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http://cafe-deutschland.blogspot.com/2016/04/peter-handke-verschwindet.html?showComment=1461782071056#c208891833893718430
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VERSUCH ÜBER DEN STILLEN ORT QUELLENLAGE
... Typoskripte oder Druckfahnen) zu Peter Handkes Versuch über den Stillen Ort sind auf verschiedene private Archive verteilt und ...VERSUCH ÜBER DEN STILLEN ORT
Erscheinungsort: Berlin Verlag: Suhrk…VERSUCH ÜBER DIE MÜDIGKEIT ENTSTEHUNGSKONTEXT
... Peter Handkes philosophisch-essayistische Erzählung Versuch über die Müdigkeit entstand 1989, während seiner im November 1987 ...VERSUCH ÜBER DIE JUKEBOX - NOTIZBLOCK, 1989
... Notizbuch hat Peter Handke während seiner Schreibarbeit an "Versuch über die Müdigkeit" geschrieben, man findet darin viele Notizen dazu und ...VERSUCH ÜBER DIE MÜDIGKEIT - NOTIZBLOCK, 1989
... Notizbuch hat Peter Handke während seiner Schreibarbeit an "Versuch über die Müdigkeit" geschrieben, man findet darin viele Notizen dazu und ...
also see Scott Abbott's piece on the book at
http://goaliesanxiety.blogspot.com/2012/10/essay-on-still-outhouse-peter-handkes.html
and
http://herrmanns.wordpress.com/2012/10/30/das-stille-ortchen/
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AN INTERESTING PIECE ON HANDKE'S
ESSAY ABOUT THE "QUET SHIT HOUSE" INTERESTING ONCE WE PASS TE AUTHOR'S OWN RECOLLETIONS NE OF THESE DAYS IT WILL APPEAR IN ENGLISH https://radiergummi.wordpress.com/2018/01/01/peter-handke-versuch-ueber-den-stillen-ort/
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"http://oe1.orf.at/artikel/319453
""Es war, als bestehe der kleine Raum aus nichts sonst als Düsternis, einer ebenso klaren wie stofflichen. Es war diese klare schimmernde Düsternis, die mich schon seit jeher im Innersten aufgerührt hatte; aufgerührt, etwas zu unternehmen. Was? Nichts Bestimmtes oder Gezieltes, einfach tätig zu werden, aufzubrechen werweißwohin, werweißwieweit, oder an Ort und Stelle zu bleiben und stante pede etwas zu machen. Was? Etwas Schönes; etwas Erstaunliches; etwas, das zu der Stofflichkeit wie auch Innigkeit solchen Düsterlichts
die Entsprechung wäre."
"Es war, als bestehe der kleine Raum aus nichts sonst als Düsternis, einer ebenso klaren wie stofflichen. Es war diese klare schimmernde Düsternis, die mich schon seit jeher im Innersten aufgerührt hatte; aufgerührt, etwas zu unternehmen. Was? Nichts Bestimmtes oder Gezieltes, einfach tätig zu werden, aufzubrechen werweißwohin, werweißwieweit, oder an Ort und Stelle zu bleiben und stante pede etwas zu machen. Was? Etwas Schönes; etwas Erstaunliches; etwas, das zu der Stofflichkeit wie auch Innigkeit solchen Düsterlichts die Entsprechung wäre.
Für die Recherche zu seinem Buch hat Handke Bildbände über die Toiletten der Welt durchgeblättert und dort Abbildungen gefunden von den Klos in den Todeszellen und von Astronautenaborten in Raumstationen und Raketen. Daneben erzählt er auch von einer Toilettenanlage auf Neuseeland, in "tausendundeiner Farbe" und ohne rechten Winkel, dem letzten Entwurf von Friedensreich Hundertwasser.
Die mittlerweile vier Versuche Handkes bieten derart aber nicht nur Fundstücke, sondern lassen sich auch als Teil eines autobiografischen Projekts verstehen, denn der Schriftsteller erzählt hier mit schonungsloser Offenheit, was ihm diese Phänomene, Gegenstände und Orte bedeuten, und wie er, manchmal aus der Bahn geworfen, mit ihrer Hilfe wieder ins Leben zurückgefunden hat.
Das Sehen im Gehen
Genauso gehört es zum Programm, dass Handke den Akt des Schreibens selbst mit einfließen lässt und so erfährt der Leser, dass der "Versuch über den Stillen Ort" in einem kleinen Dorf nordwestlich von Paris entstanden ist in nur zwei Wochen im Dezember 2011.
Unterbrochen hat er sein Schreiben nur für ausgedehnte Spaziergänge, die aber für den Rhythmus des Buches sorgen. Einen Rhythmus des Sehens im Gehen, der Handkes Schreiben und auch seinen "Versuch über den Stillen Ort" so einzigartig macht in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
08.10.2012
KLAPPENTEXT
1989 veröffentlichte Peter Handke den Versuch über die Müdigkeit, ein Jahr danach folgte der Versuch über die Jukebox. Den vorläufigen Abschluß dieser erzählerischen Umkreisungen des Alltags bildete der Versuch über den geglückten Tag. Zwanzig Jahre später legt er einen neuen Versuch vor: Versuch über den Stillen Ort. "Lang lang ist es her, daß ich einen Roman des englischen Schriftstellers A.J. - Archibald Joseph , wenn ich mich nicht irre - Cronin gelesen habe, in einer deutschen Übersetzung, mit dem Titel 'Die Sterne blicken herab'. Es war ein ziemlich dickes Buch, aber es liegt nicht an dem Autor und seiner Geschichte, die mich damals mitgenommen und begeistert hat, daß ich mich an kaum welche Einzelheiten erinnern kann. Was mir von dem Roman geblieben ist, neben den Sternen, die fortwährend herabblicken: Eine englische Bergwerksgegend und die Chronik einer darbenden Bergleutefamilie, abwechselnd mit jener von betuchten Besitzern (wiederum: wenn ich mich nicht irre). Viel später, angesichts des Films 'Wie grün war mein Tal', von John Ford, gaukelten, im guten Sinn, die Bilder der Gesichter und Landschaften mir vor, daß es sich da, obwohl ich's doch besser wußte, nicht etwa um eine Verfilmung von Richard Llewellyns 'How Green My Valley was', vielmehr von Cronins 'The Stars Are Looking Down' handelte. Dabei habe ich doch von dem Epos der herabblickenden Sterne eine einzige Einzelheit behalten. Aber diese geht mir bis zum heutigen Tag nach, und sie ist es auch, welche den Ausgangspunkt für mein nun fast schon lebenslanges Umkreisen und Einkreisen des Stillen Orts und der stillen Orte bildet, und mit der jetzt hier dementsprechend der Anfang des Versuchs darüber gemacht werden soll." (Peter Handke)
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Die Kunst des Beginnens und immer wieder Neu-Beginnens ist vielleicht seine größte Kunst. Auch jetzt wieder, beim Lesen von Peter Handkes bisher letztem Buch, dem „Versuch über den Stillen Ort“, hat man das Gefühl, dass es wieder so leicht und neu anfängt, wie ein allererstes Werk. Obwohl er mit so tiefem Greisenatem anhebt, dass man beim einleitenden „Lang lang ist es her“ schon an den Beginn von Thomas Manns „Joseph“-Romanen denken kann, kommt doch schon in der dritten Zeile ein schlenkernd selbstbezweifelndes „wenn ich mich nicht irre“ dazwischen, und das neue Erzählen beginnt.
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Die Kunst des Beginnens und immer wieder Neu-Beginnens ist vielleicht seine größte Kunst. Auch jetzt wieder, beim Lesen von Peter Handkes bisher letztem Buch, dem „Versuch über den Stillen Ort“, hat man das Gefühl, dass es wieder so leicht und neu anfängt, wie ein allererstes Werk. Obwohl er mit so tiefem Greisenatem anhebt, dass man beim einleitenden „Lang lang ist es her“ schon an den Beginn von Thomas Manns „Joseph“-Romanen denken kann, kommt doch schon in der dritten Zeile ein schlenkernd selbstbezweifelndes „wenn ich mich nicht irre“ dazwischen, und das neue Erzählen beginnt.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/peter-handke-eine-frage-des-lichts-11978668-b1.html
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http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-lesungen-und-buecher/peter-handke-versuch-uber-den-stillen-ort
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E
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23.11.2012 | 21:11
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http://www.tip-berlin.de/kultur-und-freizeit-lesungen-und-buecher/peter-handke-versuch-uber-den-stillen-ort
Peter Handke: "Versuch über den Stillen Ort"
Es
gibt Schriftsteller, die produzieren einen Haufen Scheiße. Peter Handke
gehört nicht zu ihnen. Der kann selbst über seine Erfahrungen auf der
Toilette schreiben und es kommt große Literatur heraus. Im Ernst! Sein neues Buch heißt „Versuch über den Stillen Ort“ und gemeint ist wirklich: das Klo.
Schon als Kind sei es ihm zu einem „Asylort“ geworden, der Gang auf den
Stillen Ort zu einem „antisozialen Akt“.Noch heute entziehe er sich so
den Menschen. „Einsilbig geworden durch die Worte wie Wörter der
andern“, wie er schreibt. „Von ihnen zum Schweigen gebracht – angeödet –
verödet.“ Sozusagen als „Ausdruck, wenn nicht von Gesellschaftsflucht,
so doch von Gesellschaftswiderwillen, von Geselligkeitsüberdruss“.
Herrlich! Seit Handke 1966 mit seinen „Publikumsbeschimpfungen“ die Bühne betrat und wenig später den gestandenen Autoren der Gruppe 47 „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf, setzt dieser Mann seine Wut in Kunst um. Gerade ist er 70 geworden, doch sein Menschenverdruss ist ungebrochen.
Monomanisch spürt er persönlichen Beschädigungen nach. Von
einem Zitat des schottischen Autors Archibald Joseph Cronin („Die
Sterne blicken herab“) ausgehend, erzählt Handke vom stillen Örtchen
seines Großvaters in Kärnten, auf dem das Klopapier aus slowenischen
Zeitungen bestand. Wie er sich als Junge am ersten Tag im Internat in
die Hosen machte und auf eine abgelegene Toilette rettete. Oder wie er
Jahre darauf „in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“
die Nacht auf dem Bahnhof von Spittal an der Drau verbrachte, nachdem er
mit Seesack von Daheim losmarschiert war.
Das Buch knüpft an die „Versuchsreihe“ der Jahre 1989 bis 1991 an („Versuch über die Müdigkeit“, „Versuch über die Jukebox“ und „Versuch über den geglückten Tag“), und der Österreicher beweist darin mehr Ironie denn je. Natürlich geht es nicht nur ums Klo. Es geht wie immer bei Handke um alles: den Ernst des Lebens, um existentielle Erfahrungen, das Wiederfinden der Sprache und ums Schreiben. Erst sehr viel später, so wischt Handke in einem Satz wie nebenbei hin, sei ihm auch das Lesen zu einem stillen Ort geworden.
Das Buch knüpft an die „Versuchsreihe“ der Jahre 1989 bis 1991 an („Versuch über die Müdigkeit“, „Versuch über die Jukebox“ und „Versuch über den geglückten Tag“), und der Österreicher beweist darin mehr Ironie denn je. Natürlich geht es nicht nur ums Klo. Es geht wie immer bei Handke um alles: den Ernst des Lebens, um existentielle Erfahrungen, das Wiederfinden der Sprache und ums Schreiben. Erst sehr viel später, so wischt Handke in einem Satz wie nebenbei hin, sei ihm auch das Lesen zu einem stillen Ort geworden.
Text: Welf Grombacher
tip-Bewertung: Lesenswert
tip-Bewertung: Lesenswert
Peter Handke: „Versuch über den Stillen Ort“
Suhrkamp, 110 Seiten, 17,95€
Suhrkamp, 110 Seiten, 17,95€
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Zuwortkommen auf dem Abort
Peter Handke versucht sich an den stillen Örtchen
Von Juan S. Guse
Besprochene Bücher / Literaturhinweise
„Seit dem Morgen in der Tempelgartentoilette von
Nara [Japan] – über zwanzig Jahre ist das nun her –
begleitet mich der Stille Ort, über das Ding und den Platz
hinaus, als Idee. Mit anderen Worten: Er ist seitdem ein
Vorwurf, oder ins Altgriechische zurückübersetzt, ein
Problem, ein reizvolles – in seiner ersten Bedeutung ein
‚Vorgebirge‘, etwas zu Umfahrendes, zu Umkurvendes, wobei
das Schiff, der das Boot, oder der Nachen in diesem Fall die
Sprache ist, die des umkreisenden oder umreißenden
Erzählens.“
Nach seinen „Versuchen über die Müdigkeit“
(1989), über die „Jukebox“ (1990) und „[Ü]ber den geglückten
Tag“ (1991) greift Peter Handke nach über zwanzig Jahren auf
das Format des Essays mit stark autobiografischen Zügen
zurück. Dabei geht es weniger um das Rekapitulieren
sinnlicher als vielmehr kognitiver und poetischer
Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit der
Eindringlichkeit der Stille auf dem Abort; diesem „leicht zu
übersehen[den]“ Unort. Das Anliegen des „Versuchs“ ist daher
nicht eine Kulturgeschichte des Aborts zu zeichnen, sondern
Handkes Verhältnis zum stillen Ort neugierig zu
artikulieren. Im Zuge seiner Recherchen, erzählt Handke,
hätten nämlich gerade „die historischen, völkerkundlichen,
soziologischen Lektüren“ seine Spur eher „zu verwischen
gedroht“. Entsprechend frei ist der Text erzählt – immer
wieder durch gedankliche Einschübe zersetzt –, ohne einen
wie auch immer gearteten wissenschaftlichen Anspruch. Im
Gegenteil. Da Handke aus seinen Erinnerungen schöpft, wird
der Text gelegentlich sogar szenisch. Als er sich
beispielsweise eines Tages alleine auf der Toilette der
Fakultät Gesicht und Haare wäscht, kommt unverhofft ein
Professor, mit dem er im argen Zwist liegt, durch die Tür
herein. „Kein Wort fiel, kein Blick wurde gewechselt.“
Unversehens beginnt der Dozent sich ebenfalls das Gesicht zu
waschen, kämmt sich und bindet sich die Krawatte neu, sogar
die Nasenhaare trimmt er sich, alles in Anwesenheit des
klatschnassen Handkes und in vollkommenere Stille. Es sind
Szenen, die sich nur schwer einordnen lassen, die aber vor
allem das Faszinosum des Aborts verdeutlichen können. Als
Ort der Diskretion, als Ort des Schweigens.
Anhand der verschiedenen Episoden seines Lebens
schildert Handke, wie er eine regelrechte Kultur des
Rückzugs zum stillen Ort entwickelte und was dies für Folgen
auf sein Denken und nicht zuletzt seine Literatur hatte. Das
ist das Wunderbare an diesem Buch. Nämlich die Bewegung,
welche Handke über einhundert Seiten hinweg skizziert: vom
Rückzug in die Stille und wie sich aus der Stille Sprache
generiert und aus der Sprache letztlich Literatur.
Handkes besondere Beziehung zum stillen Ort
beginnt bereits während der Schulzeit. Da seine
Altersgenossen ihn langweilen und ihm die Teilnahme am
Gespräch reizlos scheint, flüchtet er sich in die
Abgelegenheit; ein Habitus, den er bis heute kultiviert.
Seine ersten Rückzüge auf den Abort seien also in erster
Linie ein „antisozialer“ Akt gewesen, eine Fluchtbewegung.
Dabei bleibt es jedoch nicht. Aus dieser sozialen Abkehr, so
rekapituliert Handke, speiste sich innerhalb des stillen
Raumes eine kontemplative Intelligenz. Denn der stille Ort
sei keine reine Isolation für Handke gewesen, sondern eher
eine Filterung der Außenwelt auf das Akustische.
„Fast jedes Mal – nicht immer – wurden dort an
den fernen Stillen Orten der Lärm, das Gelächter, das
Stimmengewirr, wie das durch die Mauern, Wände und Türen
herüberdrang, zu etwas nicht gerade Klangvollem, so doch in
den Ohren mich Anheimelndem und es zog mich […] zu dem
Lärmen, dem Krach, dem, gebe Gott, unendlichen Getöse der
Räume zurück.“ Die gewonnene Stille gebärt Raum für das
Sinnieren: „Dennoch bin ich an den Stillen Orten […] immer
neu ins Anschauen, Betrachten, und zu guter Letzt Sinnieren,
Fantasieren und Imaginieren gekommen.“
Ein Ort also auch des freien Bewusstseinsstrom,
den das Textgewebe selbst in sich verkörpert. Was folgt ist
das Zuwortkommen, vom Stummsein „zur Wiederkehr der Sprache
und des Sprechens“, denn kaum „verschwunden im Stillen Ort:
Die Sprache. Und Wörterquelle springt frisch aus, frischer
vielleicht denn je zuvor“.
Das letzte Glied dieser kognitiven Kette ist das
Entstehen von Literatur. So sei eine bestimmt
Bahnhofstoilette in seinem Leben die unmittelbare Vorlage,
die Keimzelle für seine ersten literarischen Stoffe (unter
anderem die Erzählung „Die Wiederholung“) geworden. Sowohl
motivisch, als auch figürlich. „Jahre später erst kam der
Moment, da ich, nicht mündlich, vielmehr im Aufschreiben,
jene Nacht teilweise weitererzählen konnte, verwandelt, eine
Verwandlung, die nicht gedacht war, sondern wie von selbst
geschah, eben im Aufschreiben.“
Handke will mit diesem Büchlein keine Theorie für
irgendjemanden anders als sich selbst niederschreiben. Seine
Befunde betreffen in erster Linie ihn, wenn andere eigene
Gedankengänge darin ausmachen können, dann ist dies eher
eine zufällige Folge. Und so gilt etwas Ähnliches wie das,
was Wittgenstein im Vorwort des Tractatus so treffend
beschrieben hat: „Dieses Buch wird vielleicht nur der
verstehen, der die Gedanken, die darin ausgedrückt sind –
oder doch ähnliche Gedanken – schon selbst einmal gedacht
hat. – Es ist also kein Lehrbuch. – Sein Zweck wäre
erreicht, wenn es einem, der es mit Verständnis liest,
Vergnügen bereitete.“
Der Leser, der jedoch noch kein Verhältnis zu
Handkes Arbeiten hat, wird sich womöglich die Frage stellen,
was das soll. Denn ist doch bemerkenswert, dass Handke bei
Suhrkamp anklopfen und sagen kann: „Ich habe hier auf
einhundert Seiten über die Toiletten meines Lebens
nachgedacht, schaut doch mal.“ Beneidenswert. Für
eingesessene Handke-Leser oder Leser mit Zugang zum
Gedankenmaterial hingegen könnte es nichts Geringeres als
ein Einblick in Handkes sprachliches Selbstverständnis und
seine Textgenese sein. Eine Frage also eher von Ernst und
Unernst, von Dichte und Distanz als von gut oder schlecht.
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Nachdenken über den „Stillen Ort“
http://www.cicero.de/salon/nachdenken-ueber-den-stillen-ort/52789
Zu seinem Geburtstag verleiht Peter Handke dem Klosett eine poetische Aura.
Seite 1 von 4
Am
6. Dezember wird Peter Handke siebzig Jahre alt. Aber wirkte er denn
eigentlich nicht immer schon so alt, wie er heute ist? Oder, richtiger:
Wirkte er in den letzten vierzig Jahren nicht eigentlich immer gleich
jung? Seit 1972 nämlich, dem Jahr, in dem kurz nacheinander die beiden
Romane „Der kurze Brief zum langen Abschied“ und „Wunschloses Unglück“
erschienen waren? Zwei im Grunde sehr private Texte, deren sprachliche
Intensität und nicht-private Perspektive hunderttausende Leser denken
ließen, gerade diese Bücher hätten ihnen, ganz persönlich, etwas
Wichtiges zu sagen.
Die
Theater-Aufregung um Handkes Stück „Publikumsbeschimpfung” und das
öffentliche Spektakeln des Jung-Genies jedenfalls waren vorbei, die 1966
mit einer überraschenden Schock-Aktion auf der Tagung der Gruppe 47 in
Princeton eingesetzt hatten: Der deutschen Literatur-Elite hatte Peter
Handke dort „Beschreibungsimpotenz“, der Kritiker- Elite wiederum die
himmelschreiende Unfähigkeit vorgehalten, diese zu erkennen. Von da an
war Handke ein Name in der literarischen Szene gewesen, ohne noch je ein
Buch veröffentlicht zu haben. Die landesweiten Aufführungen der
„Publikumsbeschimpfung” (1966) hatten das Bild vom krawallfreudigen und
arroganten Pop-Jüngling dann nur bestätigt. Die sprachvertüftelten und
leicht angestrengten Romane „Die Hornissen“ (1966) und „Die Angst des
Tormanns beim Elfmeter“ (1970) standen diesem Image zwar entgegen,
setzten ihre Leser aber auf andere Weise in Ängste: Sollte künftig so
geschrieben werden? Keine Erzählungen mehr also, die ihre Leser im
Innersten anrührten?
Solche
Befürchtungen schienen seit dem Doppelerfolg von 1972 dann, wiederum
überraschend, gegenstandslos. Peter Handke wandte sich in seiner
literarischen Arbeit nach innen – der Titel des 1969 erschienenen
Gedichtbands „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ hatte bereits
programmatisch angezeigt, wohin die literarische Reise gehen sollte. In
der innenweltlichen Ansicht der Außenwelt schien er auch selbst dann
noch zu verharren, als in den neunziger Jahren sein Kreuzzug für die der
Kriegserklärung, Brandschatzung, Massenvergewaltigung und des
versuchten Völkermords in seinen Augen zu Unrecht beschuldigte
ex‑jugoslawische Republik Serbien begann: Alles, was Handke zu diesem
Themenkomplex schrieb, wurde aus der Innen- Perspektive seines
persönlichen Wahrnehmungskosmos gesehen, aus dem Blickwinkel eines
Sensualisten, der Wirklichkeit beschreiben kann wie sonst niemand in
deutscher Sprache – der diese stupende Fähigkeit nun aber (plötzlich,
nach dreißig Jahren, doch wieder ein literarischer Wutbürger) auf die
ehemals jugoslawische Welt anwandte. Die „andersgelben Nudeln“, an deren
Anblick er sich auf einem serbischen Markt nicht hatte sattsehen
können, während es ihm andererseits nicht gelang, in der Region um
Srebrenica auch nur einen einzigen Zeugen zu finden, der die Leichen
nach dem versuchten Genozid hätte den Fluss hinabtreiben sehen (also gab
es womöglich gar keine Leichen?) – diese „andersgelben Nudeln“ wurden
zum teils spöttischen, teils hasserfüllten, teils aber auch
schwärmerischen Catch Cry der verschiedenen Fraktionen unter den Handke-Lesern.
picture allia
Dabei
zeigt das Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold aus dem Jahr 1975 (siehe S.
15), dass das frühe literarische Selbstverständnis Peter Handkes in
seinen prägenden Grundzügen seit Anfang der siebziger Jahre durchgängig
Geltung behalten hat; auch die Beweggründe für den späteren
Serbien-Furor waren dort schon mit eingeschrieben. „Ich weiß ganz genau,
was ich möchte“, sagte Handke damals: „dass (die Leute) auch das
verstehen, was sie nicht verstehen wollen, was sie abwehren, was sie
immer abgetan haben.“ Und: „Ich glaube, dass Literatur nur dann
verbindlich wird, wenn sie in die äußerste Tiefe des Ich hineingeht.
Daraus bestehen meine Bücher: aus der äußersten Oberfläche und aus dem
äußersten Verbohrten.“ Gerade, dass dies alles sich bis heute so
verhält, ruft vermutlich den Eindruck der Alterslosigkeit des Jubilars
hervor: Seine Wutbereitschaft wie seine (Selbst-)Beobachtungslust sind
ungebrochen, substanzielle Veränderungen in diesem literarischen Projekt
gibt es nicht. Oder vielleicht doch? Zu seinem 70. Geburtstag hat Peter
Handke sich jetzt ein Buch geschenkt, einen „Versuch über den Stillen
Ort“ – eine Wendung zur Selbstironie?
Mit
seinem Titel und seinem Umschlag ruft das nur 109 Seiten umfassende
Buch sogleich die Erinnerung an seine drei Vorgänger wach, die Handke
zwischen 1989 und 1991 veröffentlichte: „Versuch über die Müdigkeit“,
„Versuch über die Jukebox“ und „Versuch über den geglückten Tag“.
Allesamt waren sie Meditationen über verschiedene Medien und Formen des
gesellschaftlichen Rückzugs wie der Rückgewinnung der Konzentration des
Schreibenden gewesen. Das Ziel all seiner Beobachtungen, Überlegungen
und Erinnerungen: sich selbst und der Welt die Geschichte des eigenen
Schreibens wie der eigenen Arbeitsweise zu verdeutlichen und, nicht
zuletzt, die Kraft zu sammeln, sich der lärmenden, das Individuum
zerfasernden äußeren Wirklichkeit neu wieder zuwenden zu können – nach
den eigenen Maßgaben, aus wiedergewonnener Beschreibungsstärke, einer
geschärften, vertieften, gewissermaßen innigeren Distanz.
Auch
der „Versuch über den Stillen Ort“ scheint sich dieser Reihe
umstandslos einzuschmiegen, Zurückgezogenheit ist auch hier das zentrale
Motiv. Wäre da nicht der Ort, um den es geht: „das Klosett (‹wie der
Name schon sagt›)“. Macht sich der Autor da, indem er „die Toilette, den
Abtritt, den Abort“ zum Gegenstand nimmt, einen Jux auf Kosten des
Innerlichkeits-Meisters? Das, tatsächlich, wäre ein ganz neuer Handke.
Doch so ist es natürlich nicht. Nicht nur wird das Klo alsbald seiner
abstoßenden und peinlichen Begleiterscheinungen entkleidet – „Geräusche,
gleichwelche, taten und tun nichts zur Sache. (Geschweige denn tun
Gerüche, seltsam, oder auch nicht)“ –, es muss auch, wie der Titel es
signalisiert, vom trivialen „stillen” zum emphatischen „Stillen Ort“
erhoben werden, einem Platz der Besinnung und höheren Einsichten: Ein
antiauratisches „00“ ist hier undenkbar.
nceE
Und
so beginnt Handkes persönliche Abort-Geschichte, nach einer poetischen
Reminiszenz an einen Roman mit dem Titel „Die Sterne blicken herab“
sowie einem kleinen ironischen Schlenker zum seit je hoch verehrten
Regisseur John Ford, im Märchenton: „Es war an der Schwelle zwischen der
Kindheit und dem Heranwachsendenalter, daß der Stille Ort mir etwas zu
bedeuten begann über das Übliche oder Gewohnte hinaus.“ Worauf folgt,
was man aus den vorherigen „Versuchen“ als Formprinzip schon kennt: ein
Mäandern zwischen eigenen Phantasien wie denjenigen anderer,
Erinnerungen, Assoziationen, Erfahrungen, Wunschträumen. Der
Gedankenstrom kreist verschiedene Orte der „Stille“ ein – den
Beichtstuhl etwa, das Krankenzimmer im Internat, die Waschräume der
juristischen Fakultät an der Universität Graz, Flugzeug- und
Eisenbahntoiletten –, bis der Erzähler schließlich den Stillen Ort
überhaupt erreicht, die „Tempeltoilette“ im japanischen Nara. Wobei es
zum Erzählverfahren gehört, dass mehrere Anläufe unternommen werden
müssen und Handke den Ort, den er zunächst als „Friedhofstoilette“
erinnert, immer wieder mit anderen Geschichten einfasst, bis er endlich
doch am gewünschten Ziel anlangt. „Hier liegt alles in meiner Hand, ihr
Leser“, scheint der Erzähler zu sagen, „ihr müsst mir schon glauben.
War’s eine ‹Friedhofstoilette›? Ach nein, doch lieber eine
‹Tempeltoilette›“!
Je
weiter der Text von Ort zu Ort vorankommt, umso deutlicher zeigt sich,
dass der Leser hier einem Spiel, einer Art Aufführung beiwohnt:
Dargeboten werden Lebensstationen des Schriftstellers in ihrer
Vernetzung, Verzwirbelung und Vertäuung mit dessen Werk. So sieht man,
wie „der Äuger“, dem schon auf dem Plumpsklo im Großvaterhaus die
slowenischsprachige Zeitung „Vestnik“ begegnet, das Schauen lernt: durch
seine Lebensumgebung in der „Dorfheimat“, nicht zuletzt aber eben durch
jenes Licht, das durch die Bretter-Ritzen im Toilettenverschlag dringt;
eine Seh-Schule, die den Schreibenden mit seinen einmal erlernten
Blickrichtungen durchs Leben und Schreiben begleitet. Diese
Lebens-Etappen werden vom Autor aber nicht nur kommentiert. Mal
spielerisch, mal provozierend geht der „Versuch“ vielmehr immer wieder
auch diejenigen mit kleinen Kopfstößen an, die Peter Handke im Laufe
seiner langen Autorenlaufbahn mit den unterschiedlichsten Vorwürfen
konfrontiert haben.
Er
sei ein Narziss? Da stellt er sich doch gleich – in einer längeren
Passage unter der Leitfrage „Wer war ich?“ – vor den Spiegel des
Universitäts-Waschraums und wendet den Gedanken um und um, dieser junge
Mann könne von sich selbst „nicht genug bekommen“. Das Ergebnis der
äußeren Selbstbesichtigung: „Nicht besonders. Gar nicht so übel.
Vielleicht nicht so ganz mit dem gewissen Etwas, aber auch nicht ganz
ohne.“ Und die kleine Narzissmus-Attacke schließt: „Na, so was. Ja, da
schau her. Da schaust du, wie? Schau, schau. Ja, schau nur. Schau!“
Oder
man unterstellt ihm „Gesellschaftsflucht“, „Geselligkeitsüberdruss”,
Defekte als „Gemeinschaftswesen“? Da fängt der Erzähler eine
umständliche, leicht höhnische Erwägung über die Lebenszeichen an, die
Raucher mit ihren Kippen auf öffentlichen Toiletten hinterlassen und
ernennt sich zum „Geometer“, der diese Stillen Orte „ermisst“ und „als
solcher tunlichst seinen Dienst ausüben (möge). Wenn der nicht von
Gemeinnutz war, was sonst, oder?“ Und obwohl er sich zur Ordnung ruft
(„Schluß jetzt mit der Ironie“), muss er doch noch einmal nachsetzen:
„Und da habt ihr das Gemeinnutzsiegel für den Geometer der Stillen Orte,
bekundet hiermit von ihm höchstselber!?“
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23.11.2012 | 21:11
Ein Weltgeräusch
Könnerschaft Peter
Handkes „Versuch über den Stillen Ort“ ist einfach ein sehr guter Witz.
Aber er ist natürlich noch viel mehr: Die brillante Erzählung eines
Zu-sich-Kommens
Foto: Môsieur J. / flickr
Mit
dem Genre des „Versuchs“ hat Peter Handke seine ideale Form gefunden.
Anders als im Roman braucht er hier nicht fiktive und doch glaubhafte
Charaktere zu entwickeln, die einen zu fesseln vermögen, was nun
wirklich nicht seine Stärke ist. Vielmehr kann er seinem Dasein eine
Form geben, suchend, tastend, im Schreiben erprobend. Versuch, darin
schwingt der Essay mit, der übersetzt ja nichts anders heißt als eben:
Versuch.
Noch
radikaler als in der herkömmlichen Essayistik erarbeitet sich Peter
Handke ein Thema aber nur ganz am Rand in der Auseinandersetzung mit
dem, was andere von einer Sache gedacht und geschrieben haben, in erster
Linie ist es das leibhaftig Erfahrene und dann Erinnerte und Erzählte;
Handkes Versuche sind eine Sonderform der Autobiografie.
Im kommenden Dezember wird der Schriftsteller 70, der Versuch über den Stillen Ort ist der vierte publizierte Versuch. Thematisch erinnnert er an seinen Versuch über die Jukebox von
1990, im Untertitel „eine Erzählung“. Schon damals konnte ein
herbstlich gestimmter Leser melancholisch werden; sein Gegenstand, die
Jukebox, war gerade dabei, ein für allemal aus der Welt zu verschwinden
und mit ihr ein Ort, an dem nicht nur der Erzähler, sondern auch viele
Leser mit Popmusik eine unverwechselbare Bekanntschaft gemacht haben,
vor allem deshalb – das war ja der Clou in Handkes Buch –, weil sie mit
ihr an Orten Bekanntschaft machten, die wie die Dorfkneipe noch nicht
popkulturell beherrscht waren. Im Übrigen hätte man von einer Band wie
den Flippers wohl nie erfahren, hätte es nicht die Jukebox gegeben.
Unterwegssein
Auch der aktuelle Versuch passt
zur Stimmung des Herbstanfangs. Natürlich, seine Notdurft wird der
Mensch wohl für immer in Räumen verrichten, in denen meist nicht viel
mehr als eine Kloschüssel steht, aber wer sagt uns, dass auch in Zukunft
einer da ist, der sie als „Stiller Ort“ im vollen Wortsinn versteht und
aufschreibt? Der sie, ähem, weiht. Ja, das ist eigentlich ein Wort aus
dem Vokabular der Dichterpriester, also aus einer Zone der Literatur, in
der es humorfrei und unerträglich wird.
Es
ist bei Peter Handke aber zum Glück komplizierter. An einer zentralen
Stelle des Buches erinnert sich der Erzähler, wie er auf einer
Japan-Reise die Tempelstadt Nara besucht. Aber es ist dann nicht ein
Tempel, der dem Erinnernden das tiefste Erlebnis gebracht hat, sondern
das Dämmerlicht in der Tempeltoilette, das ihn endlich in der Fremde
ankommen ließ, ihn zugleich ruhig machte und belebte. Wenn bei diesem
Buch von Dichterpriester gesprochen werden kann, dann also nur im
modernen und einzig noch akzeptablen Sinn, dass hier einer aus dem
Ephemeren, dem Geringen und Abseitigen schöpft.
Man hat in solchen Fällen schnell das Wort „schräg“ parat, in diesem Fall passt es, denn natürlich ist dieser vierte Versuch einfach auch ein guter Witz, und keiner soll mehr Peter Handke als humorlosen Autor bezeichnen.
„Über
zwanzig Jahre“ sei der Besuch der Tempeltoilette in Nara nun her,
seither beschäftigte den Erzähler, oder sagen wir doch einfach: Peter
Handke, die Idee des Stillen Ortes. Man kann sich gut vorstellen, wie es
ihn amüsierte, wenn er daran dachte, dass die Kritiker bald
einen-Versuch über den Stillen Ort in der Hand halten würden und damit eben wirklich die Toilette gemeint ist. Nichts anderes.
Oder
natürlich doch, denn vom Gestank will dieses Buch ausdrücklich nichts
wissen. Nicht dass diese Orte unsinnlich erscheinen, es ist vor allem
das Gehör, das von ihnen geschärft wird. Darüber hinaus sind die Stillen
Orte wie die Jukeboxen in der spanischen Pampa und anderswo Wegmarken
auf der Lebensreise dieses Schriftstellers, die ganz konkret ein stetes
Unterwegssein bedeutet.
Unterwegssein
auch im Kleinen. Es ist ja ganz einfach: Man geht auf ein Klo, weil man
muss oder weil man einer Gesellschaft für eine Weile entfliehen will,
manchmal kommt beides zusammen. Während der Zeit im Internat wird das
Klo für Handke sogar zum „möglichen Asylort“.
Einmal
mehr erzählt Peter Handke also vom Aufbrechen und Entfliehen, aber
diesen Fluchten aus der Welt von Familie und Schule, diesen Aufbrüchen
in ein unbekanntes Terrain, haftet nichts Heroisches (mehr) an. Selbst
das Einzelgängerische und Eigenbrötlerische, das Handke in seinen
früheren Büchern ja ganz gerne nach außen gekehrt hat, wird hier ein
wenig relativiert.
Um die Klosettschüssel
Die
Schulkameraden, so erfahren wir, hätten ihn „sämtlich“ gerne mit bei
einer Reise durch Jugoslawien und Griechenland dabeigehabt, aber aus
irgendeinem Grund ist er in Kärnten geblieben und dann mit einem Seesack
„aufgebrochen“. Weder sei er weit gekommen noch lange unterwegs
gewesen, die letzte Nacht verbrachte er in der Bahnhofstoilette in
Spittal an der Drau. Am Boden liegend, um die Klosettmuschel gekrümmt,
war er dann ganz Ohr, gerichtet auf die vorbeirauschenden Güterzüge
ebenso wie auf die „allerleiseste Böe von einem der Bahnhofsbäume. Von
einem Stillen Ort konnte während jener immer wieder vollkommen stillen
Nachstunden nicht die Rede sein.“ Diese Episode, so erfahren wir, wird
er später im Schreiben verwandeln, in der Wiederholung wird aus der Toilette ein Eisenbahntunnel nach Jesenice.
Auch in seinem vierten Versuch ist
Peter Handke ein Meister der unaufdringlichen Komposition. Wie von
selbst gleitet der Text vom Erzählen der Stillen Orte in die Stille
eines Niemandslands zwischen Paris und der Normandie. Hier wurde der
Text im vorigen Jahr geschrieben, wie in einer Art integriertem Epilog
berichtet wird. Geschrieben in der „Periode, von der es heißt, es sei
die dunkelste des Jahres“, in der Handke, wenn er nicht schrieb, das
tat, was er auch in seinen Versuchen so
oft tut, nämlich, wie soll man es nennen, wandern?, aber das trifft es
nicht, eher herumgehen, durchstreifen. Und dem „chronischen Regen“ zum
Trotz wird das nun ein heiteres Buch, das auf ein paar locker
geschriebenen Seiten die Natur selbst in einen Stillen Ort verwandelt,
anders gesagt, in ein „Weltgeräusch“
http://www.sueddeutsche.de/kultur/peter-handkes-versuch-ueber-den-stillen-ort-des-dichters-feuchtgebiete-1.1490816
Man könnte es für einen Scherz der Titanic-Redaktion halten: Wenn Peter Handke,
der Pilz- und Sinnsucher der deutschen Literatur, dieser
Sensibilissimus und Sonderling, Schamane und Schmerzensmann, nun ein
Buch über den stillen Ort vorlegt, liegt der Verdacht nahe, es handle
sich dabei um Satire. Denn Handke, der ob der weihevollen Esoterik, mit
der er die Epiphanien des Alltags beschwört, seinen Spöttern noch stets
eine offene Flanke bot, versteht diesen stillen Ort nicht etwa im
übertragenen Sinne - das auch -, sondern es geht ganz indiskret um die
Toilette, wenn auch vom Gestank ausdrücklich "keine Rede" sein soll.
Begonnen
hatte es 1989 mit dem "Versuch über die Müdigkeit", war ein Jahr später
fortgesetzt worden mit dem "Versuch über die Jukebox", bevor der
"Versuch über den geglückten Tag" 1992 die Trilogie abschloss. Obwohl
schon die jüngsten Bücher Handkes von einer neuen Entspanntheit zeugten,
ist es ihm nun nicht darum zu tun, seinen Hang zum Pathos das Bächlein
inkontinenter Selbstverspottung hinunter gehen zu lassen. "Schluss jetzt
mit der Ironie", heißt es da, "nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß
die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist".
Wohl
wahr, aber überraschender als diese Einsicht ist die Offenheit, mit der
sie geäußert wird. Und es gibt einige überraschend deutliche
Selbstauskünfte mehr in dem schmalen Bändchen. So etwa erzählt Handke,
dass seine erste große Wanderung eben nicht die nach Jugoslawien war,
die für ihn und die Nachkriegsliteratur so wichtig wurde. Vielmehr
scheiterte der Aufbruch zunächst kläglich, als Handke, nach dem Ende der
Schulzeit in Kärnten, allein sich aufmachte. Die dritte Nacht brachte
er in einem Bahnhofsklo zu, "in einem Halbkreis um die Klosettmuschel
geringelt", um am nächsten Morgen zu beschließen: "nichts wie heim". In
seiner Erzählung "Die Wiederholung" hat er dieses Erlebnis dann ins
Heroische abgewandelt .
Man
erfährt neben solchen Korrekturen an Leben und Werk, dass Handke, der
Autor der Innerlichkeit, von dem man meinte, er schöpfe seinen Stoff
einzig aus sich selbst, durchaus recherchiert. Nur hat er die "nicht
wenigen" Bücher "zum Bedeutungswandel der Notdurftverrichtung", die er
konsultierte, dann doch wieder beiseite gelegt, weil sie ihm bei seinem
Thema nicht weiterhalfen. Statt dessen orientiert sich die Reise durch
die Welt der Feuchtgebiete an den selbsterlebten stillen Orte, vom
bäuerlichen Plumpsklo des Großvaters bis zum japanischen Friedhofs- oder
Tempelklo. Denn das Erkenntnisinteresse dieses "seltsamen Forschers"
besteht darin, die "Stillen Orte" wörtlich zu nehmen und groß zu
schreiben, als "Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete,
Abschirmungen, Einsiedeleien", als Orte, "wo der Geist im wahrsten Sinne
Ruhe findet", ja als utopische "Ab-Orte" innerer Einkehr.
Verräterisches Rinnsal unter den Füßen
Auch
hier zeigt sich Handke ungewohnt selbstkritisch, wenn er sich fragt, ob
sein jäher Drang, den stillen Ort aufzusuchen, nicht einer
Gesellschaftsflucht gleichkomme, Ausdruck von "Gesellschaftswiderwillen"
sei, von "Geselligkeitsüberschuss", "ein asozialer - ein antisozialer
Akt?" im Grunde. Dabei ist er "versucht, ,Ideal Standard' - nicht die
Warenmarke, sondern das Wort - auf mein Problem anzuwenden", dieses
dringende Bedürfnis, sich abzusondern.
Ein
Schlüsselerlebnis ist da die Episode, wie Handke als Neuling im
Internat nicht die Toilette findet oder sich nicht traut, danach zu
fragen, so dass er gleich zum verspotteten Einzelgänger wird, als sich
im Speisesaal ein verräterisches Rinnsal unter seinen Füßen bildet. Es
geht aber jenseits der Notdurft um "eine ganz andere Not", die
Langeweile "als die andere; die umgekehrte Zeitnot", vor allem jedoch um
die Sprachnot. Zum Schweigen gebracht "durch die Worte wie Wörter der
anderen", entzieht er sich mit einem "ich muss kurz verschwinden!". Und
erfährt: "die Sprach- und Wörterquelle springt frisch auf",
zurückkehrend ins "Grölen, Gellen, Toben und Kreischen", ist er wieder
"vielsilbig, voll von der Redelust".
Dass
der große Dichter Peter Handke ausgerechnet zu sich selber kommt, wenn
er mal für kleine Jungs muss, hätte seine Leser-Gemeinde vielleicht so
nicht erwartet. Dass er aber selbst diesem heiklen Sujet einen
wunderbaren Essay abgewinnt, macht ihm keiner nach. Diese wahrscheinlich
stillste Neuerscheinung mag eine Beckenranderscheinung des
Bücherherbstes sein, sie dürfte dennoch für Gesprächsstoff sorgen,
zumindest an den stillen Orten der Frankfurter Buchmesse.
Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 109 Seiten, 17,95 Euro.
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http://www.kulturradio.de/rezensionen/buch/2012/peter_handke_versuch.html
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http://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article109809659/Am-stillen-Ort-der-Stille.html
http://www.literatur-blog.at/2012/10/peter-handke-versuch-uber-den-stillen-ort/
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Ein Moment ist viel oder: Als ob der Regen stiefelte
Peter Handkes eindringlicher »Versuch über den Stillen Ort«
Ein Asylort wie der Beichtstuhl
Foto: photocase.de/view7
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Der
Stille Ort, das ist tatsächlich: das »stille Örtchen«. Peter Handkes
»nun fast schon lebenslanges Umkreisen und Einkreisen des Stillen Ortes
und der stillen Orte« ist Buch geworden. Dessen Ausgangspunkt: ein Roman
von A. J. Cronin, darin der Kinderheld auf der Toilette Zuflucht sucht
vor der Erwachsenwelt. Der Ab-Ort als schöne Chance zur besänftigenden
»Nächstenferne«, wo der Junge »nichts tut, als der Stille dort zu
lauschen«. Und die Sterne blickten herab - was dem Roman den Titel gab:
»The Stars Look Down.«
Die
Toilette beim Großvater in Kärnten, im slowenischen Dorf. Die Toilette
im Schulinternat, wo das Getön der Mitzöglinge endlich »nicht mehr als
Gegell und Gebrüll ankam« - ein Asylort wie der Beichtstuhl. Oder das
schulische Krankenzimmer: Lob der »Aus- und Alleinzeit«. Handke ist am
Millstädter See oder in einer Tempelgartentoilette in Japan, er erinnert
sich an viele Stille Orte, und aus diesem vielleicht kurios zu
nennenden Anlass des Buches erwuchs ein wunderbarer Text über
»Augenblicke von Ver- und Geborgenheit« inmitten blökender Welt.
Es
ist dies der vierte »Versuch« des Dichters, er schrieb bereits Versuche
über die Müdigkeit, die Jukebox, den geglückten Tag. Um-Schreibungen,
Um-Kreisungen, beobachtend, erzählend - essayistisch möchte man gar
nicht erst sagen, das nähme Leben aus diesen Büchern, Atem, die große
anmutige Um-Sichtsfreude. Wieder diese Armut an Zwischenfällen als
Reichtum des Erschauten. Als »Äuger« bezeichnet sich Handke: Wo es
scheinbar um nichts geht, liegt doch alles vor Augen. Dieses Nichts, das
immer nur ein Fast-Nichts ist, kann ein Werkzeugschuppen sein, »ein
über Nacht leerstehender Bus, ein wenn auch halb eingestürzter
unterirdischer Bunker aus werweißwelchem Krieg«. Rückzugsgebiete, sagt
Handke, und schon ein Blick zu Boden kann das sein, »hinein in die
Straßenbahnschienen«. Naturbild und Menschenspur in wundersamem
Beieinander. Die wahren Schatzsuchergeschichten.
Es
gibt keinen Dichter, der mit solchen Exerzitien der Anschauung, mit
solcherart Sehnsucht nach dem Ereigniszittern des »bloßen Anblicks« in
den Tag und in die Nacht, ins Licht und in die Schatten tritt. Was er
mit Beben schaut, »ein Moment ist viel!«, das ist inmitten der Mauern,
der Verschleierungen, der so vielen Wände und Absperrungen des Daseins
eine Feier der Luftdurchlässigkeit. Der Stille Ort und die stillen Orte
als »Heimkehr- oder Einkehr- oder Abbiegestätten« im überall
»geisttötenden Gerede«.
Das
Einfache? Beleidigungswort. Im Gegensatz zu: Einfalt. Ja, in der
Literatur dieses Märchenbruders geschieht - Einfalt. Das ist etwas aus
der Zeit Gestoßenes. Einfalt ist Grundfläche, kaum mehr auffindbar in
heutiger Kultur, die zwar allem den Schleier entreißt und dann doch nur
immer auf Oberfläche stößt. Einfalt ist Versöhnung mit Ursprüngen. Es
ist Befreiung. Ist »der Blick über die Schulter ins Leere«. Wie es
Handke von Ben übernommen hat, dem Helden aus Wolfes »Schau heimwärts,
Engel«, der »sooft er Gerede, Streit, Unsinn, Krieg usw. der Familie
oder sonstwessen wieder einmal über hat, den Kopf über die Schulter
zurück in einen leeren Winkel des Hauses oder sonstwohin wendet und zu
seinem ›Engel‹ dort sagt: ›Nun hör dir das an!‹«
Friedhöfe.
Kirchen. Toiletten. Stille Orte. Ja: Bedürfnisanstalten. Hier macht das
Bedürfnis nach einem ungebrochenen »Hiesigkeitsgefühl« Anstalten, sich
zu befriedigen. Sich befriedigen zu lassen vom Geist der
Unverwundbarkeit, inmitten doch des Verwitterns der Dinge, der Stunden.
Ein Verwittern, gegen das die Welt hamsterrädrig ihr wieselndes
»Weltbedeutungsspiel« setzt, über das der Dichter nur lächeln kann.
Anmut
geht von diesem Text aus, Anmut als Ausdruck von Würde. Anmut als
Aufruhr gegen die Fesseln des Althergebrachten. Asozialität also,
Beseeltsein davon, den Geheimnissen des inneren, unbewussten Lebens
näher zu kommen. Handke ist nicht mutig, sondern weit mutiger: Er ist
furchtsam. Das Schreibziel (Wortwerdung als Weltschöpfung!) ist denn
doch zu hochfein, als dass es sich je ganz fassen ließe. Das macht jene
Unsicherheit und Unruhe aus, die auch diesem »Versuch« eingeschrieben
ist. Meistens ist ja erst dann, wenn eine Sache aufhört, ein Ton da, der
in uns nachklingt. Hier ist der Ton schon die Sache selbst. In ihm kann
man sich aufgehoben fühlen und an so etwas wie Bewahrung glauben. Als
sei die Welt schon vollständig erzählt, man muss nur immer warten, bis
das Unerforschliche die Augen aufschlägt. Bewahrungsgefühl. Das ist
angesichts jener Deutlichkeit, mit der rundum Vernichtung und Vernutzung
protzen, doch etwas sehr Wärmendes.
Wer
im Beton sitzt, von der Stadt verschlungen, der möge die letzten zehn
Seiten dieses Büchleins lesen. Handke schreibt über den Dezember, in dem
er diesen Text schrieb, in einer »ziemlich menschenleeren Gegend in
Frankreich«. Geht durch die Nässe, von früh bis spät bilden einzig
Wolken den Horizont, er singt ein Lied auf die Gummstiefel, es ist, als
ob selbst »der Regen stiefelte«. Wie er so grandios innig und leichthin
Landschaft beschreibt, und Tiere, das birgt eine Chance: Immer, wenn man
gerade wieder mal alles durch die schmutzige Brille der Gewohnheit
sieht, könnte man plötzlich einer Stimmung gewahr sein, könnte auf einen
Anruf aufmerksam werden, den man vielleicht noch nicht ganz begreift,
dem man aber sofort folgt, indem man die Gleichgültigkeit für ein paar
Atemzüge überwindet - eine Freude vielleicht um einen Gran vermehrt
fühlend, einen Schmerz um eine Schwingung heftiger empfindend.
Solcherart
sind die Wirkungen von Handke-Wellen. Der zum Schluss den wahren Grund
seiner Stillort-Obsession offenbart. Es ist gar nicht so sehr die Stille
an sich, nein, sie muss eingebettet sein zwischen Abschied (von der
Welt) und neuerlichem Willkommen (in der Welt). Es treibt den Dichter
dieser immer wieder Notdurft werdende, also notwendige Übergang zur
Stille - bei dem ihm dann Sprache zurückkehrt. Zurückkehrt wie ein
Staunen, es »nimmt mich entgegen«. Und derart gestärkt dann wieder
hinaus!
So
zürnte sich vor Jahren, im Theaterstück »Untertagblues«, der
U-Bahnfahrgast durch die Stationen der Welt, tobend gegen die arge,
gehasste Mitmenschenschaft - um am Ende flehend zu ihr zurückkehren zu
wollen. Bloß weg - um dann wieder heimzukehren. Der Hass erzählt von -
Sehnsucht nach Liebe. Die Einsamkeit ist die Schwester der -
Weltumarmung.
Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp Verlag Berlin. 110 S., geb., Leinen, 17,95 Euro
Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. Suhrkamp Verlag Berlin. 110 S., geb., Leinen, 17,95 Euro
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Mo 22.10.2012
Buch
Peter Handke: "Versuch über den stillen Ort"
In seinem neuen Buch fokussiert Handke seine Poetik auf das Klosett als Ort der Abgeschlossenheit, des Rückzugs
Bewertung:
Der "Stille Ort", um den es Peter Handke in seinem neuesten Buch geht, ist tatsächlich das stille Örtchen: das Klosett. Mit fast siebzig Jahren lässt sich der in Frankreich lebende österreichische Autor noch einmal durch den Kopf gehen, was die (groß geschriebenen) Stillen Orte in seinem Leben bedeutet haben und immer noch bedeuten. Er abstrahiert alle naheliegenden Assoziationen der Notdurft, der Gerüche und der notdürftigen Sprüche an den Wänden; die sich aufdrängenden Gedanken an Unflat und Schmutz, Heimlichkeit und Scham lässt er gar nicht erst aufkommen, weil es ihm um Anderes geht. Seine Klosetts sind reine Räume der Stille, des Rückzugs, der Abgeschlossenheit und Abgeschiedenheit, des Zu-sich-Kommens – Asyl-Orte vor dem Welt- und Menschenlärm.
In seinem Versuch über den Stillen Ort mischt Handke Erinnerung, Selbstbeobachtung, Lektüre und essayistische Nachdenklichkeit beim Umkreisen seines Themas – und der französische Begriff "Essai" meint ja nichts anderes als einen "Versuch". Insofern führt der neue Essay wie selbstverständlich Handkes frühere Versuche fort – seine Trilogie der Versuche von 1989/90: über die Müdigkeit, über die Jukebox und über den geglückten Tag. Mit dieser Trilogie sah Handke bewusst ab vom Weltgetöse, das die Umbrüche und Umstürze des epochalen Exzess-Jahres 1989 begleitete, indem er seine ganze in sich gekehrte Aufmerksamkeit auf das Unscheinbare und Nebensächliche richtete, auf das Periphere und Marginale, auch auf verschwindende Dinge wie eben die Jukebox.
Nichts anderes tut Handke auch mit diesem neuen Text. Er ruft sich die Stillen Orte wieder ins Gedächtnis, die für ihn Bedeutung gewannen. Es geht ihm um die episodische Nacherzählung der Stillen Orte seines Lebens, um Geschichten und Bilder, die in seiner Erinnerung wieder aufsteigen. Das beginnt mit dem bäuerlichen Plumps-Klo seiner Kindheit im Hause seines Großvaters in Kärnten, einem hölzernen Abort, in dem die zerschnipselte slowenische Wochenzeitung des Großvaters als Toilette-Papier diente. Im geistlichen Internat dann wurde das Klosett dem grüblerischen und einzelgängerische Zögling wirklich zum Asyl-Ort, zum Zufluchtsraum, anders als der Beichtstuhl, den er Heranwachsende meist nur aufsuchte, um sich aus der Langeweile der Messfeier wegzustehlen.
Handke erinnert sich an die Nacht, die er auf seiner missglückten einsamen Abitur-Reise in der Kabine einer Bahnhofs-Toilette einer Kärntner Kleinstadt verbrachte, "in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt", mit seinem Seesack als Nackenpolster auf dem gekachelten Boden. Zum leichten Nachtwind, der durch die Sommernacht strich, denkt er sich den "Geißblattduft" hinzu, "wie das Südstaaten-und-Mississippi-Geißblattt in den Büchern William Faulkners". Erst viel später sollte Handke diese Nacht in verwandelter Form in seine Erzählungen Die Hornissen undDie Wiederholung aufnehmen.
Und er erinnert sich vor allem an die Toilette im Tempelbezirk von Nara in Japan, die ihn begeisterte wegen des klaren, schimmernden Düsterlichts, das die feingemaserte kleine Holzkabine durchwirkte. Handke schreibt: "Seit dem Morgen in der Tempelgartentoilette von Nara begleitet mich der Stille Ort, über das Ding und den Platz hinaus, als Idee." Diesen Ort gelte es zu umfahren oder zu umkurven wie ein Vorgebirge, und das Boot sei in diesem Fall "die Sprache, die des umkreisenden oder umreißenden Erzählens". Und genau dies wäre die Definition des essayistischen Erzählens, wie Handke es hier in souveräner Gelassenheit vorführt: eine ihren Gegenstand, ihre "Idee", sanft umkreisende Sprachform.
Im Verlaufe von Handkes betrachtenden Erinnerungen erfährt der Stille Ort als "Zuflucht, Versteck, Rückzugsgebiet, Abschirmung oder Einsiedelei" auch mancherlei Verwandlungen und Weiterungen. Der Autor übt sich in mannigfachen Rückzugs-Strategien, die keineswegs nur auf den Abort beschränkt bleiben. Manchmal genügt ihm schon "ein Innehalten, ein Umkehren, ein Rückwärtsgehen, ein bloßes Atemanhalten", um sich das Welt-Getöse vom Leibe zu halten. Auch leere Kirchen oder Friedhöfe in ihrer Lärmabgeschirmtheit erfüllen diese Funktion. Dass auch das Lesen ein Stiller Ort ist, nennt Handke "fast eine Binsenweisheit".
Worum es ihm geht, ist der Stille Ort als "das Grundandere", über das er sich hier aufs Neue Klarheit zu verschaffen versucht. Und darum dreht sich Handkes Schreiben seit jeher: Es geht um Techniken der Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung, mittels derer sich die Sinne schärfen lassen für die Stille hinter dem Allerweltsradau. Diese Poetik des "Grundanderen" durchwirkt Handkes gesamtes Œuvre. Diesmal allerdings fokussiert er sie eben auf das Klosett als Ort der Abgeschlossenheit, in dem das Verriegeln der Tür in eins geht mit einem großen Aufatmen: "Endlich allein!"
Handke fragt sich nun ernstlich, ob dieser Rückzugs-Impuls, dieses "wortlos brüske Aufstehen und Sichentfernen", vielleicht Ausdruck von "Gesellschaftswiderwillen, von Geselligkeitsüberdruss" sei, gar "ein antisozialer Akt?" Und er kommt zu dem Bekenntnis: "Ja, das war, und ist, zeitweise unabstreitbar der Fall." Und doch sieht er sich als Gesellschaftswesen: Erst kraft Rückzug in die Stille findet er zurück zur Sprache, zur Kommunikation mit den anderen: "Das Grölen, Gellen, Toben und Kreischen draußen: verwandelt in Volksgemurmel und Weltgeräusch. Los, auf, zurück zu den anderen, vielsilbig, voll von der Redelust."
In seinem Versuch über den Stillen Ort mischt Handke Erinnerung, Selbstbeobachtung, Lektüre und essayistische Nachdenklichkeit beim Umkreisen seines Themas – und der französische Begriff "Essai" meint ja nichts anderes als einen "Versuch". Insofern führt der neue Essay wie selbstverständlich Handkes frühere Versuche fort – seine Trilogie der Versuche von 1989/90: über die Müdigkeit, über die Jukebox und über den geglückten Tag. Mit dieser Trilogie sah Handke bewusst ab vom Weltgetöse, das die Umbrüche und Umstürze des epochalen Exzess-Jahres 1989 begleitete, indem er seine ganze in sich gekehrte Aufmerksamkeit auf das Unscheinbare und Nebensächliche richtete, auf das Periphere und Marginale, auch auf verschwindende Dinge wie eben die Jukebox.
Nichts anderes tut Handke auch mit diesem neuen Text. Er ruft sich die Stillen Orte wieder ins Gedächtnis, die für ihn Bedeutung gewannen. Es geht ihm um die episodische Nacherzählung der Stillen Orte seines Lebens, um Geschichten und Bilder, die in seiner Erinnerung wieder aufsteigen. Das beginnt mit dem bäuerlichen Plumps-Klo seiner Kindheit im Hause seines Großvaters in Kärnten, einem hölzernen Abort, in dem die zerschnipselte slowenische Wochenzeitung des Großvaters als Toilette-Papier diente. Im geistlichen Internat dann wurde das Klosett dem grüblerischen und einzelgängerische Zögling wirklich zum Asyl-Ort, zum Zufluchtsraum, anders als der Beichtstuhl, den er Heranwachsende meist nur aufsuchte, um sich aus der Langeweile der Messfeier wegzustehlen.
Handke erinnert sich an die Nacht, die er auf seiner missglückten einsamen Abitur-Reise in der Kabine einer Bahnhofs-Toilette einer Kärntner Kleinstadt verbrachte, "in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt", mit seinem Seesack als Nackenpolster auf dem gekachelten Boden. Zum leichten Nachtwind, der durch die Sommernacht strich, denkt er sich den "Geißblattduft" hinzu, "wie das Südstaaten-und-Mississippi-Geißblattt in den Büchern William Faulkners". Erst viel später sollte Handke diese Nacht in verwandelter Form in seine Erzählungen Die Hornissen undDie Wiederholung aufnehmen.
Und er erinnert sich vor allem an die Toilette im Tempelbezirk von Nara in Japan, die ihn begeisterte wegen des klaren, schimmernden Düsterlichts, das die feingemaserte kleine Holzkabine durchwirkte. Handke schreibt: "Seit dem Morgen in der Tempelgartentoilette von Nara begleitet mich der Stille Ort, über das Ding und den Platz hinaus, als Idee." Diesen Ort gelte es zu umfahren oder zu umkurven wie ein Vorgebirge, und das Boot sei in diesem Fall "die Sprache, die des umkreisenden oder umreißenden Erzählens". Und genau dies wäre die Definition des essayistischen Erzählens, wie Handke es hier in souveräner Gelassenheit vorführt: eine ihren Gegenstand, ihre "Idee", sanft umkreisende Sprachform.
Im Verlaufe von Handkes betrachtenden Erinnerungen erfährt der Stille Ort als "Zuflucht, Versteck, Rückzugsgebiet, Abschirmung oder Einsiedelei" auch mancherlei Verwandlungen und Weiterungen. Der Autor übt sich in mannigfachen Rückzugs-Strategien, die keineswegs nur auf den Abort beschränkt bleiben. Manchmal genügt ihm schon "ein Innehalten, ein Umkehren, ein Rückwärtsgehen, ein bloßes Atemanhalten", um sich das Welt-Getöse vom Leibe zu halten. Auch leere Kirchen oder Friedhöfe in ihrer Lärmabgeschirmtheit erfüllen diese Funktion. Dass auch das Lesen ein Stiller Ort ist, nennt Handke "fast eine Binsenweisheit".
Worum es ihm geht, ist der Stille Ort als "das Grundandere", über das er sich hier aufs Neue Klarheit zu verschaffen versucht. Und darum dreht sich Handkes Schreiben seit jeher: Es geht um Techniken der Selbstbesinnung und Selbstvergewisserung, mittels derer sich die Sinne schärfen lassen für die Stille hinter dem Allerweltsradau. Diese Poetik des "Grundanderen" durchwirkt Handkes gesamtes Œuvre. Diesmal allerdings fokussiert er sie eben auf das Klosett als Ort der Abgeschlossenheit, in dem das Verriegeln der Tür in eins geht mit einem großen Aufatmen: "Endlich allein!"
Handke fragt sich nun ernstlich, ob dieser Rückzugs-Impuls, dieses "wortlos brüske Aufstehen und Sichentfernen", vielleicht Ausdruck von "Gesellschaftswiderwillen, von Geselligkeitsüberdruss" sei, gar "ein antisozialer Akt?" Und er kommt zu dem Bekenntnis: "Ja, das war, und ist, zeitweise unabstreitbar der Fall." Und doch sieht er sich als Gesellschaftswesen: Erst kraft Rückzug in die Stille findet er zurück zur Sprache, zur Kommunikation mit den anderen: "Das Grölen, Gellen, Toben und Kreischen draußen: verwandelt in Volksgemurmel und Weltgeräusch. Los, auf, zurück zu den anderen, vielsilbig, voll von der Redelust."
Sigrid Löffler, kulturradio
http://www.kulturradio.de/rezensionen/buch/2012/peter_handke_versuch.html
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DüsseldorfHandke bedichtet stilles Örtchen
Düsseldorf (RP). Die große
literarische Geste des Peter Handke ist wahrscheinlich der
Versuch: das bewusste Herantasten an einen Gegenstand also,
die Weigerung, zu behaupten, dass etwas so und nicht anders
ist, sowie eine Grundskepsis gegenüber der Sprache. Letzteres
wiederum zählt literaturgeschichtlich mittlerweise schon zur
österreichischen Folklore.
Und so hat der 1944 in Kärnten geborene,
seit vielen Jahren bei Paris lebende Dichter bereits drei
solcher Versuche unternommen: mit dem "Versuch über die
Müdigkeit", über die Jukebox sowie über den geglückten Tag. Über
20 Jahre ist das schon her. Und nun Handkes nächster Versuch,
einer über den sogenannten stillen Ort.
Wer aber bei einem der feinsinnigsten, zur
Esoterik neigenden und den Schmerzen zuneigenden Dichter
deutschsprachiger Literatur sich jetzt irgendetwas Überhöhtes
vorstellt, muss enttäuscht werden: Peter Handke geht es diesmal
tatsächlich ums Klo, den Abort, den Donnerbalken, die
öffentliche Bedürfnisanstalt, je nachdem halt, wo und zu welcher
Zeit sich die Besichtigung dieser Lokalität gerade ereignet.
Allerdings muss man bei Handke auch nicht
befürchten, dass es nun irgendwie unappetitlich wird. Aber auch
eine ästhetische Überinszenierung bleibt aus. Vielmehr ist
dieser Versuch eine rührende wie selbstredend sprachmächtige
Begegnungsgeschichte des Autors mit dieser Stätte der Notdurft.
Dazu gehört, wie er zu Beginn seiner
Internatszeit verzweifelt und vergeblich ein Klo sucht, wie die
Toilette für den Einzelgänger zum Asylort wird, bedrückend auch
die Schilderung der einsamen Reise des jungen Abiturienten, der
in einer Bahnhofstoilette übernachtet und dort fast ein Büßer
wird: gekrümmt auf dem harten Steinboden liegend, den Kopf auf
den Seesack gebettet und "vor Augen nichts als das Spiegelweiß
des Klosettsockels". Das Klo als Versteck, als Einsiedelei, als
Rückzugsgebiet und – in der weihevollen Tonlage Peter Handkes –
als "etwas Grundanderes".
Das ist ja die Leistung des Österreichers,
bekannten Dingen Neues, Ungeahntes abzuringen. Wie tief die Ruhe
plötzlich wird, wenn Handke die japanische Tempeltoilette von
Nara würdigt, oder wie er die "konzentrierte Geometrie" der
Klosetts betont und deren Raum- und Zeitferne preist. Und wer
wusste schon, dass die letzte Arbeit des Architekten
Friedensreich Hundertwasser eine Toilette auf Neuseeland war?
Zur Häme bietet der Essay dennoch keinen
Anlass; die stillen Orte sind nicht des "Dichters
Feuchtgebiete". Sein Hohes Lied auf den schmutzigen und
ekelhaften Raum gilt allein der Sprache. Schon am Anfang rühmt
Handke den ausgiebigen Kloverbleib, "um nichts mehr zu hören von
dem Gerede".
In dieser Welt verstummt Handke, wird
sprachlos, einsilbig. Und ausgerechnet am stillen Ort – abseits
von "Volksgemurmel" und "Weltgeräusch" – beginnt seine Sprach-
und Wörterquelle wieder zu sprudeln. Das muss man nicht allzu
wörtlich nehmen. Nur dies: dass Handke als Dichter nur in
rigoroser Weltabkehr existieren kann. Darum ist dieser Essay
auch kein Klo-Buch, sondern eine intensive, literarische
Selbstauskunft. "Der Versuch über den Stillen Ort" ist ein
Versuch über Peter Handke.
Info Peter Handke: "Versuch über den
Stillen Ort". Suhrkamp Verlag, 109 Seiten, 17,95 Euro
http://nachrichten.rp-online.de/kultur/handke-bedichtet-stilles-oertchen-1.3050332
http://nachrichten.rp-online.de/kultur/handke-bedichtet-stilles-oertchen-1.3050332
Quelle:
RP
http://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article109809659/Am-stillen-Ort-der-Stille.html
Am stillen Ort der Stille
Jenseits der Latrinenkunde und des Lärms der Zeit: Peter Handkes Gedanken und Einsichten über die Einsiedelei Von Ulrich Weinzierl
http://www.literatur-blog.at/2012/10/peter-handke-versuch-uber-den-stillen-ort/
Eines man spürt man von Anfang an, mit jeder Zeile: Handke breitet seine Gedanken in einer wunderbar melodiösen, harmonischen, anmutigen Sprache aus. Und er zerlegt dabei viele Details in ihre Elemente und nimmt dann in den allermeisten Fällen das schönste Teilchen davon und betrachtet es genauer. Lässt die weniger gut beschreibbaren Aspekte weg.
Das kündigt sich ja bereits im Titel an: “Stiller Ort” ist eben weit sanfter, sauberer, freundlicher, als es “Toilette” oder gar “Klosett” jemals sein könnten.
Die oft mehrfach ineinander verwobenen Texte erfordern dabei die volle Aufmerksamkeit, will man den Gedanken, der vielleicht auf der vorherigen Seite begonnen hat sich auszubreiten, bis zu seinem Ende mitverfolgen. Welches vielleicht erst auf der nächsten Seite, zum Abschluss eines einziges Gedanken-Satzes, kommen wird.....
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Handkes "stille Orte" stinken nicht (an Gestank hat er "keine Erinnerung"), und sie haben auch nicht die ihnen sonst üblicherweise zugeschriebene Funktion. Sie sind "Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete, Abschirmungen, Einsiedeleien", ein "Ab-Ort" und noch viel mehr. Bei seiner ersten Reise übernachtet er, als ihm das Geld für die Jugendherberge ausgeht, am Bahnhofsklo "in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt". Als Student pflegt er seine Haare in Waschmuscheln der Uni-Toiletteanlagen zu waschen.
Das klingt zwar alles ein wenig schräg, der bekannte hohe Erzählton des Dichters adelt aber gleichsam den sonst tabuisierten Ort.
"Die Birnen vom Scheißhausbaum"
8. Oktober 2012, 17:54
- foto: ap/latzPeter Handke im Jahr 2008.
Peter Handke brilliert und amüsiert mit seinem "Versuch über den Stillen Ort"
Berlin/Wien - Selbst bei Suhrkamp hat man nicht mehr geglaubt, dass den binnen zweier Jahre entstandenenVersuchen ein weiterer folgen könnte: Gleich mehrfach wurden jene über die Müdigkeit (1989), die Jukebox (1990) und den geglückten Tag (1991) unter dem Titel Die drei Versuche in einem Band veröffentlicht.
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Aber nun, zwei Jahrzehnte später, hat Peter Handke, der Schelm, die Trilogie zur Tetralogie erweitert: mit einem amüsanten, kurzweiligen Versuch über den Stillen Ort. Gemeint ist allerdings nicht so sehr der Ort der Stille, über den der Autor immer wieder sinniert, sondern das stille Örtchen.
Handke, ein gewissenhafter Rechercheur, beschäftigte sich als Vorbereitung eingehend mit der Kulturgeschichte der Toilette. Sein Versuch ist aber eher eine Art Autobiografie: Der Autor erzählt sein Leben recht chronologisch anhand prägender Toilettenerlebnisse nach. Und weil wohl jeder Erwachsene ähnliche Erfahrungen machen musste oder durfte, fällt es fast leicht, sich mit dem Schriftsteller, der am 6. Dezember 70 Jahre wird, zu identifizieren.
Die Geschichte beginnt mit dem Plumpsklo seines Großvaters Gregor Siutz in Griffen: Der senkrechte Schacht "vom Sitzloch hinab Richtung Misthaufen" erschien dem Kind ungewöhnlich lang. Das Spezielle jenes Ortes aber war das Licht, das durch das Holz des Verschlags schimmerte. Von "Gestank" weiß Handke nichts zu berichten, ihm fällt aber eine örtliche Anekdote ein: dass ein Kind dem Pfarrer im Auftrag der Eltern Birnen brachte - "Birnen vom Scheißhausbaum", wie es sagte.
Bekanntlich besuchte Handke ab 1954 auf eigenen Wunsch das Marianum in Maria Saal; am ersten Tag wagte er es nicht, nach der Toilette zu fragen: Er machte sich im Speisesaal, nachdem der Präfekt den Segen gesprochen hatte, in die Hose. Starr saß er bei Tisch. Und dann flüchtete er "zu der entlegensten und verstecktesten Toilette" im Internat: "Erstmals war ich es, war es meine Person, um die es ging an dem Stillen Ort." Die Toilette begann "Fluchtraum" und "Asylort" zu werden.
Mit Leichtigkeit erzählt Handke, wie er, erstmals allein unterwegs, in Spittal eine Nacht in der Bahnhofstoilette verbrachte: Obwohl er die Eintrittsgebühr (einen Schilling) entrichtet hatte, empfand er sich als "Illegaler", der kein Recht hatte, hier zu liegen.
1961 ging Handke nach Graz, um Jus zu studieren. Als Untermieter fand er die Tür zum Badezimmer oft verschlossen: In der Not wusch er sich mitunter die Haare auf der Fakultätstoilette. Eines Doppelgängers ansichtig, bemerkte er, dass er gar nicht so "einzelgängerisch und außenseiterisch" war, wie er geglaubt hatte. Und Mitte der 1960er-Jahre wurde er zum Popstar der Literatur, Handke begann zu reisen: Wäre der Versuch über den Stillen Ort ein Film, dann wäre die Sequenz jener Jahre rhythmisiert "von Blicken durch noch und noch Zugtoilettenlöcher hinab auf noch und noch Schienenstränge".
Die Idee vom Stillen Ort, der weit mehr ist als nur Zuflucht und Rückzugsgebiet ("Endlich allein!"), kam Handke Anfang der 1980er-Jahre in Japan - in der Tempelgartentoilette von Nara. Hier nun stößt man wieder auf das Programm, das Handke in der Langsamen Heimkehr (1979) und in Die Lehre der Sainte-Victoire (1980) entwickelt hat. Er stellt fest, dass er am Klo zum "Raumvermesser" wird, wie sein damaliges Alter Ego, Valentin Sorger, einer war. Und im Dämmerschimmer jener Toilette von Nara verwandelte er sich "flugs in jemand Sorglosen". Ihm kam der faustische Wunsch nach Dauer. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 9.10.2012)
Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort. 18,46 Euro / 110 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2012
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Aborte des Lebens
12.10.2012 | 18:36 | Von Klaus Kastberger (Die Presse)
In seinem „Versuch über den Stillen Ort“ beschäftigt sich Peter Handke
mit seinen ganz besonderen Rückzugsräumen: den Klosetts.
Und nähert sich dabei zugleich dem Schreiben selbst. )
mit seinen ganz besonderen Rückzugsräumen: den Klosetts.
Und nähert sich dabei zugleich dem Schreiben selbst. )
Um
gleich die eine Frage zu klären: Ja, bei dem Stillen Ort, um den es in
diesem Buch geht, handelt es sich um das Klosett. Der Versuch, den Peter
Handke dazu unternimmt, fokussiert auf jenen groß geschriebenen Stillen
Ort sogar hauptsächlich, auch wenn uns der Text – da und dort – auch
noch andere stille Orte bietet. An einer Stelle fällt für den Stillen
Ort der derbe Begriff. Warum, so fragt sich der Schreibende, fällt ihm
gerade jetzt, da er vom Abort im Haus des Großvaters (einem gezimmerten
Brett mit Blick auf den Misthaufen) spricht, eine Anekdote ein, die
seine Mutter erzählt hat. Ihr zufolge soll einstmals ein Kind dem
Dorfgeistlichen einen Korb wunderschön geformter Früchte übergeben haben
mit der Bemerkung: „Herr Pfarrer, ich soll Sie grüßen von meinen Eltern
mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!“
Der
Ironie entschlägt sich der Autor ganz. Nur einmal versucht er es kurz
damit, kommt aber rasch zum Schluss, dass die Ironie, zumindest im
Schriftlichen, nicht seine Sache sei. Den Einbettungen, die das Thema
hat, und den Gefahren, die es bietet, entgeht Handke durch eine
besondere Ernsthaftigkeit des Schreibens. Am Stillen Ort steht quasi
seine Reputation als Schriftsteller auf dem Spiel. Das ist kein geringer
Einsatz und verleiht dem Versuch von vornherein Stärke und Kraft.
Gerade
auch im Sinn der Abweichung vom Gängigen setzt der „Versuch über den
Stillen Ort“ die drei früheren Versuche des Autors fort, jenen über die
„Müdigkeit“, den über die „Jukebox“ und den über den „geglückten Tag“.
Diese Texte sind 1989/90 entstanden, den großen europäischen Umwälzungen
jener Jahre setzten sie eine besondere Hinwendung zum Peripherien,
Entlegenen und Unbeachtet-Gebliebenen entgegen. Frappant ist die
Begeisterung für Dinge, die gerade im Entschwinden begriffen oder schon
lange verschwunden sind.
Der
„Versuch über den Stillen Ort“ bietet zunächst eine Bestandsaufnahme
jener Stillen Orte, die im Leben des Autor von Bedeutung waren. Aber
schon dabei kommt es weniger auf eine Beschreibung der konkreten
Örtlichkeiten an, sondern auf eine Darlegung der Ideen, die sich bis
heute mit ihnen verbinden. Was Handke in seinem Buch zunächst erzählt,
ist tatsächlich die Geschichte seiner Klosetts. An die frühkindlichen
Phasen in Berlin kann er sich nicht mehr erinnern, in Griffen dann lag
auf dem Klo die slowenische Zeitung des Großvaters. Ein wichtiger
Zufluchtsort war die Toilette im Internat. Höchst eindrücklich und ohne
jegliche Scham schildert der Autor seinen ersten Tag an jenem Ort. Beim
langen Sitzen im Saal habe er sich angemacht, bei den Mitschülern war er
von da an unten durch, das Klo dann ein Ort der Befreiung.
In
Handkes Werk bereits eingegangen (nämlich in die Bücher „Die Hornissen“
und „Die Wiederholung“) ist die Bahnhofstoilette in Spittal an der
Drau. Dort hat der Heranwachsende einst mit seinem Seesack eine ganze
Nacht verbracht, um gleich am nächsten Tag, nach Abbruch der geplanten
großen Fahrt, ins Elternhaus zurückzukehren. Anschließend dann die Zeit
in Graz, widergespiegelt in einer Toilette an der Uni, in der der Autor
seine Haare zu waschen pflegte und dabei einmal mit einem seiner
Professoren eine erzählenswerte Begegnung hatte. Mit der Engführung von
Lebensgeschichte und Abort ist an diesem Punkt allerdings Schluss. Nicht
eine Enzyklopädie der Stillen Orte, sondern eine Erzählung darüber legt
Handke vor, wobei er auch die Methoden und Hilfsmittel beschreibt,
deren er sich in der Entstehung des Textes bedient hat. Jahrzehntelang
schon habe ihn das Projekt verfolgt, von zahlreichen Toiletten überall
auf der Welt habe er Fotos gemacht, kulturgeschichtliche Abhandlungen
gelesen und Freunde und Bekannte befragt.
Dies
alles half ihm beim Schreiben nicht weiter. Präzise wie noch in keinem
seiner Versuche beschreibt Handke die zugrunde liegende literarische
Form. Seit dem gut 20 Jahre zurückliegenden Besuch einer
Tempelgartentoilette im japanischen Nara, die in sich nichts als reine
Geometrie war, habe ihn der Stille Ort „über das Ding und den Platz
hinaus, als Idee“ verfolgt. Seitdem sei der Plan, darüber zu schreiben,
für ihn zu einer Art „Vorwurf“ oder, wie Handke sagt, „ins
Altgriechische übersetzt“, zu einer Art „Vorgebirge“ geworden, das im
Schreiben zu umkurven sei, wobei das gedachte Schiff in diesem
Zusammenhang die Sprache selbst verkörpert als die eines ständig
umkreisenden oder umreißenden Erzählens.
Die
Definition, die Handke hier gibt und die seinen Versuch in allen
Details bestimmt, entspricht ziemlich exakt jener Antwort, die Theodor
W. Adorno auf die Frage gegeben hat, wie denn ein Denken und Darstellen
auszusehen hätte, das den Gegenstand seiner Begierde sanft umkreist und
mit ihm kokettiert, anstatt ihn methodisch und begrifflich zu
exekutieren oder etwa auch vor ihm in Anbetung zu erstarren. Der Essay
in seiner abendländischen Tradition sei jene Form, die genau das vermag,
und einen glänzenden Essay genau in diesem Sinn hat Handke geschrieben.
Der Stille Ort in ihm ist letztlich ein erzählerisch konstruierter Ort,
denn nur in der Art und Weise, in der Handke von ihm erzählt, gewinnt
er Form und Kontur.
Am
Ende des Versuchs wird klar, um was für einen Ort es sich handelt. Es
ist ein Ort der Abgeschiedenheit und des Rückzugs, den ein jeder
jederzeit aufzusuchen vermag mit dem einfachen Satz: „Ich muss schnell
mal raus!“ Nicht um die Herstellung von Weltabgeschiedenheit geht es
dabei, sondern darum, dass vom Stillen Ort Wege auch wieder in die Welt
zurückführen. Eingepasst in eine Welt neuer Medien, die heute überallhin
reichen, ist der Stille Ort gerade auch ein Ort der klassischen Medien
von Handschrift und Buch.
Geschrieben
an einem speziell abgeschiedenen Ort in Frankreich (der kleinen
Gemeinde Marquemont im Vexin) zu einer speziellen Zeit (den vermeintlich
dunkelsten Wochen des Jahres im Dezember) und in einer speziellen Form
(Bleistift), wird für den Schreibenden das Schreiben selbst zu jenem
Stillen Ort, an dem er sich versucht. Über den realen Toiletten seines
Lebens errichtet er so einen imaginären Raum, der in sich eine
unerbittliche Verteidigung des Lesens und Schreibens ist. Niemand muss
mit diesem wunderbaren Buch aufs Häusl gehen, um das zu verstehen. ■
Man macht viel durch
Jedenfalls präsent in Frankfurt ist Peter Handke mit seinem neuen Buch, und er wird damit wohl alle überraschen. Nach drei "Versuchen" ("Über die Müdigkeit"/1989, "Über die Jukebox"/1990, "Über den geglückten Tag"/1991) nun also ein "Versuch über den Stillen Ort". Und es ist, was der Titel verspricht: eine Gedankensammlung über Toilettenerlebnisse. Das Plumpsklo des Großvaters Gregor mit dem "Sitzloch hinab Richtung Misthaufen", geschenkte "Birnen vom Scheißhausbaum". Eine volle Hose am ersten Tag im Maria Saaler Internat samt schamvollem Asyl am "Ab-Ort" . . . Ja, ein Mensch macht im übertragenen wie im eigentlichen Sinn viel durch. Die Berichte über Örtchen der Hochnotpeinlichkeit werden durch Handkes Erinnerungsschärfe, seinen hohen Erzählton und auch seine Ironie zur unpeinlichen philosophischen Klolektüre.
Wohin Peter Handke vor Lob und Hudel zu seinem bevorstehenden 70er am 6. Dezember flüchten wird, wissen wir nicht. Das Grazer Literaturhaus etwa böte guten WC-Schutz. Dort hat man jedenfalls vor, den Dichter ab 30. November mit einer Fotoausstellung von Lilian Birnbaum über sein Sandsteinhaus in Chaville südwestlich von Paris zu ehren sowie mit einer Lesung, in der Martin Ku?ej und dessen Frau Sophie von Kessel das Gewicht von Handkes Welt messen werden.
Peter Handke. Versuch über den Stillen Ort, Suhrkamp, 109 Seiten, 17,95 Euro.
http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/3138164/birnen-vom-scheisshausbaum.story
Peter Handke: Viele Worte zum stillen Ort
Schriftsteller schreibt kurz vor seinem 70. Geburtstag über die Toilette als Asylort.
Düsseldorf. An Peter Handke kommt dieses Jahr keiner vorbei. Nicht mal in Düsseldorf. Mag man da auch seit der peinlichen Posse um den Heinrich-Heine-Preis nicht mehr gern an ihn erinnert werden – 2006 sollte ihm die Auszeichnung erst zu–, dann wieder abgesprochen werden, weil er eine Rede am Grab von Serbenführer Slobodan Milosevic gehalten hatte. Am Ende verzichtete Handke auf den Preis.
Am 6. Dezember steht sein 70. Geburtstag an. Gleich drei Bücher erscheinen im Vorfeld. Bevor Anfang November sein „Notizbuch Nr. 4“ und „Der Briefwechsel“ mit Siegfried Unseld herauskommt, hat er gerade „Versuch über den Stillen Ort“ veröffentlicht.
Der Schriftsteller legt sich in der Bahn regelmäßig mit der Polizei an
Seit 1990 lebt Handke im französischen Chaville. Ein stiller Ort, wie man meinen möchte. Ab und an fährt er mit der Vorortbahn ins nahe Paris und bekommt dabei, wie er im Interview unlängst erzählte, schon mal Ärger mit der Polizei, weil er seine Füße aufs Polster (und auf eine Zeitung) legt. Zweimal habe er deswegen Strafe zahlen müssen. Als ob die nichts Besseres zu tun hätten. „Ich geh da sofort auf hundert hinauf!“ Ein Beamter zog sogar die Pistole. „Da ist viel Frustration bei diesen jungen Typen.“
So kennen wir Handke. So lieben wir Handke. Auch im aktuellen Buch, mit dem er an die „Versuchs“-Reihe der Jahre 1989 bis 1991 („Versuch über die Müdigkeit“, „Versuch über die Jukebox“, „Versuch über den geglückten Tag“) anknüpft, gibt sich der Österreicher provokant. Ist mit dem stillen Ort doch nicht Chaville gemeint, sondern der Stille Ort – ja, wirklich die Toilette!
„Nicht wenige Bücher habe ich gelesen, viele Photos habe ich betrachtet als Vorarbeit für diesen Versuch über den Stillen Ort. Aber kaum etwas davon hat in diesem seinen Platz gefunden.“ Es geht wie so oft bei Handke monomanisch um ihn selbst. Weil „Literatur nur dann verbindlich wird“, wie er einmal sagte, „wenn sie in die äußerste Tiefe des ICH hineingeht“.
Das Örtchen bot immer wieder Zuflucht für ganz verschiedene Nöte
Er erzählt vom Örtchen des Großvaters in Kärnten, auf dem das Klopapier aus slowenischen Zeitungen gerissen war. Wie er sich als Junge am ersten Tag im Internat in die Hosen machte und auf eine abgelegene Toilette flüchtete. Oder Jahre später „in einer Art Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“ die Nacht auf dem Bahnhof von Spittal an der Drau verbracht hat, nachdem er mit Seesack von daheim losmarschiert war.
Weit über seine Schulzeit hinaus sei ihm das Klo zu einem „Asylort“ geworden. Der Gang auf den Stillen Ort zu einem „antisozialen Akt“. Ein „Ausdruck, wenn nicht von Gesellschaftsflucht, so doch von Gesellschaftswiderwillen, von Geselligkeitsüberdruss“.
Den eigenen Schädigungen spürt er mit unerreichter Leichtigkeit nach
Noch heute entziehe er sich so den Menschen. „Einsilbig geworden durch die Worte wie Wörter der andern, von ihnen zum Schweigen gebracht – angeödet – verödet.“ Später sei ihm das Lesen zum stillen Ort geworden.
Jeder, der mit Menschen zu tun hat, weiß, was gemeint ist. Die Leichtigkeit aber, mit der Peter Handke den eigenen Beschädigungen nachspürt, ist unerreicht. Schon in seinen jüngsten Texten ließ der Mann, der von sich selbst immer behauptet, er könne nicht lustig sein, eine eigene Art der Ironie aufblitzen. Und dennoch geht es bei diesem Autor immer um alles. Den Ernst des Lebens. Existenzielle Erfahrungen. Und natürlich ums Schreiben. Die bald 70 Lenze merkt man seinen Texten nicht an. Seine Sprache ist modern, schön, direkt. Wer sie mal laut vorliest, weiß, wie sehr sie klingt. Es ist immer wieder ein Genuss, Handke zu lesen. Sogar bei diesen sehr privaten Erfahrungen.
stante pede -- stehenden Fusses?
ReplyDeletemeaning, in the context of doing something an Ort und Stelle, doing something without moving on?