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Wednesday, December 19, 2012

DIE HORNISSEN/ THE HORNETS/LOS AVISPONES





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Im Jahr 1966 erschien Handkes erster Roman Die Hornissen. Es ist der Versuch, die Entstehung eines Romans zu beschreiben. Ein Mann hat vor Jahren ein Buch gelesen: oder er hat das Buch nicht einmal gelesen, sondern es ist ihm nur von anderer Seite von dem Buch erzählt worden. Nun aber, eines Tages im Sommer, wird er, vielleicht durch eine Übereinstimmung dessen, was ihm selber zustößt, mit dem, was dem blinden Helden des Romans zugestoßen ist, eben an jenes verschollene Buch erinnert, von dem er meint, es vor Zeiten gelesen zu haben. Aus den zerbrochenen Stücken, an die er sich zu erinnern glaubt, aus Worten, aus Sätzen, aus halbverlorenen Bildern denkt der Mann den Roman aus, und zwar derart, daß unentscheidbar bleibt, ob das Geschehen in dem »neuen« Roman nur den »Helden« des alten Romans betrifft oder auch ihn, der ihn ausdenkt.

Below is a fascinating review of DIE HORNISSEN, which I never saw before.
DIE ZEIT
http://www.zeit.de/2012/50/Peter-Handke-Versuch-ueber-den-Stillen-Ort

put it online with their excerpts from the HANDKE / UNSELD correspondence,
where Handke violently object to the review, and Unseld warns him to get used to it
What is fascinating is that this review, from a certain perspective, is utterly
correct, but entirely misses the sense of the book. That is something that Handke
himself, however, doesn't say in so many words. Werth attacks the book after giving
an accurrate description of it for the means it uses, and never realizes that
Handke, in this fashion, conveys a state of mind. Interesting to note that Handke
even then, in 1967, finds Grass to be a Konsum autor. HORNISSEN intrigued me at the
time, I had just started as editor for German books at Farrar, Straus... but I realized
that my colleagues there, with the exception possibly of Henry Robbins the editor of Barthelme who would depart the premises within the year, would be
entirely baffled by this approach to writing. Matters would have been different had
it been at Grove Press, but they already had Fred Jordan and Richard Seaver.
Handke, like the mama's boy I expect he is still, despite claiming in recent interviews
that he is "relatively normal" and "ausgelichen" - das ich nicht schallend lache!  anything to get on t.v. and try out a new personality that does not bite! - never did get used to any form of criticism, and didn't even realize that maybe the occasional non-hossannah in Manuskripte might actually lend greater credence to positive ones there, and threatened, the threatener that he is, also in the correspondence with Unseld, his closest buddy Kolleritch that he will never get anything from him if he ever runs a negative review again. The subsequent DER HAUSIERER was comparatively pellucid
to me and we had a contract, but Handke revealing that it was chockful of quotes from U.S. Black Mask type detective stories from German translations, then made life easier all arount to have GOALIE as the first translated novel. Yet I still think that HAUSIERER is the more important one. At least it exists in Spanish and the other Romance languages, as does DIE HORNISSEN, Los Avispones. Wasps, spanish doesn't seem to have a word for Hornets.
 A major bother during my childhood too as of 1941, and in the summer of 1944 a B-17 nearly crashed into our house outside Bremen.
I forget who the Suhrkamp editor who recocommended the book, but Unseld evidently had read it himself too. It was turned down by Luchterhand initially. Those were the days.
 















Schreibmuster


Peter Handkes Erstlingsroman „Die Hornissen“

Von Wolfgang Werth

Auf Nummer Sicher gehen – wer nicht wagt, gewinnt!“ Diese Parole, die ein bundesdeutscher Wahlkampfstratege, ein Gegner des Zahlenlottos oder ein Produzent von Antibabypillen erfunden haben könnte, scheinen manche Literaten zur Maxime ihres Schreibens gemacht zu haben. Auf Nummer Sicher gehen heißt, den Überraschungen ausweichen, die man zwangsläufig erleben würde, ließe man sich auf das Abenteuer mit der Wirklichkeit ein – und heißt einen modus scribendi finden, der volle Immunität garantiert. Statt Wirklichkeit ins Bild zu bringen, denkt man sich subjektive Schreib- und Beschreibungsmuster aus, die nur das gelten lassen müssen und dürfen, was ihnen paßt.

Texte, die auf diese Weise entstehen, haben sich allein durch die Schlüssigkeit ihres internen Bezugssystems zu rechtfertigen. Ihre Verfertigung verlangt vom Autor keine hohen Schöpfergaben, wohl aber einige Intelligenz und Kombinationsfähigkeit. Wer die Grenzen des eigenen Entwurfs kennt und in ihnen seinen Text sorgfältig arrangiert, kann durchaus hochartifizielle Prosagebilde zustande bringen, Beispiele eines literarischen Kunsthandwerks, das seine Bewunderer findet, auch wenn dabei meist ehrfürchtige Langeweile im Spiel ist.
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Wo aber die Bedingungen des selbstgewählten Musters mißachtet werden, wo anderes beabsichtigt wird, als im engen Rahmen des Möglichen geschehen kann, zerbricht das Gebilde, noch ehe es entstanden ist. Das zeigt sich bei der Lektüre des ersten Prosaversuchs von

Peter Handke: „Die Hornissen“, Roman; Suhrkamp Verlag, Frankfurt; 277 Seiten, 16,80 DM.

Das Buch will den vergeblichen Versuch protokollieren, eine nur noch partiell erinnerliche Fiktion neu zu fixieren; zugleich soll die Fiktivität jeglicher Erinnerung kenntlich werden. Handkes Entwurf (der am Schluß der „Hornissen“ wichtigtuerisch erläutert wird) geht von einer recht zweifelhaften Spiegelsituation aus: Ein blinder Mann, der wesentliche Ereignisse seiner Kindheit aus dem Gedächtnis verloren hat, ist fest davon überzeugt, vor Jahren, vor seiner Erblindung, ein Buch gelesen zu haben, von dem er meint, daß es sozusagen eine Vor-Schrift seiner eigenen Lebensgeschichte gewesen sei. In diesem Buch erinnerte sich ein Blinder, ebenfalls bruchstückhaft und „ohne Ordnung“, an Geschehnisse aus seiner Kindheit, die später (als er die Lektüre schon vergessen hatte) im Leben des sich nun an das Buch erinnernden Blinden ihre genaue Entsprechung gefunden haben. Erzählt wurde „von zwei Brüdern, von denen später der eine, als er allein nach dem abgängigen zweiten sucht, erblindet; es wird aus der Erzählung nicht ganz klar, durch welches Ereignis der Knabe erblindet; es wird nur mehrmals gesagt, daß ein Kriegszustand herrsche; die näheren Angaben über das Unglück jedoch fehlen, oder er hat sie vergessen“.

Der erste Blinde hat es also im Gegensatz zu seinem fiktiven Spiegelbild mit zwei fragmentarischen Erinnerungssphären zu tun. Es beunruhigt ihn angeblich, daß sowohl in seiner eigenen Lebensgeschichte als auch in dem Buch Lücken klaffen, die sein Gedächtnis nicht schließen kann. Er weiß, daß etwas fehlt, aber er weiß nicht „was es ist und wie es ist“, und das„macht ihn begierig zu wissen“. Wenn es ihm mit diesem Wunsch wirklich so ernst ist, wie behauptet wird, wäre es wohl das Nächstliegende, er stellte Nachforschungen an: Ein Rundschreiben an alle Bibliotheken fände vielleicht einen Empfänger, der das gemeinte Buch zutage fördern könnte.

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Und was seine eigenen vergessenen Erlebnisse betrifft, so wäre möglicherweise der eine oder andere Augenzeuge des damals Geschehenen zu ermitteln, der sich eben jener Tatsachen entsänne, die dem Wißbegierigen entfallen sind. Doch Handkes Entwurf sieht derlei Erkundungen nicht vor – sie würden den vorgeplanten Verlauf des Buches stören. Hier zeigt sich eine weitere Schwäche des Schreibmusters: Anders als etwa Ror Wolfs „Fortsetzung des Berichts“ oder die Halbschlafimaginationen Hermann Peter Piwitts können „Die Hornissen“ die Reduktion ihrer Erzählfigur nicht durch sich selbst begründen. Der Autor versucht sich aus der Affäre zu ziehen, indem er Blindheit kühnlich als Synonym eines absoluten Kontaktverlusts einsetzt. Wider alle Erfahrungen verkündet er; „Wer blind ist, ist auch unsichtbar“, oder: „Wenn ein Geblendeter vor dem Spiegel steht, steht niemand vor dem Spiegel.“

Das Diktat des Autors verdammt den Blinden dazu, allenfalls dadurch präsent werden zu können, daß er sich erinnert oder sich etwas ausdenkt, also nur in den subjektiven Vorgängen, die das Thema des Buches sein sollen. Doch Handke ist dem einen Dilemma nur ausgewichen, um sofort in ein neues zu schlittern: Unter den gewählten Voraussetzungen kann die Suche nach dem „scheinbar Vergessenen“ gar nicht stattfinden. Da die Erinnerungen und Mutmaßungen des Blinden gleichzeitig auf die Fiktion und auf die eigene Geschichte bezogen werden und da sie nirgends einen sicheren Anhaltspunkt haben, verliert die Erzählfigur ihre Identität. Sie löst sich in einem Vexier- und Spiegelspiel auf, das in allen möglichen Brechungen und Verschiebungen totes Material aufscheinen läßt.

Immer wieder projizieren sich direkte und mittelbare Erinnerungen gleichwertig und ununterscheidbar ineinander. Erinnerte Erzählungen, die den Blinden der „Hornissen“ oder den der Fiktion oder beide betreffen, werden in indirekter Rede nacherzählt, bis sich das unbestimmte Ich an einer Stelle wiedererkennt und den Bericht mit eigenen Worten fortsetzt. Direkte Erzählung mündet in ein echtes oder vermeintliches Zitat, tritt wieder daraus hervor, bricht plötzlich ab, um einem neuen Einfall oder einem variierten alten Platz zu machen, der seinerseits in wenigen Sätzen verpufft, vielleicht, um an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen und abgeändert zu werden.

Fortwährend wechseln bei der Darbietung des weder Herkunft noch Ziel verratenden Materials die personalen und zeitlichen Bezüge, die Modalformen und Stilmittel, wobei im einzelnen beliebig bleibt, was wann wo und wie erzählt wird. Der einzige Sinn dieser grammatikalischen Wechseisprünge und dieser Intonationsübungen scheint darin zu bestehen, die Unverbindlichkeit jeglichen Fixierungsversuches zu denunzieren.

Der Stoff, der dazu gebraucht wird, ist austauschbar. Handke hat ihn so gewählt, daß der Leser gar nicht in Versuchung kommt, sich sonderlich für seine etwa doch noch vorhandene Eigenwertigkeit zu interessieren. Man erfährt, daß der Erzähler (welcher?) als ältester von drei Brüdern auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Die Gegend wird als entlegene Gebirgslandschaft vorgestellt, doch es wird nicht gesagt, von wo aus sie als entlegen zu betrachten ist. Auch eine historische Zeit ist nicht auszumachen. Verschiedentlich auftauchende Bombenflugzeuge, einmal auch Soldaten, signalisieren Krieg, der aber nur einmal in das Leben der erinnerten Personen eingreift: Weil das Schulhaus, das die Brüder besucht hatten, zerstört wurde, müssen sie in einem anderen Ort zum Unterricht gehen. Der Weg führt über einen Bach oder an einem Bach vorbei, in dem eines Tages einer der beiden Brüder ertrinkt. Die genaueren Umstände des Unglücks sind nicht mehr bekannt. Ein anderer Komplex betrifft die Erblindung des Erzählers, die – wie der verschollenen Fiktion erinnerlich – mit der Suche nach dem „abgängigen“ zweiten Bruder zusammenhängt. Auch hier bleibt der Unglücksfall selber im dunkeln.

Neben diesen Imaginationen, die die blinden Stellen der Geschichte umspielen, sie aber nicht erhellen, findet man andere, deren Bedeutung für das verlorene Ganze kaum oder gar nicht zu erkennen ist. Da wird etwa eine für solche Schreibmusterliteratur fast schon obligatorische Mahlzeit in Zeitlupenmanier geschildert, eine Ankleideszene zelebriert oder, unter Verwendung sämtlicher Verben des Sagens und Erwiderns, über ein Gespräch berichtet, das Vater und Sohn auf dem Wege zur Kirche führen. Von einem Mann mit einem Seesack ist die Rede – er reist mit dem Zug einem unbestimmten Ziel entgegen, um, dort angekommen, die Bahnhofstoilette aufzusuchen, Ein Kartenspiel, bei dem der Erzähler unbemerkt unter dem Tisch sitzt, von den Beinen der Spieler eingepfercht; das Aufwaschen von Geschirr; das Leben in einer Blindenanstalt; Umstände mit einem Fahrrad, das per Bus an irgendeine Adresse geschickt werden soll, aber offenbar nicht geschickt wird; die Zerstörung eines Wespennestes oder Mutmaßungen über eine Panik, die im Kino ausbrechen könnte – all das und anderes, ähnlich Beliebiges, wird aus unterschiedlicher Distanz und mit unterschiedlicher Schärfe nach- oder eingebildet.

Mitunter wird dabei der Vorgang der „Verbildlichung“ mit grotesker Akribie vorgeführt: „Dann ließ ich das Bild der Daumen das Bild der Frucht zerbrechen und das Bild der Scheibe dem Bild des anderen reichen, und wiewohl ich mir ein Bild von dem zweiten verwehrenden Schütteln des Kopfes machte, ließ ich schmählich das Bild der Hand nach dem Bild der Fruchtscheibe greifen und zu dem Bild des Mundes aufheben ...“

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Eine andere Möglichkeit, die Imagination zu entwirklichen, ist die Abstraktion: „Sie gingen weiter und die Straße zurück, bis sie zu einer Abzweigung kamen, auf der sie dann gingen, bis sie wieder zu einer Abzweigung kamen, auf der sie weitergingen ...“

Andererseits fehlt es jedoch auch nicht an Bemühungen, etwas so intensiv und genau zu schildern wie nur möglich. Dabei verrät sich nun aber erst recht die Unbeholfenheit des ehrgeizigen Autors, öfter, als man es hingehen lassen kann, verkehrt sich, was origineller und treffender Vergleich oder genaue Bezeichnung eines Vorgangs sein will, in unfreiwillige Komik oder baren Unsinn.

Da heißt es etwa vom Filmvorführer, er schlage „die Zähne in den von der Sonne vollgummiweichen Apfel“, es wird behauptet, daß „das Schnauben des Gauls“ den Vater einen Abhang hinauf „strampelt“, dem nämlichen Gaul „schmilzt“ eine Bremse ins Fell, und der Erzähler hat sich gar „auf die Leiter gesattelt“.

Die Unbekümmertheit, mit der Handke hier von falschen Bezügen und Gesuchtheiten Gebrauch macht, steht in merkwürdigem Kontrast zu der an anderen Stellen des Buches behaupteten Skepsis gegenüber dem Wort. Da nämlich wird in Frage gestellt, ob die Sprache überhaupt geeignet sei, die im Hirn produzierten Abbilder der Wirklichkeit mitteilbar zu machen. Worte, so erkennt Handke, sind nur Namen. Wer mit ihnen etwas benennen will, muß sie genau prüfen. Der Autor tut es, indem er beispielsweise die Namen der Geräusche aufzählt und sie den Geräuschen anprobiert oder indem er Miniaturessays über die Bedeutung und Widersprüchlichkeit bestimmter Worte in das Buch aufnimmt. Diese halbtheoretischen Einschiebsel tragen jedoch nur dazu bei, den Text aus Teilen noch mehr zu zerstückeln. Sie widerlegen damit ein weiteres Mal die Behauptung, daß die „Hornissen“ ein Roman oder doch wenigstens ein zusammenhängender Prosaversuch seien.

Das Buch zerschellt gerade an jenen Spiegeltricks, Eselsbrücken und Hilfskonstruktionen, die es haltbar machen sollen. Daß der Autor Verschiedenes, einander Widersprechendes gleichzeitig erreichen will, führt dazu, daß er letztlich gar nichts erreicht.

„Die Hornissen“ bleiben ein Sammelsurium von Ansätzen, Skizzen, Glossen, Wortregistern und literarischen Kopien, die Handkes Belesenheit gerade in Sachen „Schreibmusterliteratur“ verraten – eben jener Literatur, gegen die er auf der Princeton-Tagung der Gruppe 47 in vielberedetem Alleingang polemisiert hatte. War das wirklich der Autor der „Hornissen“?

Das zweite Buch von Peter Handke wird dieses Vexierrätsel vielleicht lösen.













Thursday, December 6, 2012

HANDKE & SIEGFRIED UNSELD CORRESPONDENCE

KLAPPENTEXT

Herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Einen feierlichen Ton wählt Siegfried Unseld im Eingangssatz seines ersten Briefs an Peter Handke: "ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen." Mit diesem Schreiben vom August 1965 setzt eine Korrespondenz ein, die annähernd 600 Briefe und einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren umfasst, in denen Peter Handke und Siegfried Unseld das ihnen Wichtigste schriftlich besprachen: die Literatur, die Bücher, unterrichtete der Autor den Verleger von seinen Vorhaben, hielt Unseld schriftlich seine Eindrücke über die neuen Manuskripte fest, diskutierten beide Erscheinungstermin und Ausstattung von Büchern, Publikationsstrategien und Kritikerrezensionen.
http://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-wie-verleger-unseld-seinen-handke-in-watte-packte_aid_876288.html==============================================


19.04.2013 · 16:33 Uhr
Der Verleger Siegfried Unseld schrieb 1965 seinen ersten Brief an Peter Handke (Bild: picture-alliance / dpa)Der Verleger Siegfried Unseld schrieb 1965 seinen ersten Brief an Peter Handke (Bild: picture-alliance / dpa)

"Er ist manchmal ein Tölpel im guten Sinn"

Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, gelesen von Jens Harzer und Ulrich Noethen, Hörbuch, speak low, Berlin 2013, ca. 300 Minuten

Der Briefwechsel begann 1965, als Suhrkamp-Verlagsleiter Siegfried Unseld dem 22-jährigen Debütanten Peter Handke postalisch mitteilte, sein Roman "Die Hornissen" werde vom Haus verlegt. Die wechselhafte Korrespondenz der beiden endete erst kurz vor dem Tod Unselds und ist nun als Hörbuch erschienen.
"Heute nacht träumte ich von uns beiden; wir gingen eine lange, sachte Steintreppe empor, und ein Entgegenkommender sagte, Du solltest auf Deine Gesundheit mehr achten. Ich antwortete, das tätest Du bereits, indem Du so mit mir langsam bergan stiegest."

Peter Handke sorgt sich im Traum um seinen Verleger Siegfried Unseld. Jens Harzer, der auf dem als Hörbuch erschienenen Briefwechsel zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld den Autor spricht, verleiht Handkes Stimme eine auffällige Bedächtigkeit. Behutsam wählt er die Worte. Das versucht auch Siegfried Unseld in seinen Briefen, was ihm aber offensichtlich nicht immer gelungen ist:

"Lieber Peter,
Es fällt mir schwer, Dir ohne Eingeschüchtertsein zu schreiben. [...] Bei der Vielzahl von Briefen, die ich tagtäglich diktiere, versuche ich mich konsequent, als Schreibhilfe, in den einzelnen Empfänger hineinzudenken, dass mir dies bei Dir misslungen ist, bedaure ich natürlich sehr."


Ulrich Noethen, der Siegfried Unselds Briefe liest, hat es als Sprecher mit einem Ruhelosen zu tun. Der Dynamik dieses Mannes, der mit Herz und Seele Verleger war, der die Kunst beherrschte, die Wogen nach einem Sturm wieder zu glätten, verleiht Noethen Ausdruck, indem er das Sprechtempo und die Stimmlage, in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation, variiert. Beide Stimmen stehen für unterschiedliche Charaktere, und beiden Sprechern gelingt es, diese Charaktere deutlich werden zu lassen. Selbst wenn die Zeichen auf Sturm stehen, scheint Peter Handke nicht die Contenance zu verlieren.

"Lieber Siegfried (immer noch),
die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag vor zwei Jahren, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich meinen Verleger, gelesen habe [...], da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen."


Verärgert war Handke über Reich-Ranickis Buch "Entgegnung. Zur deutschen Literatur der siebziger Jahre". Doch mit sehr viel Einfühlungsvermögen gelingt es Unseld - Pathos dabei durchaus nicht scheuend -, Peter Handke von diesem Entschluss abzubringen. Auf diesen und auf ähnliche Notrufe seines Autors reagierte er mit vermehrter Zuwendung:

"Wie die Jahresringe des Baumes soll Dein Werk im Suhrkamp Verlag wachsen. [...] Ich bin glücklich, Dein Verleger sein zu dürfen, gönne es mir weiterhin."

Aber auch Peter Handke, empfindlich und empfindsam, weiß, was er an Unseld hat:

"Für viele, auch für den Unterzeichneten, bist Du in Deiner Art und Aufmerksamkeit unentbehrlich."

Als Dritter mischt sich in dieses dialogische Sprechen im O-Ton der langjährige Lektor Peter Handkes, Raimund Fellinger, ein:

"Und dann kam ich irgendwann als ganz junger Mensch ins Spiel."

... mit durchaus unterschiedlichem Erfolg, denn nicht alle Spielzüge des Lektors finden die uneingeschränkte Zustimmung des Autors.

"Er ist manchmal ein Tölpel im guten Sinn und manchmal in einem anderen."

In einem ganz anderen Sinn tritt er im Hörbuch in Erscheinung. Fellinger weiß viel über Handke, Unseld und den Suhrkamp Verlag. Er interpretiert weder die Korrespondenz noch kommentiert er sie, sondern er leuchtet jenen Bereich aus, der den Hintergrund der Briefe bildet. Behutsam ergänzt er das Geschriebene und diese kleinen Porträtskizzen tragen in der Summe dazu bei, dass das Hörbuch wichtige Momente dieser Freundschaft deutlicher werden lässt, als es die vorzüglich kommentierte Buchausgabe zu leisten vermag:

"Beide sind große Schwimmer. Handke schwimmt - ich übertreibe jetzt - in jedem Gewässer, in dem man schwimmen kann. [...] Und da gab es halt eine Beziehung, weil Siegfried Unseld jeden Morgen, wenn er es denn konnte, seine Bahnen gezogen hat."

Peter Handke braucht sieben Jahre, um mit seinem Verleger warm zu werden. Zum 75. Geburtstag schreibt er ihm:

"Vielleicht glaubt's nicht jeder: doch Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig."

Der Briefwechsel zwischen beiden endet mit Handkes Brief vom 22. April 2002, der Unseld ein halbes Jahr vor seinem Tod erreicht. Dieser Brief ist in dem vorzüglich gestalteten und mit vielen Bildern ausgestalteten Booklet nachzulesen, das diesem sehr gelungenen Hörbuch beiliegt.

Besprochen von Michael Opitz

Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel
Gelesen von Jens Harzer und Ulrich Noethen, kommentiert von Raimund Fellinger, Hörbuch, speak low, Berlin 2013, 4 CDs mit Booklet, ca. 300 Minuten, 24,80 Euro

Mehr Informationen auf dradio.de:

"Ein kanonischer Autor unserer Epoche" - Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler würdigt Peter Handke zum 70. Geburtstag
Gespräche als Vermächtnis - Heinz Ludwig Arnold: "Gespräche mit Autoren", Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, 726 Seiten
Eine literarische Korrespondenz - Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 700 Seiten



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Lothar Struck's review of the Correspondence via a p.d.b 
 http://www.glanzundelend.de/pdf/Leben%20in%20der%20Erz%C3%A4hlung%20-%20Briefwechsel%20Handke%20Unseld.pdf


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HANDKE UND UNSELD
„Was uns zusammenführt, ist etwas Großes”
VON URSULA MÄRZ27. JANUAR 2013
picture alliance

Peter Handke, nicht nur ein politisch verirrter Narr
Peter Handke und Siegfried Unseld arbeiteten als Autor und Verleger 37
Jahre zusammen und überwanden einige Streitigkeiten. Ihr Briefwechsel
gibt Aufschluss über eine Zusammenarbeit, die 2002 mit dem Tode
Unselds endete


Natürlich gab es Spannungen. Natürlich gab es auch Krach, gewaltigen
Krach sogar. Das konnte im Lauf von fast vier Jahrzehnten
literarischer Zusammenarbeit schon deshalb nicht ausbleiben, da es
sich bei einem der beiden Beteiligten um Peter Handke handelte, der,
um es vorsichtig zu sagen, über ein etwas reizbares Temperament
verfügt. Es ist also keineswegs überraschend, im Briefwechsel des
österreichischen Schriftstellers mit seinem Frankfurter Verleger
Siegfried Unseld Sätze zu lesen, die von Ärger, Verstimmung und
Kommunikationskrisen zeugen.

Zu einer solchen Krise kommt es im Februar/März 1975. Peter Handke
lebt zu dieser Zeit mit seiner kleinen Tochter Amina in Paris. Er
hatte gerade das Manuskript seines neuen Romans „Die Stunde der wahren
Empfindung“ beendet und es Siegfried Unseld übergeben. Nun wartet er
auf eine Reaktion mit – menschlich verständlicher – Nervosität. Taugt
der Text? Ist es ein gelungenes Buch? Was denkt Unseld? Warum lässt
Unseld nichts von sich hören?

Handke wird ungeduldig. Er ruft von Paris aus im Verlag an und spricht
mit Siegfried Unseld. Der Unmut darüber, dass er als erfolgreicher,
berühmter, fast schon weltberühmter Hausautor den Verleger an dessen
Lektüre seines neuen Werkes erinnern muss, scheint den Unmut über das
Telefon­gespräch verstärkt, vielleicht erst hervorgebracht zu haben.

Am 21. Februar 1975 schreibt Peter Handke an Siegfried Unseld einen
ungewöhnlich langen Brief, im Kern eine bittere Beschwerde: „Hier will
ich, was mich seit einiger Zeit beschäftigt, nicht verschweigen: als
ich das Manuskript Dir zukommen ließ, hast Du Dich nicht, wie bis
dahin immer, nach der Lektüre vor mir geäußert. Ich sage offen, dass
ich unruhig war und deshalb von mir aus in Frankfurt anrief. Du
sagtest da­rauf nichts als (was mir außerdem – misstrauisch? – eher
pflichtbewusst klang) dass Du ‹begeistert› seist – und dann hörte ich
einen Satz, den ich nie vergessen werde: Du sagtest einem Autor, der
ja immerhin schon einigermaßen gelesen wird: ‹Dieses Buch wird seine
Leser finden›. Was Du da sagtest, schlug mir ein richtiges Loch ins
Bewusstsein – es war nicht nur nichtssagend und erschreckend
unpersönlich, sondern auch bezeichnend.“

BILDERGALERIE: DEUTSCHLANDS WICHTIGSTE INTELLEKTUELLE – DIE LISTE DER 500

Das klingt dramatisch. Das klingt nach einem Konflikt, der seine Zeit
dauern wird. Das wird er aber keineswegs. Denn die Briefe, die nun
folgen, sind in ganz erstaunlicher Weise getragen von dem Bemühen, das
Konfliktlein so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, es bloß
nicht ins Neurotische, Dauerbeleidigte ausufern zu lassen; ein Bemühen
von beiden Seiten. Denn überraschend ist an dieser Korrespondenz vor
allem eines: die spürbare Entschlossenheit zweier sehr starker, sehr
souveräner Männer, der gemeinsamen Sache zuliebe alles persönlich
Heikle oder Trennende im Zweifelsfall zurückzustellen. Die Sach­e ist
die Literatur. Der eine schreibt, der andere verlegt sie. Das Gelingen
der einen wie der anderen Tätigkeit bedarf nicht nur der Loyalität,
sondern auch einer gewissen Großmut aus Vernunft. Und eben diese
drückt sich in den Briefen aus.

Am 3. März 1975 schreibt Siegfried Unseld einen nicht minder langen,
versöhnlichen Brief an Peter Handke, in dem er erklärt, erläutert,
beruhigt, richtigstellt und die energischen Werbemaßnahmen skizziert,
die der „Stunde der wahren Empfindung“ auf dem Buchmarkt unter die
Arme greifen werden. Nur vier Tage später antwortet Peter Handke:
„Lieber Siegfried, vielen Dank für Deinen schönen, ausführlichen
Brief. Mein letztes Schreiben wirst Du als einen exemplarischen
Autorenbrief bewahren können …“ Um die Geste des Einlenkens zu
verstärken, schickt Handke wiederum zehn Tage später, am 16. März
1975, einen zweiten, eher privat gehaltenen Brief nach Frankfurt. Er
macht gerade Urlaub am Meer in Cabourg, wohnt dort im Grand Hotel.
„Lieber Siegfried, hier in der Schublade war so schönes Briefpapier,
und weil auch das Meer so heimelig rauscht vor dem Fenster am düsteren
Vormittag, will ich das zu einem kleinen Brief nutzen. Ich bin mit
Amina, die gerade im Badezimmer Muscheln gewaschen hat, in dem Hotel,
von dem ich Dir in Paris erzählt habe. Dein Freund Proust ist hier
fein‑sinnig oder ‑sinnlich gewandelt …“


Im Subtext heißt das: Nichts Kleinliches soll zwischen uns geraten.
Was uns zusammenführt, ist etwas Großes. Der Name Proust ist hierfür
die angemessene Chiffre. Und auch beim ersten gewaltigen Krach im Jahr
1981 geht es um nichts Nebensächliches, sondern um die zentrale
Reizfigur des deutschen Literaturbetriebs, um Marcel Reich-Ranicki. Er
war kein Handke-Fan, verglich in der FAZ die Erzählung „Die
linkshändige Frau“ (1976) mit Hedwig Courths-Mahler, rezensierte den
Roman „Langsame Heimkehr“ (1979) in Grund und Boden. Was Peter Handke
dem Kritiker gegenüber empfindet, darf man als blanken Hass
bezeichnen. Nun findet er eines Tages im Hause Unseld einen
Aufsatzband mit Widmung eben dieses Kritikers. Handke kocht über.
Handke donnert alttestamentarisch los: „Die Zeit der Lügen muss ein
Ende haben. Schon an jenem Tag, als ich am Frühstückstisch in
Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche
Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich,
meinen Verleger, gelesen habe: ‹In alter Verbundenheit›, da hätte ich
die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für
immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen. Unsere
Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“

Unwiderruflich? Natürlich nicht. Sie haben noch elf Jahre
Zusammenarbeit vor sich, bis zum Tod Siegfried Unselds im Jahr 2002.
Eine Zusammenarbeit, die 1965 begann, als das Manuskript „Die
Hornissen“, verfasst von einem jungen, völlig unbekannten
österreichischen Studenten, auf den Schreibtisch Unselds kam, der
sofort erkannte, dass diesen Studenten und seinen Verlag ein
literarisches Werk von Wucht und Eigensinn erwartete. „Sehr geehrter
Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach
genauer Lektüre Ihres Manuskripts uns entschieden haben, Ihre Arbeit
in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ So lautet, datiert vom 10.
August 1965, das erste zahlreicher Schreiben. Bei ihrer hohen,
bisweilen wöchentlichen Frequenz ist zu berücksichtigen, dass sich die
Korrespondenz im vor-elektronischen Zeitalter vollzog. Viele Briefe
beziehen sich auf vergangene oder geplante Treffen, in Paris,
Frankfurt, Österreich, am Küchentisch, im Restaurant, mit und ohne
Gattinnen und Kinder, selbstredend mit guten Weinen. Man darf
annehmen, dass unter vier Augen Persönlicheres zur Sprache kam. Denn
die Briefe klammern es in auffälliger Weise aus. Kein Wort über
Liebschaften, wenig Literaturbetriebsklatsch.

Nein, in diesen Briefen geht es handwerklich zu. Es geht um die Arbeit
am Buch, um Schriftgrößen, Titelgestaltung, Cover, um Auflagenhöhe und
Autorenverträge, also auch um Geld. Handke ist, was dies betrifft,
selbstbewusst, aber nicht anmaßend. Man nimmt dies, zumal nach der
Lektüre der Korrespondenz Thomas Bernhards mit Unseld, gern zur
Kenntnis. Handke weiß, was er künstlerisch will und setzt es
hartnäckig durch. Unseld weiß, dass es sinnlos ist, einen Mann wie
Handke künstlerisch zu knebeln und gibt sehr oft nach. In beidem aber
erweist sich Respekt vor dem Tun und Können des anderen. Handke will,
dass Wim Wenders sein Skript „Falsche Bewegung“ (1975) verfilmt.
Unseld hat dafür den französischen Regisseur Louis Malle und den
Weltstar Romy Schneider im Auge. Handke behält recht, Unseld lernt, es
einzusehen: „Falsche Bewegung“, Regie Wim Wenders, besetzt mit Hanna
Schygulla, zählt heute zu den Klassikern des neuen deutschen
Autorenfilms. „Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch
nicht.“ Dies, geschrieben von Unseld am 18. Mai 1967, ist vielleicht
der Schlüsselsatz der gesamten Korrespondenz.

Es ist wohltuend, sie zu lesen. Im vergangenen Jahrzehnt schien es
bisweilen, als lösten sich die Konturen dieser beiden
Literaturmenschen in Gerüchten, Anekdoten und Sensationen auf; als
hätte sich die Existenz Siegfried Unselds darin erschöpft, morgens mit
einem schnittigen Auto zum Schwimmen zu fahren, abends Schach zu
spielen und sich dazwischen mit seinem Sohn herumzustreiten, und als
sei Peter Handke in erster Linie ein politisch verirrter Narr. Hier
werden die Konturen noch einmal deutlich, und wir sehen, mit wem wir
es zu tun haben: mit eine­m überragenden Verleger und einem
überragenden Schriftsteller, die zur Augenhöhe fanden.

Peter Handke, Siegfried Unseld
Der Briefwechsel
Hg. Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, Berlin 2012
700 S., 39,95 €
 


LiteraturWie Verleger Unseld seinen Handke in Watte packte

Donnerstag, 06.12.2012, 14:49
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dpa / Helmut Fohringer/Jan-PeterPeter Handke (l.) und sein Verleger Siegfried Unseld schrieben sich über Jahrzehnte Briefe.
700 Seiten Korrespondenz zwischen einem Schriftsteller und einem Verleger – das klingt nach Studienstoff für Germanisten. Nicht jedoch, wenn die Verfasser der Briefe Peter Handke und Siegfried Unseld heißen. Ihre nahezu 600 Briefe erzählen die Geschichte eines Abhängigkeitsverhältnisses.
Da ist zum einen der Dichter, ein großer Stilist deutscher Sprache, aber auch ein gefürchteter Publikumsbeschimpfer, radikal in seinen Urteilen über andere und dabei selbst hochgradig empfindsam. Und da ist der Verleger, der Patriarch der deutschen Nachkriegsliteratur. Ein Charismatiker mit großen Händen und präsidialer Nase. Diese beiden also schreiben sich, 37 Jahre lang.

Anfangs, 1965, ist Unseld noch der Umworbene. Der erst 22 Jahre alte Handke hat dem Suhrkamp-Verlag sein Erstlingswerk „Die Hornissen“ zugesandt und erhält die Antwort, die sein Leben verändern wird: „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ Schon damals formuliert Unseld wie für die Nachwelt.

Handkes Erwiderung fällt gleichermaßen feierlich aus: „Sehr geehrter Herr Doktor, Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut.“ Doch keine drei Monate später erkundigt sich der Nachwuchs-Autor schon reichlich forsch, wo denn nun bitteschön das Honorar bleibe. „Ich brauche Ihnen keine Genrebilder von meiner Lage zu geben.“ Komisch wird es, wenn sich Handke im nächsten Brief an Unselds Sekretärin wendet, weil diese für den nach Diktat verreisten Verlagschef unterzeichnet hatte.

Inhaltlich geht es meist um Dinge wie Auflagen, Honorare, Ladenpreis und Buchumschlag. Das Interessante steht zwischen den Zeilen: Da verändert sich der Ton. Handke ist zum Hauptprovokateur der Literaturszene aufgestiegen; nun ist er es, der umworben sein will. Autorenpflege nennt man das – und damit kennt Unseld sich aus. Mit Uwe Johnson soll er nächtelang getrunken haben, um ihn aus seiner Schreibblockade zu befreien (auch von diesem Verhältnis zeugen 770 Briefe). Handke wird vom ihm jahrzehntelang in Watte gepackt.

Die Künstlerseele kann mitunter den sachlichsten Brief als „unfreundlich“ empfinden, und selbst wenn sich Unseld über ein neues Werk mit Begeisterung äußert, klingt dies in Handkes Ohren bisweilen nur „pflichtbewusst“. Immer seltener wagt Unseld ein offenes Wort: „Ich habe großes Verständnis für Deine Sensibilität“, schreibt er 1975, „die meine liegt auf einer anderen Wellenlänge.“ Aber um seine Gefühle geht es eben nicht, was ihm nur all zu bewusst ist: „Im Autor/Verleger-Stück braucht es ja wohl unbedingt das umgekehrte Rollenspiel, in dem es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen.“

Ganz heikel wird es bei schlechten Rezensionen. Die muss Unseld mit ausbaden. So verübelt ihm Handke seine „krebserregende“ Nähe zu Marcel Reich-Ranicki, dem „übelsten Monstrum, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“. 1981 verkündet der wieder einmal beleidigte Autor sogar: „Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“ Aber der Briefwechsel geht weiter, Handke bleibt.

Später rächt er sich auf seine Weise, indem er Unseld in „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ als einen „zu jedem Verrat bereiten Ausbeuter“ auftreten lässt. Unseld ist geknickt, beklagt sich auch, aber nicht ohne sofort nachzuschieben: „Lieber Peter, ziehen wir einen Schlussstrich, machen wir ein schönes Buch.“ Als er selbst einmal ein Buch schreibt, reibt ihm Handke zwei Fehler unter die Nase.

Unseld hat seinen Handke bis zum letzten Atemzug gepflegt. Schon schwerkrank, nahm er ihn 2002 noch gegen eine Schmähung in Schutz. Umgekehrt würdigte Handke immerhin in einem Fernsehfilm, dass Unseld in den 90er Jahren seine höchst umstrittenen Jugoslawien-Bücher veröffentlicht hatte. Vielleicht hat er doch gewusst, was er an ihm hatte. Nur geschrieben, geschrieben hat er es ihm nie.
Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, Suhrkamp Verlag, 700 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978-3-518-42339-4
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Literatur: Wie Verleger Unseld seinen Handke in Watte packte - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-wie-verleger-unseld-seinen-handke-in-watte-packte_aid_876288.html

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eter Handke zum 70.Da zieht man die Autorenmütze

 ·  Heute ist Peter Handke siebzig Jahre alt geworden. Pünktlich zum Festtag erscheint der Briefwechsel des Schriftstellers mit seinem Verleger Siegfried Unseld.


© AFPHeute feiert Peter Handke seinen siebzigsten Geburtstag
Am 26.Oktober 1994 eilt Siegfried Unseld nach Paris, um Peter Handke das erste Exemplar von dessen neuem Roman „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ zu überbringen. Ein Ritual wird vollzogen, dessen Bedeutung in Zeiten des E-Books kaum noch zu ermessen ist. Unseld, der über alle Gespräche, Erlebnisse und Vereinbarungen auf seinen Reisen genaue und oft sehr lesenswerte Aufzeichnungen anfertigte, hat das Ereignis in einem dieser legendären „Reiseberichte“ festgehalten: „Zwanzig Minuten lang wurde kein Wort gewechselt. Er berührte, streichelte das Buch, den Umschlag, las den Klappentext vorne und hinten, studierte die Titelseite, tastete das Papier, das ihm sehr gefiel, roch daran, blätterte, las und nickte zustimmend. Schließlich: ,wunderbar‘.“
Dann ist die stumme Andacht vorüber, es beginnt das Gespräch und mit diesem der weniger angenehme Teil des Besuchs. Handke zeigt sich irritiert über die seiner Meinung nach zu geringe Startauflage des Romans. Nur zwanzigtausend? Warum nicht vierzigtausend? Unselds nüchterne Verweise auf die Gegebenheiten des damaligen Buchmarktes wischt die zarte Dichterhand entschlossen vom Tisch: Der Markt werde sich fügen. Dann geht es um den heiklen Punkt des Ladenpreises. Unseld schlägt 58 Mark vor, was Handke als „Zumutung“ und „Unverschämtheit“ empfindet. Er fordert einen „fairen Preis“:
120 Mark. „So viel müsse man ausgeben für die Leistung, die er erbracht habe, und er sei sicher, es gäbe weit mehr als 20000 Leute, die bereit seien, das zu bezahlen.“ Man einigt sich auf 78 Mark, einen für damalige Verhältnisse recht hohen Preis.

Strafaktion und kaltes Ringen

Vier Tage später erhält Unseld einen Brief. Sein Inhalt: nackte Wut. Der Verlag hatte statt der verabredeten zwölf Vorausexemplare für ausgewählte Redaktionen und Rezensenten nur drei verschickt - unter anderen an diese Zeitung und den „Spiegel“, zwei Blätter, die der Dichter nicht sehr schätzt. Eine Panne also. Handkes höhnischer Kommentar: „Vor dieser neuerlichen verlegerischen Großtat kann ich nur meine Autorenmütze ziehen...“ Im beigefügten Vertrag ist nun ein entscheidender Passus geändert: Handke will die auf zehn Jahre verabredete Geltungsdauer auf sechs Jahre reduzieren und somit die Möglichkeiten des Verlags, mit dem Roman zu wirtschaften, erheblich einschränken. Eine Strafaktion.
Was kann ein Verleger in einer solchen Situation tun? Er lässt einige Tage verstreichen, dann berichtet er Handke von seiner erneuten Lektüre des Romans. Unseld verliert nicht viele Worte, denn er weiß, dass es im Grunde nur auf diesen einen Satz ankommt: „Peter, Du hast ein großes Buch geschrieben.“ Er verfehlt seine Wirkung nicht, es kommt zu einem Treffen, und am 18. Dezember zeigt Handke sich versöhnt: „Lieber Siegfried, es war wieder eine Warmherzigkeit da in Frankfurt, eine alte, neue.“
Doch Warmherzigkeit ist ein flüchtiges Gut im Briefwechsel zwischen Siegfried Unseld und Peter Handke. Es gibt durchaus Momente innigen Einverständnisses, aber weit häufiger sind die Phasen kalten Ringens und kleinlichen Geplänkels. 611 Briefe haben die Herausgeber Raimund Fellinger und Katharina Pektor ausgewählt und kommentiert.
Nach ihrer Lektüre könnte man meinen, Siegfried Unseld habe das Heimliche dieser Korrespondenz bereits in jenem ersten Brief formuliert, mit dem er Handke am 10.August 1965 mitteilte, dass der Suhrkamp Verlag sich entschieden habe, „Die Hornissen“ zu publizieren: „Nun scheint mir freilich ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich zu sein.“

Es geht um Loyalität und Vertrauen

Über einen Zeitraum von 36 Jahren geht es nun immer wieder um Einzelheiten, um Fragen der Buchgestaltung und des Titels, um Druckfehler, Auflagen und Abrechnungen, Vorschüsse und Verträge. Es geht um Loyalität und Vertrauen und mehrfach auch darum, Krisen wie etwa die Serbien-Debatte zu überstehen oder sogar den drohenden Bruch zu verhindern.
Zunächst versucht sich Unseld als Erzieher, gibt dem jungen Handke wirkungslos verpuffende Ratschläge im Umgang mit der Kritik („Jeder Kritiker hat das Recht, seine Meinung zu äußern, und insofern sie nicht ehrenrührig ist, ist jeder, der an die Öffentlichkeit tritt, angehalten, diese Kritik auch anzunehmen“), mahnt zu Genauigkeit in Vertragsdingen, ermuntert mit den schönsten Folgen zu gelegentlicher Übersetzertätigkeit und gibt dem selbstgewissen jungen Dichter auch schon mal zu verstehen, dass die Perspektive eines gut fünfzehn Jahre älteren Verlegers auch ihre Vorzüge haben kann: „Ich halte es mit der Pranke des Löwen, mit der Kraft des Dichters, der immer wieder Formen zerbricht und neue schafft“, schreibt Unseld am 31.Januar 1967.
Doch mit dem rasant sich entwickelnden Erfolg Handkes ändert sich der Ton: Der Dichter nörgelt, der Verleger muntert auf. Der Dichter schmollt, der Verleger wirbt. Der Dichter zürnt, der Verleger glättet die Wogen. Fast nie begehrt Unseld auf, nur einmal, 1993, protestiert er deutlich gegen das „Rollenspiel, in dem es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen“.
Wie schon im 2010 erschienenen Briefwechsel zwischen Unseld und Thomas Bernhard verblüfft auch hier wieder, in welchem Ausmaß Siegfried Unseld zu Geduld, Diplomatie und Selbstverleugnung im Dienste von Verlag und Literatur imstande war. Neben dem Einfühlungsvermögen des Verlegers scheint die Sensibilität der Dichter zusammenzuschrumpfen bis auf die reine Ich-Bezogenheit.

Er kann nun mal nicht anders

Doch einen gewichtigen Unterschied gibt es: Während Bernhard sein erpresserisches Spiel nicht ohne Lust an der Grausamkeit betrieb, agiert Handke eher mit der Freudlosigkeit der passiv-aggressiven Ehefrau: Spaß macht ihm die Streiterei ja auch nicht, aber er kann nun mal nicht anders.
Und tatsächlich spricht Handke schon früh und offen von seiner „blöden Empfindlichkeit“ und einer unseligen Lust an der Entzweiung. Dass trotz alledem eine Freundschaft entstand, wird in dieser Korrespondenz nie mit pathetischen Worten beschworen, aber doch deutlich - und nie deutlicher als in jenem Brief, den Peter Handke am 21.September 1999 an Siegfried Unseld richtete. In seinem Gruß zum 75.Geburtstag des Verlegers schrieb Handke, der heute siebzig Jahre alt wird, dass er in Siegfried Unseld nicht nur seinen Verleger, sondern auch seinen Leser gefunden habe: „Der Leser erzählte mir mein Manuskript, und erst danach, lange danach, sprach der Verleger darüber.“
Dass Handke den Leser Unseld und den Verleger Unseld nicht so wahrnehmen konnte, wie dieser wahrgenommen werden wollte - als Einheit -, das war für den Patriarchen nichts Neues. Überrascht aber hat ihn womöglich ein Satz aus diesem schönen Brief, mit dem Handke zeigte, dass ihm in all den Jahren durchaus nicht entgangen war, wie Unseld darum ringen musste, als Verleger das Geschäft und die Kunst, „aktives und anschauendes Leben“ miteinander zu vereinen: „Vielleicht glaubt’s nicht jeder: doch Du bist und warst wie selten einer zum stillen, wohltätigen Dasein und Mitgehen (und Vorausschwimmen) fähig.“
Peter Handke, Siegfried Unseld: „Der Briefwechsel“. Hrsg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 700 S., geb., 39,95 €.
Quelle: F.A.Z. 
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Peter HandkeEine Frage des Lichts

 ·  Siebzig Jahre feiert der Autor Peter Handke: Über durchsichtige Buchstaben, den Briefwechsel mit seinem Verleger, Reisen an die stillsten Orte der Welt und sein vorerst letztes Buch.
 
© DPASehnsucht nach Stille und Echtheit: Peter Handke
Die Kunst des Beginnens und immer wieder Neu-Beginnens ist vielleicht seine größte Kunst. Auch jetzt wieder, beim Lesen von Peter Handkes bisher letztem Buch, dem „Versuch über den Stillen Ort“, hat man das Gefühl, dass es wieder so leicht und neu anfängt, wie ein allererstes Werk. Obwohl er mit so tiefem Greisenatem anhebt, dass man beim einleitenden „Lang lang ist es her“ schon an den Beginn von Thomas Manns „Joseph“-Romanen denken kann, kommt doch schon in der dritten Zeile ein schlenkernd selbstbezweifelndes „wenn ich mich nicht irre“ dazwischen, und das neue Erzählen beginnt.
Am kommenden Donnerstag wird Peter Handke siebzig Jahre alt. Die meisten seiner Bücher lesen sich sehr jung und gegenwärtig und leichtgewichtig. Vor allem im Gegensatz zu den Büchern der mehr als zehn Jahre älteren ewigen Platzherren der deutschen Literatur Walser und Grass fällt es auf. Deren Bücher tragen ja immer die Zentnerlasten eines Lebenswerkes auf den Buchstaben. Und ihr Generationsgenosse Enzensberger inszeniert seine immer neue sprunghafte Fliegender-Roberthaftigkeit manchmal etwas überselbstbewusst. Handke inszeniert auch, klar. Handke ist ein Inszenierungskünstler von den Anfängen in Princeton an.
Aber seine Bücher lesen sich uninszeniert, ehrlich und direkt. Natürlich ist man als Leser froh, dass die „Jugoslawien-Phase“ vorüber ist, weitgehend vorüber, in der er seine radikale Subjektivität kämpferisch gegen eine ganze Welt in Stellung brachte. In diesem aussichtslosen Kampf musste alle Leichtigkeit verlorengehen. Dass er sie wiedergewonnen hat, ist ein Triumph. Und wenn er jetzt im „Versuch über den Stillen Ort“ beklagt, dass in einem Reiseführer zu den schönsten Toiletten der Welt ausgerechnet die herrlich-stillen serbischen Toiletten unterschlagen wurden, hört man das Lachen des Autors beim Lesen mit.

Einmal im Leben schimpft er zurück

Das Buch ist ein Rückzugsbuch, wieder mal. Die meisten Handke-Bücher sind das ja. Blick nach innen, Sehnsucht nach Stille, Weite, echten Wörtern. Man kann das alles jetzt im Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld nachlesen, der in diesen Tagen erscheint. Seine ganze Poetologie ist darin enthalten, die Geschichte einer Entfaltung. An der Oberfläche wird das Spiel gespielt wie in allen Briefwechseln, die man von Unseld mit seinen Autoren kennt: Der eine (der Dichter Koeppen/Frisch/Bernhard/etc.) fühlt sich verkannt, ungeliebt, missachtet, unter einem Dach mit lauter Trotteln, Nichtskönnern, Aufmerksamkeitssaugern - und der andere (Unseld) leidet, macht alles falsch, lobt falsch, liest falsch, lobt zu spät, zu früh, im falschen Ton, lässt sich beschimpfen, ausnehmen, prügeln, bis es ihm irgendwann einmal reicht.
Und zwar, so mein Eindruck - reichte es Unseld bei jedem seiner Autoren, die allesamt ihm gegenüber das Sozialverhalten von ungefähr Fünfjährigen an den Tag legten - genau einmal. Einmal im Leben schimpft er zurück. (Legendär nach der missratenen Geburtstagsfeier zu Frischs 60. in New York: „Ein für alle Mal: ein Verleger ist kein Hund!“) Danach ist das Verhältnis zwischen Autor und Verleger meist klarer. Im Falle Handke dauerte es lange, bis sich eine Art kämpferisches Gleichgewicht einstellte. Der 22-jährige Debütant, der da im Sommer 1965 mit seinem ersten Manuskript, den „Hornissen“, vor dem Verleger stand, war doch ein gar zu bleiches, dünnes Bürschchen, als dass der Großkörper Unseld ihn wirklich hätte bemerken können.
Handke hat sich später erinnert: „Siegfried Unseld nicht nur im Dastehen mitten im Raum gar übermächtig.“ Und auch später, wenn ihn der Verleger zu Hause besuchen wird, klagt Handke, dass er keine Sitzgelegenheit habe, die diesem Mann genügend Platz biete. Unseld seinerseits ist von Anfang an bemüht, nicht zu viel Selbstbewusstsein bei dem bleichen Neuling mit der großen Brille aufkommen zu lassen: „Werden Sie bloß nicht übermütig“, war seine Botschaft an den Debütanten, der sich über eine freundliche Besprechung seines Erstlingswerkes in der F.A.Z. etwas zu überschwänglich zu freuen drohte. „Werden Sie bloß nicht übermütig“ - der Verleger ahnte vielleicht, was da auf ihn zukommen könnte, so mit den Jahren.

Dreißig Jahre bis zu den erlösenden Worten

Übermut wird in allen Spielarten an der Verlegerperson ausprobiert. Kein Vorwurf ist zu absurd, um nicht vorgebracht zu werden. Die Startauflage seiner Bücher ist entweder zu hoch oder zu niedrig, Anzeigen werden zu viele oder zu wenige geschaltet, am Anfang beklagt sich Handke, seine Bücher seien zu teuer, am Ende sind sie zu billig, die Umschläge des legendären Buchgestalters Willy Fleckhaus sind immer falsch. (Unseld versucht es da einmal mit einer ebenfalls übermütigen Replik: „Ja, der Fleckhaus-Umschlag ist vielleicht zu perfekt.“) Aber Übermut ist hier nur einem gestattet.
Also Peter Handke probiert an Demütigungsideen so ziemlich alles aus, was das Autor-Verleger-Verhältnis bietet. Aber er ist da keineswegs bösartiger und quälfreudiger als zum Beispiel Thomas Bernhard. Dessen erstes Buch Handke noch atemlos und begeistert gelesen hatte, den er aber schon bald als geistlosen, literaturfeindlichen und uninteressanten (dabei vor allem zu sehr von Unseld geliebten) Zeitgenossen abtat und das auch gerne öffentlich erklärte, wohl wissend, in welch neue Nöte das den gemeinsamen Verleger wieder bringen würde. Das ist ja das Lieblingsspiel aller Suhrkamp-Autoren: vom Verleger ein für alle Mal zu erfahren, wer ihm der wichtigste ist. Peter Handke musste etwa dreißig Jahre warten, bis ihm Unseld das erlösende: „Sie sind der wichtigste Autor des Verlages“ schreibt. (Ein Superlativ, der nicht gerade dazu angetan war, den Übermut des Autors einzudämmen.)
Einmal, im Frühjahr 1974, sitzen sie zusammen mit Jeanne Moreau und Gérard Depardieu in einem Restaurant in Paris. Die beiden hatten mit großem Erfolg in der Inszenierung von Handkes „Linkshändiger Frau“ gespielt. Unseld staunt über den bezaubernden, locker Französisch parlierenden, über alle Maßen charmanten Peter Handke. Dann macht er den Fehler, ein Gastspiel des Stückes in Wiesbaden vorzuschlagen, beziehungsweise er teilt mit, dass es dafür schon Pläne gäbe. Jeanne Moreau gerät außer sich, was er sich einbilde, sie habe keine Zeit, wurde nicht gefragt und so weiter. Unselds Französisch ist schlecht, er lässt sich beschimpfen, versteht nur die Hälfte.

Für beide ein langer Lernprozess

Handke, so notiert er in seinem Journal, schweigt. Unseld versucht zu beruhigen, schlägt eine Fernsehaufzeichnung des Stückes vor, was nun erst recht zu einer Moreau-Explosion führt. Warum er sich nicht schon längst darum gekümmert habe, jetzt sei es dafür zu spät und eine Schande und so weiter. Handke: schwieg weiter. Unseld ist schuld, wie immer. Am Ende sind die Schauspieler weg, Verleger und Autor sitzen da. Unseld schreibt: „Wir saßen noch lang nach Mitternacht da und dachten über den Zorn der Jeanne Moreau nach.“
So haben sie oft beisammen gesessen. Oft geschwiegen. Unseld beschwert sich manchmal in seinem Journal, dass Handke nichts frage, dass es so viele Gesprächspausen gäbe. Handke erinnert sich später, dass er oft und gerne mit Unseld geschwiegen habe. Schon früh, als Unseld ihm die Nachricht vom Selbstmord seiner Mutter überbringen musste. Handke lebte im Taunus, ohne Telefon. „Belebend: Zum erstenmal durch diesen besonderen Menschen sich angeschaut zu spüren, skeptisch, dabei mit großen Augen, ohne Sprechen. Was vorher ein Hindernis war, war ja immer diese Verlegersprache, die Sprechsprache.“
Das ist jetzt keineswegs so böse gemeint, wie es vielleicht klingt. Es war für beide ein langer Lernprozess, vor allem für Unseld. Diese sonderbare Handkesche Wörtermagie, Sprechmagie und Schreibmagie, der musste er sich langsam und behutsam annähern. Wie oft beschwert sich Handke, dass er seine Bücher nicht „wirklich“ gelesen habe, dass er nicht „wirklich“ gelobt habe, dass er bei einem Gespräch nicht „wirklich“ anwesend gewesen sei. Handke hat Unseld einmal „das verkörperte Prinzip Wirklichkeit“ genannt. Tatsächlich war aber immer er, Handke, der Wirklichkeitsüberprüfer. Er spürt sofort, wenn Unseld nicht ehrlich ist. Wenn er nur scheinbar lobt. Peter Handke hat ein untrügliches Gespür für Ehrlichkeit, hat man das Gefühl beim Lesen dieser Briefe.

Denn Unseld war natürlich ein großer Verstellungsmeister. Er wusste, es kam darauf an, die Bücher seiner liebebedürftigen Autoren allesamt so emphatisch wie möglich zu loben. Handke hörte jeden falschen Zwischenton heraus. Und die waren manchmal gut versteckt. Nicht so schlecht wie in diesem Fall: „Das Buch wird seine Leser finden“, hatte Unseld zu einem Werk geschrieben. Das hätte er besser nicht getan. Für diesen fatalen, lieblosen Satz will Handke augenblicklich den Verlag verlassen. Wie viel Mühe, wie viel ehrliche Verehrungsworte kostet es Unseld, den so Beleidigten zu besänftigen!
Handke hat unglaublich empfindliche Wahrnehmungsorgane. Das liest sich in diesen Briefen, wenn es fast ausschließlich um ihn und seine Empfindlichkeiten geht, meist lustig übertrieben. Es führt aber doch zum Kern von Handkes Wahrnehmungs- und also Schreibkunst. Sein Gehör, seine Sehkraft, Empfindlichkeit für falsche Töne, falsche Farben, Unehrlichkeit. Eine Genauigkeit, die er oft ins Schreiben zu übertragen vermag. Im März 1969, er schreibt gerade an der Erzählung „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, schreibt er an Unseld: „Nach den Erfahrungen, die ich bis jetzt mit Sätzen gemacht habe, glaube ich, so durchsichtig schreiben zu können, daß ich auch wieder eine richtige Geschichte schreiben kann.“
,Durchsichtig schreiben‘ - das kann man zum Beispiel einfach Quatsch nennen oder eine schöne Beschreibung für die Leichtigkeit und Durchlässigkeit, die Handkes Sprache in den besten Momenten auszeichnet. Man kann durch die Wörter hindurchsehen, wie durch eine Brille. Eine Sehhilfe für eine andere Sicht auf die Welt. Vielleicht werden auch deshalb die Bücher Peter Handkes nicht langweilig, obwohl doch der immerselbe Mensch von der immerselben Welt erzählt. Die Verwandlungen, die der Erzähler erfährt, erfährt der Leser gleich mit ihm. Ohne dass es ein flaches autobiographisches Erzählen wäre.

Selbsterkenntnis als Welterkenntnis

Es ist, um es mal maximal groß zusammenzufassen: Selbsterkenntnis als Welterkenntnis. Oder wie er im September 1977 an Unseld schrieb: „Nun hoffe ich wieder Ruhe zu finden zum Selbsterkennen, woraus dann die Formen fürs Schreiben kommen.“ Einmal war Peter Handke dem Tode nahe. Im April 1976 erlitt er eine Herzattacke, lag mehrere Tage im Krankenhaus. Als er entlassen wurde, schrieb er in ein Notizbuch: „An diesem schönstmöglichen Tag der Welt gehe ich, aus dem Krankenhaus entlassen, umher mit dem Gefühl, ich hätte nichts versäumt, wenn ich jetzt tot wäre.“ Und weiter: „Ich muss, hier draußen, in der Stadt, herausfinden, wer ich bin, wer ich geworden bin.“ Seinem Verleger erzählt er, dass ihn die Lektüre von Goethes „Wahlverwandtschaften“ geheilt habe.
„Weißt Du, dass Bücher Medizin sein können?“, fragt er Unseld unschuldig. Der kommentiert in seinem Journal: „Eine merkwürdige Frage von Peter Handke.“ Schreiben ist eine existentielle Erfahrung und Lesen auch. Das bedeutet auf der anderen Seite auch, dass er - als das Original seines Manuskripts der „Wiederholung“ auf dem Postweg verlorenging, dem Verleger ganz unaufgeregt und kühl und ernsthaft schreibt, dass er sich, wenn es keine Kopie des Manuskriptes gegeben hätte, im Falle des endgültigen Verlustes umgebracht hätte. Kein anderer Autor der Gegenwart hat so viele Autoren gefördert, gefordert und übersetzt.
Sich immer wieder für andere Autoren, unbekannte vor allem, eingesetzt, wie gerade erst wieder in dem Text über Wolfgang Welt, den wir in unserem Feuilleton abgedruckt haben. Worin er schreibt, über ihn, über sich: „Was er so bezeichnet: das Leben jenseits der Historie und der Aktualitäten, und was für ein Leben! - so einmalig, wie eben der Wolfgang Welt einmalig, ein Fall, ist, und so universell, wie eben ich, der Leser, mit ihm, seinen Sekunden, seinen Bruchteilsekundensätzen mitstreune, mitirre, mithaspele, mitstolpere, mittapere.“ Das ist der Leser Handke, und so sind seine Leser, die Glücklichen, auch. Mittapernd. Mitirrend. Noch viele Bücher weit.
Peter Handke, Siegfried Unseld: „Der Briefwechsel“. Hrsg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, 700 Seiten, 39,95 Euro
Peter Handke: „Versuch über den Stillen Ort“. Suhrkamp, 110 Seiten, 17,95 Euro
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 08.12.2012

Ein literarisches Großereignis mindestens stellaren Charakters scheint Stephan Wackwitz im Briefwechsel zwischen Handke und Unseld auszumachen. Zu dessen Beschreibung greift er nur zu den größten Namen, zu Kempowski, Goethe, Freud, Knigge, Luhmann, zu Scorsese, Keith Richards und Pete Townsend, die allesamt zum Verständnis dessen beitragen, was Handke und sein Verleger einst in Briefkuverts gesteckt haben: Wackwitz sieht einen autobiografischen Briefwechsel, ein Zeitbild des Literaturbetriebs der 60er und 70er, das Dokument eines narzisstisch-libidinös besetzten Verhältnisses zwischen einer zentralen Gestalt der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur und deren Verleger, das Dokument aber auch von Handkes aufbrausendem Temperament sowie Unselds "geradezu masochistische Leidensfähigkeit und Begütigungsvirtuosität" und nicht zuletzt eine "Parallelbiografie" des Lesers, der hier das Werden und Entstehen seiner eigenen literarischen Biografie flankiert sieht. Deutlich werden dem Rezensent dabei nicht nur grundlegende Mechanismen der literarischen Form des Briefromans, sondern auch Peter Handkes Geschick darin, sich frühzeitig als moderner Klassiker zu etablieren. Schlussendlich ist das Buch aber auch einfach "schön und lesenswert", seufzt Wackwitz.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.12.2012

Ein Verleger, viele Autoren - da sind Probleme vorprogrammiert, meint Lothar Müller. Die Beziehung zwischen Peter Handke und Siegfried Unseld war gerade durch diese Spannung immer wieder gefährdet: "Der Autor erwartet den Singular, und der Verleger lebt und arbeitet im Plural", zitiert der Rezensent Handke. Das ist der "Glutkern" ihrer Verbindung, meint er. Dass es trotz wiederholter "Pluralkrisen" nicht zum Zerwürfnis kommt, rechnet der Rezensent beiden an: Unseld, der als "rhetorisch virtuoser Entspannungspolitiker" immer wieder einlenkt, und Handke, der seinerseits wenigstens um Ausgewogenheit von Streit und Versöhnung bemüht ist. Neben den eigentlichen Krisen ist Müller auch auf eine große Fülle von Details zur Werkbiografie und zur Übersetzer-Tätigkeit Handkes gestoßen. Mit den Briefen zwischen Handke und Unseld haben die Herausgeber Raimund Fellinger und Katharina Pektor die Veröffentlichungen des Hauses Suhrkamp zur eigenen Verlagsgeschichte um einen weiteren Beitrag bereichert, meint Müller.
 

 








http://www.mainpost.de/ueberregional/kulturwelt/kultur/Wie-sein-Verleger-Handke-in-Watte-packte;art3809,7196604


Wie sein Verleger Handke in Watte packte

Nahezu 600 Briefe erzählen die Geschichte eines Abhängigkeitsverhältnisses
700 Seiten Korrespondenz zwischen einem Schriftsteller und einem Verleger – das klingt nach Studienstoff für Germanisten. Nicht jedoch, wenn die Briefeschreiber Peter Handke und Siegfried Unseld (1924-2002) heißen. Ihre nahezu 600 Briefe erzählen die Geschichte eines Abhängigkeitsverhältnisses.

Da ist zum einen der Dichter, ein großer Stilist deutscher Sprache, aber auch ein gefürchteter Publikumsbeschimpfer, radikal in seinen Urteilen über andere und dabei selbst hochgradig empfindsam. Und da ist der Verleger, der Patriarch der deutschen Nachkriegsliteratur. Ein Charismatiker mit großen Händen und präsidialer Nase. Diese beiden also schreiben sich, 37 Jahre lang.

Anfangs, 1965, ist Unseld noch der Umworbene. Der erst 22 Jahre alte Handke hat dem Suhrkamp-Verlag sein Erstlingswerk „Die Hornissen“ zugesandt und erhält die Antwort, die sein Leben verändern wird: „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ Schon damals formuliert Unseld wie für die Nachwelt.

Handkes Erwiderung fällt gleichermaßen feierlich aus: „Sehr geehrter Herr Doktor, Ihre Nachricht hat mich über die Maßen gefreut.“ Doch keine drei Monate später erkundigt sich der Nachwuchs-Autor schon reichlich forsch, wo denn nun bitteschön das Honorar bleibe. „Ich brauche Ihnen keine Genrebilder von meiner Lage zu geben.“

Komisch wird es, wenn sich Handke im nächsten Brief an Unselds Sekretärin wendet, weil diese für den nach Diktat verreisten Verlagschef unterzeichnet hatte. Inhaltlich geht es meist um prosaische Dinge wie Auflagen, Honorare, Ladenpreis und Buchumschlag. Zwischen den Zeilen verändert sich der Ton.

Handke ist zum Hauptprovokateur der Literaturszene aufgestiegen; nun ist er es, der umworben sein will. Autorenpflege nennt man das – damit kennt Unseld sich aus. Mit Uwe Johnson soll er nächtelang getrunken haben, um ihn aus seiner Schreibblockade zu befreien (davon zeugen 770 Briefe). Handke wird vom ihm jahrzehntelang in Watte gepackt. Die Künstlerseele kann den sachlichsten Brief als „unfreundlich“ empfinden, selbst wenn sich Unseld über ein neues Werk mit Begeisterung äußert, klingt dies in Handkes Ohren nur „pflichtbewusst“. Immer seltener wagt Unseld ein offenes Wort: „Ich habe großes Verständnis für Deine Sensibilität“, schreibt er 1975, „die meine liegt auf einer anderen Wellenlänge.“ Ganz heikel wird es bei schlechten Rezensionen. Die muss Unseld mit ausbaden. So verübelt ihm Handke seine „krebserregende“ Nähe zu Marcel Reich-Ranicki, dem „übelsten Monstrum, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat“.

In „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ lässt Handke seinen Verleger als einen „zu jedem Verrat bereiten Ausbeuter“ auftreten. Unseld ist geknickt, beklagt sich, schiebt aber nach: „Lieber Peter, ziehen wir einen Schlussstrich, machen wir ein schönes Buch.“ Als er selbst ein Buch schreibt, reibt ihm Handke zwei Fehler unter die Nase.

Unseld pflegte Handke bis zum letzten Atemzug. 2002, schon schwer krank, nahm er ihn noch gegen eine Schmähung in Schutz. Umgekehrt würdigte Handke in einem Fernsehfilm, dass Unseld in den 90ern seine umstrittenen Jugoslawien-Bücher veröffentlichte. Vielleicht hat er doch gewusst, was er an ihm hatte – geschrieben hat er es ihm nie.

Peter Handke, Siegfried Unseld: Der Briefwechsel (Suhrkamp, 700 Seiten, 39,95 Euro)

 







Das Geräusch des Bleistifts

29.03.2013 | 18:34 |  Von Rüdiger Görner (Die Presse)
Dem „Berührungsgestalter“ einen „Ginkgogruß“: Peter Handkes und Siegfried Unselds mittellange Briefe nach vielen kurzen Abschieden.
Manche Schriftsteller halten sich für ihre besten Verleger. Gelegentlich werden Verleger zu Autoren. Man denke an das leuchtende Beispiel Michael Krügers oder an die Autorschaft Jochen Jungs oder Klaus Wagenbachs.


 
Siegfried Unseld steht gleichfalls in dieser Reihe, in vieler Hinsicht aber über ihr, und das nicht nur aufgrund seines Buches „Goethe und seine Verleger“ – ein Meilenstein in Studien dieser Art. Denn Unseld war der Autor von Beziehungen vermittels einer Korrespondenztätigkeit, die jene eines Samuel Fischer, Paul Zsolnay, Gottfried Bermann-Fischer oder Kurt Wolff, selbst jene Anton Kippenbergs weit hinter sich lassen. Damit ist nicht allein der Umfang gemeint, sondern die schiere Intensität von Unselds Autorschaft von Beziehungen zu Schriftstellern. Führt man sich vor Augen, zu welchen Autoren Unseld gleichzeitig solche Beziehungen unterhalten hat, Max Frisch, Uwe Johnson, Martin Walser und Thomas Bernhard, dann übersteigt die Arbeits-und Lebensleistung dieses Verlegers das gemeinhin Vorstellbare. Der fünfte in diesem Bund der Schwierigen hieß Peter Handke.

Wie schon im Falle des Briefwechsels zwischen Unseld und Bernhard stellt sich einem bei der Lektüre dieses vorzüglich edierten Briefbandes die Frage, ob man innerlich Partei ergreifen soll für einen von ihnen. Zuweilen findet man sich auf Handkes Seite; er ist es ja, dessen sprachkünstlerisches Können den Anlass geschaffen hatte für diese Korrespondenz. Man teilt seine Freuden und Leiden, den Hintergrund für die „Kindergeschichte“, den Willen zum großen Werk, die Grenzerfahrung namens „Sinn für das wahnhaft Große“ im künstlerischen Schaffen, und muss vor allem dafür dankbar sein, dass Handke überhaupt die Erlaubnis für die Veröffentlichung seiner Briefe erteilt hat.


Erster Eklat bei der Gruppe 47

Der Briefwechsel setzt am 10. August 1965 ein, als Unseld dem 23-jährigen Peter Handke mitteilt, sein Romanmanuskript „Die Hornissen“ sei vom Suhrkamp Verlag angenommen. Kaum ein Jahr später gelingt Handke auf der Jahrestagung der Gruppe 47 in Princeton ein Eklat, als er seinen literarischen Mitstreitern kollektiv und schlagzeilenfähig „Beschreibungsimpotenz“ vorwirft. Bereits mit seinem zweiten Roman, aus dem er in Princeton vorliest, „Der Hausierer“, will er das manifestieren, worum es ihm geht: zu schreiben aus alleinigem Interesse an der Sprache. Seinem Verleger schreibt er im Nachklang zu Princeton, es dürfe keinen „Rückschlag in einen trivialen Realismus“ geben. Mehr noch, und das an der Schwelle zur Revolte von 1968: „Die Zeit der engagierten Literatur ist vorbei, es kommt eine Zeit der Reflexion, hoffe ich, eine Zeit des Nachdenkens über Denkschablonen, vielleicht ein sprachlicher Realismus statt eines beschreibenden.“ Zu dieser Zeit hatte ihm Unseld bereits bedeutet: „Werden Sie bloß nicht zu übermütig, seien Sie fleißig, arbeiten Sie, schreiben Sie.“

Im vierten Jahr des Briefwechsels sieht sich Handke veranlasst, seinen Verleger an einen besonderen Maßstab in Sachen „Korrespondenz mit Autoren“ zu erinnern: „Ich lese jetzt jeden Abend in dem Briefband Hermann Hesse – Peter Suhrkamp. Ich bin immer erstaunt über die Genauigkeit der Information, die Suhrkamp Hesse gegenüber bewies.“ Der Wink mit dem Zaunpfahl war für Unseld schwerlich zu übersehen. Inzwischen war man zum Du übergegangen, und zwar an Handkes 25. Geburtstag (1967).

Kurz zuvor hatte Handke in Berlin mit einem zweiten Eklat aufgewartet, seiner Dankesrede zum Gerhart-Hauptmann-Preis,in der er den Freispruch von Heinz Kurras begrüßte, jenes Polizeibeamten, der sich wegen fahrlässiger Tötung des Studenten Benno Ohnesorg vor Gericht zu verantworten hatte. Ein letzter Zweifel zeuge immer für den Angeklagten, meinte Handke. Daher regte er an, in Zukunft nur noch „Freisprüche“ zu fällen und die Gefängnisse abzuschaffen. Unseld dazu: „Zwar hätte ich die Schlussfolgerung nicht so krass hingestellt, aber die Tendenz ist richtig.“ Der Verleger sollte in Zukunft noch des Öfteren Gelegenheit haben, gewisse („einseitig politischen“) Ansichten seines anstrengenden Lieblingsautors – auch in der Öffentlichkeit – kommentieren zu müssen.

In der Folgezeit kümmert sich Unseld einfach um alles: das Wohlergehen der jungen Familie Handke, Wohnungsfragen, Darlehen für eine Immobilie und in zunehmendem Maße um die Werbetexte für Handkes Werke. Diese Texte, die auch Handke zu würdigen weiß, zusammen mit Unselds Aufzeichnungen über die Begegnungen mit demSchriftsteller, Auszüge aus seiner legendären „Chronik“, zeugen von einem Scharfblick und einem Urteilsvermögen in ästhetischen wie charakterlichen Fragen, die weit über bloßen verlegerischen Sachverstand hinausgehen. Man liest diese Einlassungen Unselds mit demselben Gewinn wie die Briefe selbst. Gelegentlich zitiert Unseld in seinen Briefen Stellen aus Handkes Werk, etwa aus den „Phantasien der Wiederholung“, gleichsam um ihm mit seinen eigenen Waffen zu begegnen: „Die Schrift muss sein wie ein schwieriges Schachspiel; jedes Wort ein Zug.“ Unselds Zusatz: „So muss es auch um die Verlagsarbeit bestellt sein.“

Als in ihrem Verhältnis ein Tiefpunkt erreicht ist und Handke ihm briefliche Zumutungen unterbreitet, kontert Unseld im Juli 1993 aus seiner Kurklinik am Bodensee: „Lieber Peter, ab und an hätte ich nicht übel Lust, dem einen oder anderen Autor einen Brief zu schreiben, derart, wie Du ihn mir geschrieben hast. Aber im Autor/Verleger-Stück braucht es ja wohl unbedingt das umgekehrte Rollenspiel, in dem fett gedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des einen Protagonisten zu fragen.“ Auch das vermerkt Unseld, das Liebenswerte, Einnehmende, Hilfsbereite Peter Handkes (man denke allein an dessen selbstlosen Einsatz für Hermann Lenz, den er neben anderen Autoren bei Suhrkamp unterbringen konnte!) sowie dessen schiere Lebensleistung als lange Alleinerziehender seiner Tochter und dabei das Staunenswerte seiner unaufhörlichen Produktivität.

Im Mittelpunkt stehen in dieser Hinsicht Unselds detaillierte Würdigungen von Handkes Werk. Im Vorschautext für „Die Abwesenheit“ (1987) zum Beispiel erklärt Unseld treffsicher wie stets: „Handkes Prozess des Schreibens, des Entzifferns und Lesens ist ein Weg zu einer immer klareren Sprache, die in der Welt der Wüste und Verwüstungen, der Welt unserer Bedrohungen und Gefahren zum Rettungsweg wird.“

Der absolute Tiefpunkt im Verhältnis Handkes zu Unseld war erreicht, als dieser auf dem Schreibtisch des Verlegers eine handschriftliche Widmung Marcel Reich-Ranickis an Unseld entdeckte. Zu Handkes Reaktion äußert sich Unseld in seiner „Chronik“: „Er ,hasste‘ unsere, und er meinte damit meine, ,verbrüdernde, zersetzende, krebserregende‘ Umarmung mit den Medienpäpsten. Es war ja klar, wer gemeint war, obschon er den Namen nicht aussprechen kann.“ Handke erwog den Bruch mit dem Suhrkamp Verlag, was er ernsthaft wohlzweimal tat.

Ein großes Thema, das sich durch den Briefwechsel zieht, heißt erwartungsgemäß „Österreich“. Es reicht von der „Bereinigung“ gewisser Austriazismen in Handkes frühen Manuskripten bis zu dessen vernichtenden Urteilen über Thomas Bernhards „schamlose Schein-Literatur“. Unseld musste eingreifen und schrieb seinem zweiten Starautor aus Österreich im November 1986: „Lieber Thomas, die Äußerungen des ,Mönchs auf dem Berge‘ [ein geflügeltes Wort Sigrid Löfflers] sind, wenn sie so gefallen sind, töricht, dumm, unverzeihlich, geschmacklos.“


Unversöhnlich gegenüber Bernhard

An Handke schrieb er: „Du ahnst meine Bedrückungen. Im Hause Fischer schwelte der Dauerstreit zwischen Thomas Mann und Döblin. S. Fischer konnte ihn nicht schlichten, und Freundschaften zerbrachen. Thomas Bernhard hat es schwer genug, mit sich, mit der Umwelt. Ich möchte nicht, dass Freundschaften brechen.“ Doch selbst Unseld konnte zwischen den beiden Koryphäen nicht vermitteln, dabei waren sich die beiden in ihrer Kritik an den Verhältnissen in Österreich in den Achtzigerjahren durchaus nahe. Im Falle Handkes ging dies so weit, dass er bei Residenz in Salzburg auch aus kulturpolitischen Gründen publizieren wollte, was wiederholt zu Spannungen mit Unseld führte. Am 4.November 1986 schrieb er nach Frankfurt, er wolle in seinem Land ein Zeichen setzen, „wo ein Waldheim als Präsidentenschemen und ein Jörg Haider als Stumpfkopfparteivorsitzender das Bild bestimmen und verzerren“. Er wolle einen „anderen österreichischen Weg“ erproben.

Zwar notiert Unseld einerseits, man habeHandke gegenüber nichts gegen Österreich sagen dürfen („jede auch nur leiseste Kritik an Österreichischem wies Handke zurück“, 1980), andererseits antwortete ihm dieser auf den Vorschlag, eine Österreichische Bibliothek im Suhrkamp Verlag zu begründen (1969): „Es ist ein gutes Unternehmen, nur sollte man es nicht zu groß machen, denn zu sehr österreichisch, das geht einem (mir) leicht auf die Nerven, zumal man ja gute Literatur nicht mehr als österreichisch bezeichnen kann, das wäre schon eine kulturelle Einschränkung.“

In einem Interview mit der „Welt“ vom 9. Oktober 1987 sprach Handke von der „Zartheit und Tiefe“ sowie der „Raffiniertheit bei der Behandlung von Raum und Zeit“, wogegen ihm Shakespeare wie „Überschwang ohne Begeisterung“ vorkomme. Mit seinem Stück „Über die Dörfer“, von dem auch Unseld sagte, es gehöre zu einem „Theater der Zukunft“, hat Handke versucht, dieses Subtile bühnenfähig zu machen. Man kann es mit Handke ein „In-Gang-Bringen und Anstimmen der Bilder“ nennen, auf das sich der „Berührungsgestalter“ (Handke über Handke) so meisterhaft versteht.

Dem Verleger und Freund Unseld, von dem er in guten Zeiten so machen „Ginkgogruß“ erhielt, bescheinigte Handke in einem Gratulationsbrief zu dessen 75. Geburtstag (1999) eine einzigartige „Leser-Stimme“ zu haben. Angesichts der gegenwärtigen, von außen undurchschaubaren Verhältnisse im Hause Suhrkamp versagt einem selbst diese „Leser-Stimme“, und man liest mit Wehmut in Unselds Rundbrief an die Autoren des Verlages vom Dezember 2000: „Ich weiß, ich muss mein Haus bestellen“, um dann eine Auflistung von Anteilen und Kompetenzen zu erläutern, eine interne Strukturreform, vonder er glaubte, sie werde zukunftsträchtig sein. Es hätte ihn berührt zu wissen, dass sein widerspenstiger, aber anhänglicher Ziehsohn unter den Dichtern, Peter Handke, in einem fulminanten Text über den „Unerzählbaren Alptraum“ („Die Zeit“, 19. Dezember 2012) bei Suhrkamp Farbe bekannt und die Kultur dieses Verlages als das bezeichnet hat,was sie ist (und hoffentlich bleiben kann): ein Instrument poetisch-kritischen Bewusstseins. Oder mit Handke gesagt: Hören wir auf das sprechende Geräusch des Bleistifts. ■

PETER HANDKE,
SIEGFRIED UNSELD
DER BRIEFWECHSEL
HRSG. VON RAIMUND FELLINGER UND KATHARINA PEKTOR. 798S., LN., €41,10 (SUHRKAMP VERLAG, BERLIN)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2013)



 






 











http://www.zeit.de/kultur/literatur/2013-01/briefwechsel-literatur-internet

BRIEFEGlücklich ist, wer korrespondiert!

Die Faszination für literarische Briefwechsel scheint noch immer ungebrochen. Auch jahrelanges E-Mailen gibt keinen Anlass zum Kulturpessimismus.
"Subjektiv aber sind die Menschen, im Zeitalter des Zerfalls der Erfahrung, zum Briefschreiben nicht mehr aufgelegt. Einstweilen sieht es so aus, als entzöge die Technik den Briefen ihre Voraussetzung. Weil Briefe, angesichts der prompteren Möglichkeiten der Kommunikation, der Schrumpfung zeiträumlicher Distanzen, nicht mehr notwendig sind, zergeht auch ihre Substanz an sich."

Diese Zeilen stammen nicht aus einem kulturpessimistischen Pamphlet gegen die Segnungen des Internets. Sie sind bereits Mitte der sechziger Jahre verfasst worden, als vor allem das Telefon so manchen wohlformulierten Brief überflüssig machte. Theodor W. Adorno hat sie in einem Essay über den Briefschreiber Walter Benjamin notiert und im Grunde eine Zeitenwende markiert: Der komponierte, weitschweifige, nicht selten poetische Brief dürfte spätestens seit jenen Jahren im Verschwinden begriffen sein. Konnte Goethe noch aus ganzem Herzen bekennen, es sei "ein groses Glück, wenn man korrespondirt", sind manche Dichterbriefe aus den siebziger oder achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eher schnöde Mitteilungen.

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Im 18. und 19. Jahrhundert stand die gelehrte und poetische Briefkultur noch in voller Blüte. In der Romantik war der Brief nicht nur Beiwerk eines Autors, sondern selbst eine literarische Gattung, das "monologische Konstrukt eines Ichs", wie der Literaturwissenschaftler Karl Heinz Bohrer es einmal formulierte. Um die Problematik, die daraus erwachsen konnte, wusste einer der bedeutendsten Ich-Dekonstrukteure des 20. Jahrhunderts: "Die leichte Möglichkeit des Briefschreibens muss – bloß theoretisch gesehen – eine schreckliche Zerrüttung der Seelen in die Welt gebracht haben", schreibt Franz Kafka 1922 an Milena Jesenská. "Es ist ja ein Verkehr mit Gespenstern und zwar nicht nur mit dem Gespenst des Adressaten, sondern mit dem eigenen Gespenst. (…) Wie kam man nur auf den Gedanken, dass Menschen durch Briefe mit einander verkehren können! (…) Briefe schreiben aber heißt, sich vor den Gespenstern entblößen, worauf sie gierig warten."

Vielleicht ist es diese Entblößung, die uns auch heute noch fasziniert, wenn wir Briefe von Dichtern und Philosophen lesen. Jedes Jahr werden neue Briefeditionen auf den Markt gebracht, aus den unterschiedlichsten Motiven – etwa, weil einer der Briefpartner oder beide berühmt sind und eine prägende Rolle in der Geistesgeschichte spielen. Oder weil Briefe nicht nur ein helleres Licht auf das eigentliche Werk und Wirken des Absenders werfen, sondern möglicherweise sogar ein wesentlicher Teil desselben sind. Briefeditionen sind auch für die Verlage nicht nur eine Luxusangelegenheit. Erstaunlicherweise verkaufen sie sich zuweilen genauso gut wie Romane.

Briefe, für Dritte geschrieben
Man denke nur an den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze oder an jenen von Thomas Bernhard mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Herausgegeben wurde letzterer vom Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger. Er erklärt die Konjunktur von Briefeditionen mit einer Sehnsucht nach der Aura des Authentischen: "Objekte im Verschwinden", sagt Fellinger, "rufen eine gewisse Bewunderung hervor." Briefe gelten als ungeschützter Ausdruck des Intimen, "man erfährt Hintergründe, die eigentlich nicht an die Öffentlichkeit sollen". Auch Jan Bürger vom Deutschen Literaturarchiv Marbach sieht durchaus eine gewisse Hinwendung zu autobiografischen Dokumenten – gerade in einer Zeit, in der man glaubt, der Schriftkultur und Authentizität immer mehr verlustig zu gehen. "Man ist vielleicht auch einfach sensibler geworden, Briefe und andere autobiographische Schriften als Kunstform zu lesen, als improvisierte Prosa."

Sind wir also am ästhetischen Mehrwert von Briefwechseln interessiert? Oder ist die Generation Facebook besonders begierig nach dem ohnehin alltäglich gewordenen Schlüssellochblick in des Dichters psychische Abgründe, die dieser seinem Briefpartner anvertraut? Das würde bedeuten, dass wir beim Lesen von Briefwechseln tatsächlich unseren voyeuristischen Gelüsten nachgeben und etwas Verborgenes aufspüren wollten. Gerade aber die Briefe von bekannten Autoren – seit dem 18. Jahrhundert – sind nicht selten schon im Bewusstsein geschrieben worden, dass sie später das Licht der Öffentlichkeit erblicken werden. Sie sind, auch wenn sie sich an einen bestimmten Empfänger richten, immer auch für Dritte geschrieben. Für einige begnadete Briefeschreiber des 20. Jahrhunderts – für Paul Celanoder auch Rilke – ist die Briefform gar ein Surrogat für die Prosa, sagt Jan Bürger. "In dieser Leichtigkeit des Vorläufigen entwickelt man Fähigkeiten als Autor, die zur öffentlichen Rolle, die man sich erarbeitet hat, auf den ersten Blick manchmal gar nicht zu passen scheinen."

Freilich ist das nicht immer so. Und trotzdem werden Briefwechsel veröffentlicht. Briefe aus dem Nachlass werden genauso behandelt wie Werke, und die Autoren wie auch Nachlassverwalter müssen ihr Einverständnis für die Veröffentlichung erteilen. Selten erscheinen Briefwechsel von noch lebenden Schriftstellern. Eine Ausnahme ist der aus Anlass des 70. Geburtstages von Peter Handke und Siegfried Unselds zehnten Todestages herausgekommene Briefwechsel des Autors mit seinem Verleger – einer unter vielen in den vergangenen Jahren, aber durchaus ein besonderer. "Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskriptes uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen."

Es ist ein klassischer, sachlich geschäftlicher Beginn, den dieser Brief des Verlegers Siegfried Unseld am 10. August 1965 markiert: Peter Handke, 22 Jahre alt, Student der Rechtswissenschaften in Graz, wird mit seinem ersten Roman Die Hornissen ins Programm des in den sechziger Jahren einflussreichsten Verlages aufgenommen: Er wird Suhrkamp-Autor. Nur einen Monat später fügt Unseld in einem weiteren Brief etwas hinzu, das nicht nur als professionelle Attitüde des Verlegers verstanden werden darf, sondern für seinen Spürsinn spricht: "Ich bin überzeugt, dass Sie mit diesem Manuskript am Anfang einer achtbaren Laufbahn stehen, und ich hoffe, dass wir in einer langen, guten und produktiven Verbindung bleiben."

Wie man in dem mehr als 600 Schriftstücke umfassenden Briefwechsel nachlesen kann, ist diese Autor-Verleger-Beziehung tatsächlich eine lange und produktive. Sie reicht vom Jahr 1965 bis zu Unselds Tod 2002. Ohne Spannungen ist sie indes nicht. Zwar gibt es in dieser Verbindung nicht jene eruptiven, geradezu irrwitzigen Konflikte wie sie zwischen Unseld und dem anderen großen österreichischen Autor Thomas Bernhard die Regel waren. Dennoch musste Unseld auch im Fall von Handke all sein diplomatisches Geschick aufbieten, um einen immer einmal wieder angedrohten Bruch zu vermeiden. Das kann man schon früh sehen. Handke, der durch seine Sprechstücke und Prosawerke weltberühmt wird, hat nicht nur präzise ästhetische Vorstellungen, sondern weiß durchaus auch um seinen Marktwert. Bereits als junger Schriftsteller setzt er sich für Kollegen ein. Und er fällt dezidierte Urteile über andere, bei Suhrkamp erscheinende Autoren.

Man kann anhand dieses Briefwechsels die verschiedenen Schreibphasen Handkes nachvollziehen, die Wandlungen in seinem Werk. Was sich aber auch auf geradezu erschütternde Weise ablesen lässt, sind die Befindlichkeiten eines Autors, der seinen Text loslassen, ihn der Öffentlichkeit übergeben muss. Die Zeit zwischen der Abgabe eines Manuskripts und dessen Veröffentlichung – das ist eine Phase großer Verwundbarkeit und Empfindlichkeit. Bei Handke wird aus der Angst, gegenüber anderen Autoren vom Verleger zurückgesetzt zu werden, zuweilen Bitterkeit und Arroganz, die nicht frei ist von einer aus der Schwebe des Verfahrens geborenen Aggression. Unseld reagiert auf die Anwürfe und Vorwürfe meist beschwichtigend und beruhigend. Der Briefwechsel wird so zum Roman einer immer auch fragilen Zusammenarbeit und einer problematischen, weil ungleichgewichtigen Freundschaft.
E-Mails werden genauso behandelt
Für den Herausgeber Raimund Fellinger ist dieser Briefwechsel einzigartig. Ihm sei keine andere Korrespondenz mit dem Verleger bekannt, in der es so in allen Details um Literatur gehe. "Die streiten sich ja nicht, weil Handke ein kleines Kind ist. Für Handke ist jedes nicht der Vergrößerung und Verbreiterung des Anspruches und der Vergrößerung der Qualität zuträgliches Arbeiten schlechtes Arbeiten. Schlechtes Arbeiten an der Literatur wiederum ist schlechtes Arbeiten an der Gesellschaft. Schlechtes Arbeiten an der Gesellschaft bedeutet, man ist ein schlechter Mensch. Deshalb steht immer alles auf dem Spiel. Schau ich mir dagegen den Briefwechsel mit Bernhard an, kommt der mir klamaukhaft vor."

Handke hat seine Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben, ansonsten aber keinen Einfluss auf die Arbeit der Herausgeber genommen. Es gab nur wenige Streichungen, wenn Persönlichkeitsrechte von Dritten verletzt worden wären. Tatsächlich ist dieser Briefwechsel einer, in dem es um Literatur geht. Mehr vielleicht aber noch um die stete Gefahr des Literarischen durch das Profane und Ökonomische, das Unseld immer im Blick hatte. "Wenn man die fünfziger Jahre nimmt, den Suhrkamp-Hesse-Briefwechsel etwa", sagt Fellinger, "herrscht eine größere Zurückhaltung. Das ist sehr aufs Technische beschränkt, da werden noch Informationen ausgetauscht. Ab den sechziger Jahren ist dieser Informationsaustausch nicht mehr das Primäre. Es geht ja um die Präsentation der Person. Informationen werden heute in der Regel am Telefon übermittelt. Die Beziehung spielt eine größere Rolle."

Informationen tauscht man heute auch per E-Mail aus. Und Mails ersetzen zunehmend die auf traditionellem postalischen Weg zugestellten Briefe. Im Suhrkamp Verlag gilt die Direktive, wichtige E-Mails von den und an die Autoren auszudrucken und so zu behandeln wie auch Briefe zu früheren Zeiten behandelt wurden. Ob das immer von jedem Lektor so gehandhabt wird, ist die Frage. Vielleicht wird in 50 Jahren niemand mehr auf die Idee kommen, Briefwechsel zu veröffentlichen, meint Raimund Fellinger. "Was soll man klagen, es ist halt so." Man könnte es aber auch ganz anders sehen.

Der Literaturwissenschaftler Jan Bürger, selbst Herausgeber von Briefwechseln, glaubt sogar an eine Renaissance. "Das ist zwar nur eine These, eine Beobachtung als Archivar und aus dem persönlichen Umfeld: Aber ich bemerke, dass sich die Leute wieder mehr schreiben, per E-Mail. Natürlich gibt es die schrecklichen Mails mit zwei lapidaren Sätzen, aber auch das Phänomen, dass Menschen wieder richtige Briefe schreiben und mit diesem schnellen Hin und Her auch zu neuen Formen der Dialogizität kommen, die den Austausch inhaltsreicher und substanzieller machen." Kein Grund zum Kulturpessimismus also.

Zwar gibt es vielleicht irgendwann keine handschriftlichen Briefe mehr, dafür aber andere Formen schriftlicher, oft sehr geistreicher Mitteilung. Das schlägt sich natürlich auch im Archiv nieder, erzählt Jan Bürger. "Zunächst gab es Schreibmaschinenbriefe. Dann Faxe. Und dann den Sprung zu den E-Mails, und die meisten Autoren, deren Papiere jetzt im Archiv landen, drucken diese immer noch aus. Manche machen auch Backups und geben sie ins Archiv, zuweilen werden ganze Festplatten in den Vor- oder Nachlässen aufbewahrt." Dass mit dem Verschwinden des klassischen Briefes auch Briefwechsel verschwinden, ist also sehr unwahrscheinlich, auch wenn an der optimalen Form der Archivierung digitalen Schriftverkehrs noch gearbeitet wird.

Tatsächlich gibt es ja auch schon Beispiele für publizierte Mailwechsel, etwa den zum Skandalon gewordenen zwischen Christian Kracht und David Woodard. Und der erfolgreiche E-Mail-Roman Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer beweist, dass auch der klassische Briefroman aus dem 18. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert übertragen werden kann. Es kann also keine Rede davon sein, dass im vielfach beschworenen Zeitalter des Zerfalls authentischer Erfahrungen niemand mehr zum Briefeschreiben aufgelegt sei.
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http://www.eventstoday.de/Peter_Handke_Der_schwermuetige_Spieler_Atlantis_Kino-E1161591.aspx?d=09.03.2013




Peter Handke/Siegfried Unseld – Der Briefwechsel


Geschrieben von Siegfried Völlger am 09.01.2013 in der Kategorie:Allgemein,Biografien,Briefe,Literatur


Peter Handke/Siegfried Unseld - Der BriefwechselDer Briefwechsel zwischen
Peter Handke und Siegfried Unseld -
- für alle die sich für Peter Handke  interessieren (er ist grad 70 geworden, unglaublich, er ist doch ein junger Autor denke ich noch immer)
- für alle die sich für Siegfried Unseld interessieren
- für alle die sich für deutsche Literatur interessieren
- für alle die sich für zwei höchst diplomatische und dennoch sehr durchsetzungsstarke Männer interessieren
- für alle die sich für das Verhältnis Autor zu Verlegerinteressieren
- für alle die sich für Freundschaft interessieren, eine Männerfreundschaft, nicht einfach
- für alle die sich  für außerordentlich sorgfältig und gut gemachte Bücher interessieren, die einen sorgfältigen Kommentar schätzen und
- für alle, die keine Angst haben, dass ein gelesenes Buch dazu führt dass eine ganze Reihe weiterer Bücher zu lesen ist: Handke natürlich, vielleicht auch die Unseld Chronik (das sind ja noch wahre Schätze zu erwarten, es gibt erst zwei Bände),Briefwechsel natürlich (Bernhard – Unseld ist hier ja schon einmal erwähnt)

Selten lese ich Bücher mit mehr Spannung und Interesse und Gewinn!
Dank an die Herausgeber Raimund Fellinger und Katharina Pektor und natürlich auch den unverzichtbaren Suhrkamp Verlag!
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