrategien und Kritikerrezensionen.
http://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-wie-verleger-unseld-seinen-handke-in-watte-packte_aid_876288.html==============================================19.04.2013 · 16:33 Uhr
"Er ist manchmal ein Tölpel im guten Sinn"
Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, gelesen von Jens Harzer und Ulrich Noethen, Hörbuch, speak low, Berlin 2013, ca. 300 Minuten
Der Briefwechsel begann 1965, als Suhrkamp-Verlagsleiter Siegfried Unseld dem 22-jährigen Debütanten Peter Handke postalisch mitteilte, sein Roman "Die Hornissen" werde vom Haus verlegt. Die wechselhafte Korrespondenz der beiden endete erst kurz vor dem Tod Unselds und ist nun als Hörbuch erschienen.
"Heute nacht träumte ich von uns beiden; wir gingen eine lange, sachte Steintreppe empor, und ein Entgegenkommender sagte, Du solltest auf Deine Gesundheit mehr achten. Ich antwortete, das tätest Du bereits, indem Du so mit mir langsam bergan stiegest."
Peter Handke sorgt sich im Traum um seinen Verleger Siegfried Unseld. Jens Harzer, der auf dem als Hörbuch erschienenen Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld den Autor spricht, verleiht Handkes Stimme eine auffällige Bedächtigkeit. Behutsam wählt er die Worte. Das versucht auch Siegfried Unseld in seinen Briefen, was ihm aber offensichtlich nicht immer gelungen ist:
"Lieber Peter,
Es fällt mir schwer, Dir ohne Eingeschüchtertsein zu schreiben. [...] Bei der Vielzahl von Briefen, die ich tagtäglich diktiere, versuche ich mich konsequent, als Schreibhilfe, in den einzelnen Empfänger hineinzudenken, dass mir dies bei Dir misslungen ist, bedaure ich natürlich sehr."
Ulrich Noethen, der Siegfried Unselds Briefe liest, hat es als Sprecher mit einem Ruhelosen zu tun. Der Dynamik dieses Mannes, der mit Herz und Seele Verleger war, der die Kunst beherrschte, die Wogen nach einem Sturm wieder zu glätten, verleiht Noethen Ausdruck, indem er das Sprechtempo und die Stimmlage, in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation, variiert. Beide Stimmen stehen für unterschiedliche Charaktere, und beiden Sprechern gelingt es, diese Charaktere deutlich werden zu lassen. Selbst wenn die Zeichen auf Sturm stehen, scheint Peter Handke nicht die Contenance zu verlieren.
"Lieber Siegfried (immer noch),
die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag vor zwei Jahren, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich meinen Verleger, gelesen habe [...], da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen."
Verärgert war Handke über Reich-Ranickis Buch "Entgegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre". Doch mit sehr viel Einfühlungsvermögen gelingt es Unseld - Pathos dabei durchaus nicht scheuend -, Peter Handke von diesem Entschluss abzubringen. Auf diesen und auf ähnliche Notrufe seines Autors reagierte er mit vermehrter Zuwendung:
"Wie die Jahresringe des Baumes soll Dein Werk im Suhrkamp Verlag wachsen. [...] Ich bin glücklich, Dein Verleger sein zu dürfen, gönne es mir weiterhin."
Aber auch Peter Handke, empfindlich und empfindsam, weiß, was er an Unseld hat:
"Für viele, auch für den Unterzeichneten, bist Du in Deiner Art und Aufmerksamkeit unentbehrlich."
Als Dritter mischt sich in dieses dialogische Sprechen im O-Ton der langjährige Lektor Peter Handkes, Raimund Fellinger, ein:
"Und dann kam ich irgendwann als ganz junger Mensch ins Spiel."
... mit durchaus unterschiedlichem Erfolg, denn nicht alle Spielzüge des Lektors finden die uneingeschränkte Zustimmung des Autors.
"Er ist manchmal ein Tölpel im guten Sinn und manchmal in einem anderen."
In einem ganz anderen Sinn tritt er im Hörbuch in Erscheinung. Fellinger weiß viel über Handke, Unseld und den Suhrkamp Verlag. Er interpretiert weder die Korrespondenz noch kommentiert er sie, sondern er leuchtet jenen Bereich aus, der den Hintergrund der Briefe bildet. Behutsam ergänzt er das Geschriebene und diese kleinen Porträtskizzen tragen in der Summe dazu bei, dass das Hörbuch wichtige Momente dieser Freundschaft deutlicher werden lässt, als es die vorzüglich kommentierte Buchausgabe zu leisten vermag:
"Beide sind große Schwimmer. Handke schwimmt - ich übertreibe jetzt - in jedem Gewässer, in dem man schwimmen kann. [...] Und da gab es halt eine Beziehung, weil Siegfried Unseld jeden Morgen, wenn er es denn konnte, seine Bahnen gezogen hat."
Peter Handke braucht sieben Jahre, um mit seinem Verleger warm zu werden. Zum 75. Geburtstag schreibt er ihm:
"Vielleicht glaubt's nicht jeder: doch Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig."
Der Briefwechsel zwischen beiden endet mit Handkes Brief vom 22. April 2002, der Unseld ein halbes Jahr vor seinem Tod erreicht. Dieser Brief ist in dem vorzüglich gestalteten und mit vielen Bildern ausgestalteten Booklet nachzulesen, das diesem sehr gelungenen Hörbuch beiliegt.
Besprochen von Michael Opitz
Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel
Gelesen von Jens Harzer und Ulrich Noethen, kommentiert von Raimund Fellinger, Hörbuch, speak low, Berlin 2013, 4 CDs mit Booklet, ca. 300 Minuten, 24,80 Euro
Mehr Informationen auf dradio.de:
"Ein kanonischer Autor unserer Epoche" - Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler würdigt Peter Handke zum 70. Geburtstag
Gespräche als Vermächtnis - Heinz Ludwig Arnold: "Gespräche mit Autoren", Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 726 Seiten
Eine literarische Korrespondenz - Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 700 Seiten
Peter Handke sorgt sich im Traum um seinen Verleger Siegfried Unseld. Jens Harzer, der auf dem als Hörbuch erschienenen Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld den Autor spricht, verleiht Handkes Stimme eine auffällige Bedächtigkeit. Behutsam wählt er die Worte. Das versucht auch Siegfried Unseld in seinen Briefen, was ihm aber offensichtlich nicht immer gelungen ist:
"Lieber Peter,
Es fällt mir schwer, Dir ohne Eingeschüchtertsein zu schreiben. [...] Bei der Vielzahl von Briefen, die ich tagtäglich diktiere, versuche ich mich konsequent, als Schreibhilfe, in den einzelnen Empfänger hineinzudenken, dass mir dies bei Dir misslungen ist, bedaure ich natürlich sehr."
Ulrich Noethen, der Siegfried Unselds Briefe liest, hat es als Sprecher mit einem Ruhelosen zu tun. Der Dynamik dieses Mannes, der mit Herz und Seele Verleger war, der die Kunst beherrschte, die Wogen nach einem Sturm wieder zu glätten, verleiht Noethen Ausdruck, indem er das Sprechtempo und die Stimmlage, in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation, variiert. Beide Stimmen stehen für unterschiedliche Charaktere, und beiden Sprechern gelingt es, diese Charaktere deutlich werden zu lassen. Selbst wenn die Zeichen auf Sturm stehen, scheint Peter Handke nicht die Contenance zu verlieren.
"Lieber Siegfried (immer noch),
die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag vor zwei Jahren, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich meinen Verleger, gelesen habe [...], da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen."
Verärgert war Handke über Reich-Ranickis Buch "Entgegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre". Doch mit sehr viel Einfühlungsvermögen gelingt es Unseld - Pathos dabei durchaus nicht scheuend -, Peter Handke von diesem Entschluss abzubringen. Auf diesen und auf ähnliche Notrufe seines Autors reagierte er mit vermehrter Zuwendung:
"Wie die Jahresringe des Baumes soll Dein Werk im Suhrkamp Verlag wachsen. [...] Ich bin glücklich, Dein Verleger sein zu dürfen, gönne es mir weiterhin."
Aber auch Peter Handke, empfindlich und empfindsam, weiß, was er an Unseld hat:
"Für viele, auch für den Unterzeichneten, bist Du in Deiner Art und Aufmerksamkeit unentbehrlich."
Als Dritter mischt sich in dieses dialogische Sprechen im O-Ton der langjährige Lektor Peter Handkes, Raimund Fellinger, ein:
"Und dann kam ich irgendwann als ganz junger Mensch ins Spiel."
... mit durchaus unterschiedlichem Erfolg, denn nicht alle Spielzüge des Lektors finden die uneingeschränkte Zustimmung des Autors.
"Er ist manchmal ein Tölpel im guten Sinn und manchmal in einem anderen."
In einem ganz anderen Sinn tritt er im Hörbuch in Erscheinung. Fellinger weiß viel über Handke, Unseld und den Suhrkamp Verlag. Er interpretiert weder die Korrespondenz noch kommentiert er sie, sondern er leuchtet jenen Bereich aus, der den Hintergrund der Briefe bildet. Behutsam ergänzt er das Geschriebene und diese kleinen Porträtskizzen tragen in der Summe dazu bei, dass das Hörbuch wichtige Momente dieser Freundschaft deutlicher werden lässt, als es die vorzüglich kommentierte Buchausgabe zu leisten vermag:
"Beide sind große Schwimmer. Handke schwimmt - ich übertreibe jetzt - in jedem Gewässer, in dem man schwimmen kann. [...] Und da gab es halt eine Beziehung, weil Siegfried Unseld jeden Morgen, wenn er es denn konnte, seine Bahnen gezogen hat."
Peter Handke braucht sieben Jahre, um mit seinem Verleger warm zu werden. Zum 75. Geburtstag schreibt er ihm:
"Vielleicht glaubt's nicht jeder: doch Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig."
Der Briefwechsel zwischen beiden endet mit Handkes Brief vom 22. April 2002, der Unseld ein halbes Jahr vor seinem Tod erreicht. Dieser Brief ist in dem vorzüglich gestalteten und mit vielen Bildern ausgestalteten Booklet nachzulesen, das diesem sehr gelungenen Hörbuch beiliegt.
Besprochen von Michael Opitz
Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel
Gelesen von Jens Harzer und Ulrich Noethen, kommentiert von Raimund Fellinger, Hörbuch, speak low, Berlin 2013, 4 CDs mit Booklet, ca. 300 Minuten, 24,80 Euro
Mehr Informationen auf dradio.de:
"Ein kanonischer Autor unserer Epoche" - Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler würdigt Peter Handke zum 70. Geburtstag
Gespräche als Vermächtnis - Heinz Ludwig Arnold: "Gespräche mit Autoren", Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 726 Seiten
Eine literarische Korrespondenz - Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 700 Seiten
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Lothar Struck's review of the Correspondence via a p.d.b
http://www.glanzundelend.de/pdf/Leben%20in%20der%20Erz%C3%A4hlung%20-%20Briefwechsel%20Handke%20Unseld.pdf ==================================== HANDKE UND UNSELD „Was uns zusammenführt, ist etwas Großes” VON URSULA MÄRZ27. JANUAR 2013 picture alliance Peter Handke, nicht nur ein politisch verirrter Narr Peter Handke und Siegfried Unseld arbeiteten als Autor und Verleger 37 Jahre zusammen und überwanden einige Streitigkeiten. Ihr Briefwechsel gibt Aufschluss über eine Zusammenarbeit, die 2002 mit dem Tode Unselds endete Natürlich gab es Spannungen. Natürlich gab es auch Krach, gewaltigen Krach sogar. Das konnte im Lauf von fast vier Jahrzehnten literarischer Zusammenarbeit schon deshalb nicht ausbleiben, da es sich bei einem der beiden Beteiligten um Peter Handke handelte, der, um es vorsichtig zu sagen, über ein etwas reizbares Temperament verfügt. Es ist also keineswegs überraschend, im Briefwechsel des österreichischen Schriftstellers mit seinem Frankfurter Verleger Siegfried Unseld Sätze zu lesen, die von Ärger, Verstimmung und Kommunikationskrisen zeugen. Zu einer solchen Krise kommt es im Februar/März 1975. Peter Handke lebt zu dieser Zeit mit seiner kleinen Tochter Amina in Paris. Er hatte gerade das Manuskript seines neuen Romans „Die Stunde der wahren Empfindung“ beendet und es Siegfried Unseld übergeben. Nun wartet er auf eine Reaktion mit – menschlich verständlicher – Nervosität. Taugt der Text? Ist es ein gelungenes Buch? Was denkt Unseld? Warum lässt Unseld nichts von sich hören? Handke wird ungeduldig. Er ruft von Paris aus im Verlag an und spricht mit Siegfried Unseld. Der Unmut darüber, dass er als erfolgreicher, berühmter, fast schon weltberühmter Hausautor den Verleger an dessen Lektüre seines neuen Werkes erinnern muss, scheint den Unmut über das Telefongespräch verstärkt, vielleicht erst hervorgebracht zu haben. Am 21. Februar 1975 schreibt Peter Handke an Siegfried Unseld einen ungewöhnlich langen Brief, im Kern eine bittere Beschwerde: „Hier will ich, was mich seit einiger Zeit beschäftigt, nicht verschweigen: als ich das Manuskript Dir zukommen ließ, hast Du Dich nicht, wie bis dahin immer, nach der Lektüre vor mir geäußert. Ich sage offen, dass ich unruhig war und deshalb von mir aus in Frankfurt anrief. Du sagtest darauf nichts als (was mir außerdem – misstrauisch? – eher pflichtbewusst klang) dass Du ‹begeistert› seist – und dann hörte ich einen Satz, den ich nie vergessen werde: Du sagtest einem Autor, der ja immerhin schon einigermaßen gelesen wird: ‹Dieses Buch wird seine Leser finden›. Was Du da sagtest, schlug mir ein richtiges Loch ins Bewusstsein – es war nicht nur nichtssagend und erschreckend unpersönlich, sondern auch bezeichnend.“ BILDERGALERIE: DEUTSCHLANDS WICHTIGSTE INTELLEKTUELLE – DIE LISTE DER 500 Das klingt dramatisch. Das klingt nach einem Konflikt, der seine Zeit dauern wird. Das wird er aber keineswegs. Denn die Briefe, die nun folgen, sind in ganz erstaunlicher Weise getragen von dem Bemühen, das Konfliktlein so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, es bloß nicht ins Neurotische, Dauerbeleidigte ausufern zu lassen; ein Bemühen von beiden Seiten. Denn überraschend ist an dieser Korrespondenz vor allem eines: die spürbare Entschlossenheit zweier sehr starker, sehr souveräner Männer, der gemeinsamen Sache zuliebe alles persönlich Heikle oder Trennende im Zweifelsfall zurückzustellen. Die Sache ist die Literatur. Der eine schreibt, der andere verlegt sie. Das Gelingen der einen wie der anderen Tätigkeit bedarf nicht nur der Loyalität, sondern auch einer gewissen Großmut aus Vernunft. Und eben diese drückt sich in den Briefen aus. Am 3. März 1975 schreibt Siegfried Unseld einen nicht minder langen, versöhnlichen Brief an Peter Handke, in dem er erklärt, erläutert, beruhigt, richtigstellt und die energischen Werbemaßnahmen skizziert, die der „Stunde der wahren Empfindung“ auf dem Buchmarkt unter die Arme greifen werden. Nur vier Tage später antwortet Peter Handke: „Lieber Siegfried, vielen Dank für Deinen schönen, ausführlichen Brief. Mein letztes Schreiben wirst Du als einen exemplarischen Autorenbrief bewahren können …“ Um die Geste des Einlenkens zu verstärken, schickt Handke wiederum zehn Tage später, am 16. März 1975, einen zweiten, eher privat gehaltenen Brief nach Frankfurt. Er macht gerade Urlaub am Meer in Cabourg, wohnt dort im Grand Hotel. „Lieber Siegfried, hier in der Schublade war so schönes Briefpapier, und weil auch das Meer so heimelig rauscht vor dem Fenster am düsteren Vormittag, will ich das zu einem kleinen Brief nutzen. Ich bin mit Amina, die gerade im Badezimmer Muscheln gewaschen hat, in dem Hotel, von dem ich Dir in Paris erzählt habe. Dein Freund Proust ist hier fein‑sinnig oder ‑sinnlich gewandelt …“ Im Subtext heißt das: Nichts Kleinliches soll zwischen uns geraten. Was uns zusammenführt, ist etwas Großes. Der Name Proust ist hierfür die angemessene Chiffre. Und auch beim ersten gewaltigen Krach im Jahr 1981 geht es um nichts Nebensächliches, sondern um die zentrale Reizfigur des deutschen Literaturbetriebs, um Marcel Reich-Ranicki. Er war kein Handke-Fan, verglich in der FAZ die Erzählung „Die linkshändige Frau“ (1976) mit Hedwig Courths-Mahler, rezensierte den Roman „Langsame Heimkehr“ (1979) in Grund und Boden. Was Peter Handke dem Kritiker gegenüber empfindet, darf man als blanken Hass bezeichnen. Nun findet er eines Tages im Hause Unseld einen Aufsatzband mit Widmung eben dieses Kritikers. Handke kocht über. Handke donnert alttestamentarisch los: „Die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich, meinen Verleger, gelesen habe: ‹In alter Verbundenheit›, da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen. Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“ Unwiderruflich? Natürlich nicht. Sie haben noch elf Jahre Zusammenarbeit vor sich, bis zum Tod Siegfried Unselds im Jahr 2002. Eine Zusammenarbeit, die 1965 begann, als das Manuskript „Die Hornissen“, verfasst von einem jungen, völlig unbekannten österreichischen Studenten, auf den Schreibtisch Unselds kam, der sofort erkannte, dass diesen Studenten und seinen Verlag ein literarisches Werk von Wucht und Eigensinn erwartete. „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskripts uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ So lautet, datiert vom 10. August 1965, das erste zahlreicher Schreiben. Bei ihrer hohen, bisweilen wöchentlichen Frequenz ist zu berücksichtigen, dass sich die Korrespondenz im vor-elektronischen Zeitalter vollzog. Viele Briefe beziehen sich auf vergangene oder geplante Treffen, in Paris, Frankfurt, Österreich, am Küchentisch, im Restaurant, mit und ohne Gattinnen und Kinder, selbstredend mit guten Weinen. Man darf annehmen, dass unter vier Augen Persönlicheres zur Sprache kam. Denn die Briefe klammern es in auffälliger Weise aus. Kein Wort über Liebschaften, wenig Literaturbetriebsklatsch. Nein, in diesen Briefen geht es handwerklich zu. Es geht um die Arbeit am Buch, um Schriftgrößen, Titelgestaltung, Cover, um Auflagenhöhe und Autorenverträge, also auch um Geld. Handke ist, was dies betrifft, selbstbewusst, aber nicht anmaßend. Man nimmt dies, zumal nach der Lektüre der Korrespondenz Thomas Bernhards mit Unseld, gern zur Kenntnis. Handke weiß, was er künstlerisch will und setzt es hartnäckig durch. Unseld weiß, dass es sinnlos ist, einen Mann wie Handke künstlerisch zu knebeln und gibt sehr oft nach. In beidem aber erweist sich Respekt vor dem Tun und Können des anderen. Handke will, dass Wim Wenders sein Skript „Falsche Bewegung“ (1975) verfilmt. Unseld hat dafür den französischen Regisseur Louis Malle und den Weltstar Romy Schneider im Auge. Handke behält recht, Unseld lernt, es einzusehen: „Falsche Bewegung“, Regie Wim Wenders, besetzt mit Hanna Schygulla, zählt heute zu den Klassikern des neuen deutschen Autorenfilms. „Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch nicht.“ Dies, geschrieben von Unseld am 18. Mai 1967, ist vielleicht der Schlüsselsatz der gesamten Korrespondenz. Es ist wohltuend, sie zu lesen. Im vergangenen Jahrzehnt schien es bisweilen, als lösten sich die Konturen dieser beiden Literaturmenschen in Gerüchten, Anekdoten und Sensationen auf; als hätte sich die Existenz Siegfried Unselds darin erschöpft, morgens mit einem schnittigen Auto zum Schwimmen zu fahren, abends Schach zu spielen und sich dazwischen mit seinem Sohn herumzustreiten, und als sei Peter Handke in erster Linie ein politisch verirrter Narr. Hier werden die Konturen noch einmal deutlich, und wir sehen, mit wem wir es zu tun haben: mit einem überragenden Verleger und einem überragenden Schriftsteller, die zur Augenhöhe fanden. Peter Handke, Siegfried Unseld Der Briefwechsel Hg. Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, Berlin 2012 700 S., 39,95 €
LiteraturWie Verleger Unseld seinen Handke in Watte packte
Donnerstag, 06.12.2012, 14:49
700
Seiten Korrespondenz zwischen einem Schriftsteller und einem Verleger –
das klingt nach Studienstoff für Germanisten. Nicht jedoch, wenn die
Verfasser der Briefe Peter Handke und Siegfried Unseld heißen. Ihre
nahezu 600 Briefe erzählen die Geschichte eines
Abhängigkeitsverhältnisses.
Da
ist zum einen der Dichter, ein großer Stilist deutscher Sprache, aber
auch ein gefürchteter Publikumsbeschimpfer, radikal in seinen Urteilen
über andere und dabei selbst hochgradig empfindsam. Und da ist der
Verleger, der Patriarch der deutschen Nachkriegsliteratur. Ein
Charismatiker mit großen Händen und präsidialer Nase. Diese beiden also
schreiben sich, 37 Jahre lang.
Anfangs, 1965, ist Unseld noch der Umworbene. Der erst 22 Jahre alte Handke hat dem Suhrkamp-Verlag sein Erstlingswerk „Die Hornissen“ zugesandt und erhält die Antwort, die sein Leben verändern wird: „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ Schon damals formuliert Unseld wie für die Nachwelt.
Handkes Erwiderung fällt gleichermaßen feierlich aus: „Sehr geehrter Herr Doktor, Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut.“ Doch keine drei Monate später erkundigt sich der Nachwuchs-Autor schon reichlich forsch, wo denn nun bitteschön das Honorar bleibe. „Ich brauche Ihnen keine Genrebilder von meiner Lage zu geben.“ Komisch wird es, wenn sich Handke im nächsten Brief an Unselds Sekretärin wendet, weil diese für den nach Diktat verreisten Verlagschef unterzeichnet hatte.
Inhaltlich geht es meist um Dinge wie Auflagen, Honorare, Ladenpreis und Buchumschlag. Das Interessante steht zwischen den Zeilen: Da verändert sich der Ton. Handke ist zum Hauptprovokateur der Literaturszene aufgestiegen; nun ist er es, der umworben sein will. Autorenpflege nennt man das – und damit kennt Unseld sich aus. Mit Uwe Johnson soll er nächtelang getrunken haben, um ihn aus seiner Schreibblockade zu befreien (auch von diesem Verhältnis zeugen 770 Briefe). Handke wird vom ihm jahrzehntelang in Watte gepackt.
Die Künstlerseele kann mitunter den sachlichsten Brief als „unfreundlich“ empfinden, und selbst wenn sich Unseld über ein neues Werk mit Begeisterung äußert, klingt dies in Handkes Ohren bisweilen nur „pflichtbewusst“. Immer seltener wagt Unseld ein offenes Wort: „Ich habe großes Verständnis für Deine Sensibilität“, schreibt er 1975, „die meine liegt auf einer anderen Wellenlänge.“ Aber um seine Gefühle geht es eben nicht, was ihm nur all zu bewusst ist: „Im Autor/Verleger-Stück braucht es ja wohl unbedingt das umgekehrte Rollenspiel, in dem es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen.“
Ganz heikel wird es bei schlechten Rezensionen. Die muss Unseld mit ausbaden. So verübelt ihm Handke seine „krebserregende“ Nähe zu Marcel Reich-Ranicki, dem „übelsten Monstrum, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“. 1981 verkündet der wieder einmal beleidigte Autor sogar: „Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“ Aber der Briefwechsel geht weiter, Handke bleibt.
Später rächt er sich auf seine Weise, indem er Unseld in „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ als einen „zu jedem Verrat bereiten Ausbeuter“ auftreten lässt. Unseld ist geknickt, beklagt sich auch, aber nicht ohne sofort nachzuschieben: „Lieber Peter, ziehen wir einen Schlussstrich, machen wir ein schönes Buch.“ Als er selbst einmal ein Buch schreibt, reibt ihm Handke zwei Fehler unter die Nase.
Unseld hat seinen Handke bis zum letzten Atemzug gepflegt. Schon schwerkrank, nahm er ihn 2002 noch gegen eine Schmähung in Schutz. Umgekehrt würdigte Handke immerhin in einem Fernsehfilm, dass Unseld in den 90er Jahren seine höchst umstrittenen Jugoslawien-Bücher veröffentlicht hatte. Vielleicht hat er doch gewusst, was er an ihm hatte. Nur geschrieben, geschrieben hat er es ihm nie.
Anfangs, 1965, ist Unseld noch der Umworbene. Der erst 22 Jahre alte Handke hat dem Suhrkamp-Verlag sein Erstlingswerk „Die Hornissen“ zugesandt und erhält die Antwort, die sein Leben verändern wird: „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ Schon damals formuliert Unseld wie für die Nachwelt.
Handkes Erwiderung fällt gleichermaßen feierlich aus: „Sehr geehrter Herr Doktor, Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut.“ Doch keine drei Monate später erkundigt sich der Nachwuchs-Autor schon reichlich forsch, wo denn nun bitteschön das Honorar bleibe. „Ich brauche Ihnen keine Genrebilder von meiner Lage zu geben.“ Komisch wird es, wenn sich Handke im nächsten Brief an Unselds Sekretärin wendet, weil diese für den nach Diktat verreisten Verlagschef unterzeichnet hatte.
Inhaltlich geht es meist um Dinge wie Auflagen, Honorare, Ladenpreis und Buchumschlag. Das Interessante steht zwischen den Zeilen: Da verändert sich der Ton. Handke ist zum Hauptprovokateur der Literaturszene aufgestiegen; nun ist er es, der umworben sein will. Autorenpflege nennt man das – und damit kennt Unseld sich aus. Mit Uwe Johnson soll er nächtelang getrunken haben, um ihn aus seiner Schreibblockade zu befreien (auch von diesem Verhältnis zeugen 770 Briefe). Handke wird vom ihm jahrzehntelang in Watte gepackt.
Die Künstlerseele kann mitunter den sachlichsten Brief als „unfreundlich“ empfinden, und selbst wenn sich Unseld über ein neues Werk mit Begeisterung äußert, klingt dies in Handkes Ohren bisweilen nur „pflichtbewusst“. Immer seltener wagt Unseld ein offenes Wort: „Ich habe großes Verständnis für Deine Sensibilität“, schreibt er 1975, „die meine liegt auf einer anderen Wellenlänge.“ Aber um seine Gefühle geht es eben nicht, was ihm nur all zu bewusst ist: „Im Autor/Verleger-Stück braucht es ja wohl unbedingt das umgekehrte Rollenspiel, in dem es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen.“
Ganz heikel wird es bei schlechten Rezensionen. Die muss Unseld mit ausbaden. So verübelt ihm Handke seine „krebserregende“ Nähe zu Marcel Reich-Ranicki, dem „übelsten Monstrum, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“. 1981 verkündet der wieder einmal beleidigte Autor sogar: „Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“ Aber der Briefwechsel geht weiter, Handke bleibt.
Später rächt er sich auf seine Weise, indem er Unseld in „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ als einen „zu jedem Verrat bereiten Ausbeuter“ auftreten lässt. Unseld ist geknickt, beklagt sich auch, aber nicht ohne sofort nachzuschieben: „Lieber Peter, ziehen wir einen Schlussstrich, machen wir ein schönes Buch.“ Als er selbst einmal ein Buch schreibt, reibt ihm Handke zwei Fehler unter die Nase.
Unseld hat seinen Handke bis zum letzten Atemzug gepflegt. Schon schwerkrank, nahm er ihn 2002 noch gegen eine Schmähung in Schutz. Umgekehrt würdigte Handke immerhin in einem Fernsehfilm, dass Unseld in den 90er Jahren seine höchst umstrittenen Jugoslawien-Bücher veröffentlicht hatte. Vielleicht hat er doch gewusst, was er an ihm hatte. Nur geschrieben, geschrieben hat er es ihm nie.
Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, 700 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978-3-518-42339-4
Literatur: Wie Verleger Unseld seinen Handke in Watte packte - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-wie-verleger-unseld-seinen-handke-in-watte-packte_aid_876288.html
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eter Handke zum 70.Da zieht man die Autorenmütze
06.12.2012 ·
Heute ist Peter Handke siebzig Jahre alt geworden. Pünktlich zum
Festtag erscheint der Briefwechsel des Schriftstellers mit seinem
Verleger Siegfried Unseld.
Von HUBERT SPIEGEL
Am
26.Oktober 1994 eilt Siegfried Unseld nach Paris, um Peter Handke das
erste Exemplar von dessen neuem Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“
zu überbringen. Ein Ritual wird vollzogen, dessen Bedeutung in Zeiten
des E-Books kaum noch zu ermessen ist. Unseld, der über alle Gespräche,
Erlebnisse und Vereinbarungen auf seinen Reisen genaue und oft sehr
lesenswerte Aufzeichnungen anfertigte, hat das Ereignis in einem dieser
legendären „Reiseberichte“ festgehalten: „Zwanzig Minuten lang wurde
kein Wort gewechselt. Er berührte, streichelte das Buch, den Umschlag,
las den Klappentext vorne und hinten, studierte die Titelseite, tastete
das Papier, das ihm sehr gefiel, roch daran, blätterte, las und nickte
zustimmend. Schließlich: ,wunderbar‘.“
Dann
ist die stumme Andacht vorüber, es beginnt das Gespräch und mit diesem
der weniger angenehme Teil des Besuchs. Handke zeigt sich irritiert über
die seiner Meinung nach zu geringe Startauflage des Romans. Nur
zwanzigtausend? Warum nicht vierzigtausend? Unselds nüchterne Verweise
auf die Gegebenheiten des damaligen Buchmarktes wischt die zarte
Dichterhand entschlossen vom Tisch: Der Markt werde sich fügen. Dann
geht es um den heiklen Punkt des Ladenpreises. Unseld schlägt 58 Mark
vor, was Handke als „Zumutung“ und „Unverschämtheit“ empfindet. Er
fordert einen „fairen Preis“:
120
Mark. „So viel müsse man ausgeben für die Leistung, die er erbracht
habe, und er sei sicher, es gäbe weit mehr als 20000 Leute, die bereit
seien, das zu bezahlen.“ Man einigt sich auf 78 Mark, einen für damalige
Verhältnisse recht hohen Preis.
Strafaktion und kaltes Ringen
Vier
Tage später erhält Unseld einen Brief. Sein Inhalt: nackte Wut. Der
Verlag hatte statt der verabredeten zwölf Vorausexemplare für
ausgewählte Redaktionen und Rezensenten nur drei verschickt - unter
anderen an diese Zeitung und den „Spiegel“, zwei Blätter, die der
Dichter nicht sehr schätzt. Eine Panne also. Handkes höhnischer
Kommentar: „Vor dieser neuerlichen verlegerischen Großtat kann ich nur
meine Autorenmütze ziehen...“ Im beigefügten Vertrag ist nun ein
entscheidender Passus geändert: Handke will die auf zehn Jahre
verabredete Geltungsdauer auf sechs Jahre reduzieren und somit die
Möglichkeiten des Verlags, mit dem Roman zu wirtschaften, erheblich
einschränken. Eine Strafaktion.
Was
kann ein Verleger in einer solchen Situation tun? Er lässt einige Tage
verstreichen, dann berichtet er Handke von seiner erneuten Lektüre des
Romans. Unseld verliert nicht viele Worte, denn er weiß, dass es im
Grunde nur auf diesen einen Satz ankommt: „Peter, Du hast ein großes
Buch geschrieben.“ Er verfehlt seine Wirkung nicht, es kommt zu einem
Treffen, und am 18. Dezember zeigt Handke sich versöhnt: „Lieber
Siegfried, es war wieder eine Warmherzigkeit da in Frankfurt, eine alte,
neue.“
Doch
Warmherzigkeit ist ein flüchtiges Gut im Briefwechsel zwischen
Siegfried Unseld und Peter Handke. Es gibt durchaus Momente innigen
Einverständnisses, aber weit häufiger sind die Phasen kalten Ringens und
kleinlichen Geplänkels. 611 Briefe haben die Herausgeber Raimund
Fellinger und Katharina Pektor ausgewählt und kommentiert.
Nach
ihrer Lektüre könnte man meinen, Siegfried Unseld habe das Heimliche
dieser Korrespondenz bereits in jenem ersten Brief formuliert, mit dem
er Handke am 10.August 1965 mitteilte, dass der Suhrkamp Verlag sich
entschieden habe, „Die Hornissen“ zu publizieren: „Nun scheint mir
freilich ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich zu sein.“
Es geht um Loyalität und Vertrauen
Über
einen Zeitraum von 36 Jahren geht es nun immer wieder um Einzelheiten,
um Fragen der Buchgestaltung und des Titels, um Druckfehler, Auflagen
und Abrechnungen, Vorschüsse und Verträge. Es geht um Loyalität und
Vertrauen und mehrfach auch darum, Krisen wie etwa die Serbien-Debatte
zu überstehen oder sogar den drohenden Bruch zu verhindern.
Zunächst
versucht sich Unseld als Erzieher, gibt dem jungen Handke wirkungslos
verpuffende Ratschläge im Umgang mit der Kritik („Jeder Kritiker hat das
Recht, seine Meinung zu äußern, und insofern sie nicht ehrenrührig ist,
ist jeder, der an die Öffentlichkeit tritt, angehalten, diese Kritik
auch anzunehmen“), mahnt zu Genauigkeit in Vertragsdingen, ermuntert mit
den schönsten Folgen zu gelegentlicher Übersetzertätigkeit und gibt dem
selbstgewissen jungen Dichter auch schon mal zu verstehen, dass die
Perspektive eines gut fünfzehn Jahre älteren Verlegers auch ihre Vorzüge
haben kann: „Ich halte es mit der Pranke des Löwen, mit der Kraft des
Dichters, der immer wieder Formen zerbricht und neue schafft“, schreibt
Unseld am 31.Januar 1967.
Doch
mit dem rasant sich entwickelnden Erfolg Handkes ändert sich der Ton:
Der Dichter nörgelt, der Verleger muntert auf. Der Dichter schmollt, der
Verleger wirbt. Der Dichter zürnt, der Verleger glättet die Wogen. Fast
nie begehrt Unseld auf, nur einmal, 1993, protestiert er deutlich gegen
das „Rollenspiel, in dem es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich
nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen“.
Wie
schon im 2010 erschienenen Briefwechsel zwischen Unseld und Thomas
Bernhard verblüfft auch hier wieder, in welchem Ausmaß Siegfried Unseld
zu Geduld, Diplomatie und Selbstverleugnung im Dienste von Verlag und
Literatur imstande war. Neben dem Einfühlungsvermögen des Verlegers
scheint die Sensibilität der Dichter zusammenzuschrumpfen bis auf die
reine Ich-Bezogenheit.
Er kann nun mal nicht anders
Doch
einen gewichtigen Unterschied gibt es: Während Bernhard sein
erpresserisches Spiel nicht ohne Lust an der Grausamkeit betrieb, agiert
Handke eher mit der Freudlosigkeit der passiv-aggressiven Ehefrau: Spaß
macht ihm die Streiterei ja auch nicht, aber er kann nun mal nicht
anders.
Und
tatsächlich spricht Handke schon früh und offen von seiner „blöden
Empfindlichkeit“ und einer unseligen Lust an der Entzweiung. Dass trotz
alledem eine Freundschaft entstand, wird in dieser Korrespondenz nie mit
pathetischen Worten beschworen, aber doch deutlich - und nie deutlicher
als in jenem Brief, den Peter Handke am 21.September 1999 an Siegfried
Unseld richtete. In seinem Gruß zum 75.Geburtstag des Verlegers schrieb
Handke, der heute siebzig Jahre alt wird, dass er in Siegfried Unseld
nicht nur seinen Verleger, sondern auch seinen Leser gefunden habe: „Der
Leser erzählte mir mein Manuskript, und erst danach, lange danach,
sprach der Verleger darüber.“
Dass
Handke den Leser Unseld und den Verleger Unseld nicht so wahrnehmen
konnte, wie dieser wahrgenommen werden wollte - als Einheit -, das war
für den Patriarchen nichts Neues. Überrascht aber hat ihn womöglich ein
Satz aus diesem schönen Brief, mit dem Handke zeigte, dass ihm in all
den Jahren durchaus nicht entgangen war, wie Unseld darum ringen musste,
als Verleger das Geschäft und die Kunst, „aktives und anschauendes
Leben“ miteinander zu vereinen: „Vielleicht glaubt’s nicht jeder: doch
Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und
Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig.“
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