https://handkeonline.onb.ac.at/node/2555
"Schon indem ich, vor wievielen Jahren nun?, mich absonderte und beiseiteging, um zu schreiben, habe ich meine Niederlage als Gesellschaftsmensch einbekannt; habe ich mich ausgeschlossen von den andern auf Lebenszeit. Mag ich auch bis zum Ende hier unterm Volk sitzen, begrüßt, umarmt, eingeweiht in seine Geheimnisse – ich werde doch nie dazugehören."
Von einem Dezember-Nachmittag handelt die 1987 von Peter Handke veröffentlichte Erzählung. Die Arbeit am Schreibtisch ist für diesen Tag beendet, sie wird erst am nächsten Vormittag fortgesetzt: eine Zwischenzeit also. In ihr ereignet sich nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches (immerhin, der erste Schnee des Jahres fällt). Aber gerade dieses noch nicht durch Bedeutungen Verstellte ist es, dem der Schriftsteller auf dem Gang von seinem Schreibtisch in die Stadt, von deren Zentrum zu deren Peripherie und auf dem Nachhauseweg seine Aufmerksamkeit widmet.
http://www.suhrkamp.de/buecher/nachmittag_eines_schriftstellers-peter_handke_38168.html
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ALSO SEE http://handke--revista-of-reviews.blogspot.com/2011/12/afternoon-of-writer-nachmittag-eines.html
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NACHMITTAG EINES SCHRIFTSTELLERS - NOTIZBUCH, 1986
... Werkbezüge Nachmittag eines Schriftstellers - Notizbuch, 1986 ...NACHMITTAG EINES SCHRIFTSTELLERS - NOTIZBUCH, 1986
Nachmittag eines Schriftstellers (ab 1. Mai?) (Bl. I) ... Erzählung Die Wiederholung und seinen Notaten fürNachmittag eines Schriftstellers auch die Entwurfs- und Korrekturnotizen zum ... (kp) Nachmittag eines Schriftstellers - Notizbuch, 1986 ...NACHMITTAG EINES SCHRIFTSTELLERS (LETZTE TEXTFASSUNG), TYPOSKRIPT 2-ZEILIG, 71 BLATT, OHNE DATUM
... Nachmittag eines Schriftstellers ... Bei dieser vermutlich letzten Fassung von Peters HandkesNachmittag eines Schriftstellers handelt es sich um ein zweizeilig getipptes ...NACHMITTAG EINES SCHRIFTSTELLERS - NOTIZBUCH, 1986
... Werkbezüge Nachmittag eines Schriftstellers - Notizbuch, 1986 ... Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): "Nachmittag eines Schriftstellers" ...
http://handkeonline.onb.ac.at/search/node/nachmittag
Handke zu lesen erfordert die unbedingte Einlassung auf eine rigorose Langsamkeit und Bedachtheit. Kein Wort, kein Satzzeichen steht einfach nur so da, sondern wurde sorgfältig ausgewählt und gesetzt. Jedem Satz spürt man das Ringen um die Richtigkeit an, die Selbstzweifel und die Überwindung, ihn für die Ewigkeit stehen zu lassen. Seine Texte beschreiben nicht die Wirklichkeitswelt im Sinne einer Illustration, vielmehr werden durch die Sprache Bilder beschworen, die die Realität beim Leseprozess erfahrbar machen. Das klingt alles furchtbar anstrengend und das ist es sicherlich teilweise auch, aber in seinen besten Werken wird man dafür mit intensiv erlebten Einsichten belohnt – sofern man ihm zustimmt. Ich bin mir nicht sicher, ob Nachmittag eines Schriftstellers zu seinen besten Büchern gezählt werden sollte. Mit Sicherheit ist es allerdings sein privatestes und intimstes Buch.
http://schwarzaufweiss.online/handke-peter-nachmittag-eines-schriftstellers/
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Nun muß, um wieder auf Handkes Erzählung „Nachmittag eines Schriftstellers“ zurückzukommen, dreierlei betont werden: Sie beginnt mit keinem ohnmächtigen, sondern einem, sagen wir ruhig, glücklichen Schriftsteller („Jedes Wort, das, nicht gesprochen, sondern als Schrift, das andere ergab, schloß ihn neu an die Welt .. .“). Sie vollzieht sich allerdings in stillschweigendem Protest gegen die Erwartung, irgend etwas könnte des Erzählens nicht wert sein und das „nicht Besondere“ wäre auch schon das schlichtweg Langweilige. Sie könnte aber – drittens – mit dem Nachmittag nicht einen Atemzug vorankommen, wenn für sie so etwas wie „Freizeit“ oder „Feierabend“ eines Autors überhaupt vorstellbar wäre.
https://www.zeit.de/1987/16/der-nachmittagskuenstler/komplettansicht
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Eine auffällige Eigenschaft der deutschen Gegenwartsliteratur ist ihre Selbstbezüglichkeit: Probleme des Schreibens werden zum Gegenstand des Erzählens, Schriftsteller zu Zentralfiguren, Verweise, Paraphrasen und Zitate aus anderen Werken zum intertextuellen Stilprinzip. Peter Handkes Erzählung „Nachmittag eines Schriftstellers“ (Suhrkamp st 1668; Erstausgabe 1987, 9,– DM) ist nicht nur einer der Höhepunkte dieser Tendenz, sondern auch der schönste Beweis dafür, daß solche Selbstbezüglichkeit kein literarisches Krisensymptom sein muß. In Handkes unpathetischem Selbstportrait verbirgt sich gleichwohl Kritik an einer um sich selbst rotierenden Beschäftigung mit Literatur, vor allem mit dem Literaturbetreb.
Here a link to the entire text in Spanish:
http://scholar.googleusercontent.com/scholar?q=cache:27qvXtU5IbgJ:scholar.google.com/+handke+peter&hl=en&as_sdt=0,48
Von einem Dezember-Nachmittag handelt die 1987 von Peter Handke veröffentlichte Erzählung. Die Arbeit am Schreibtisch ist für diesen Tag beendet, sie wird erst am nächsten Vormittag fortgesetzt: eine Zwischenzeit also. In ihr ereignet sich nichts Besonderes, nichts Außergewöhnliches (immerhin, der erste Schnee des Jahres fällt). Aber gerade dieses noch nicht durch Bedeutungen Verstellte ist es, dem der Schriftsteller auf dem Gang von seinem Schreibtisch in die Stadt, von deren Zentrum zu deren Peripherie und auf dem Nachhauseweg seine Aufmerksamkeit widmet.
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Dichter in der Fußgängerzone
Von Lüdke, Martin
Da geht einer, der seine tägliche Arbeit getan hat, an einem
Freitagnachmittag, Anfang Dezember, aus seinem Haus hoch oben am Berg
hinunter in die Stadt, durch die belebten Gassen der Fußgängenone
hindurch, an all den Leuten vorbei, die schwerbepackt, hastig, hechelnd
ihre Weihnachtseinkäufe nach Hause schleppen. Er aber geht nur durch die
Innenstadt hindurch und durch die äußeren Stadtbezirke, die Häuser
rücken auseinander, erste Lagerhallen da und dort, Tankstellen, die
Landschaft öffnet sich vor seinen Augen. Er bemerkt die spätherbstliche
Färbung der Wiesen und Felder, der Bäume und Sträucher, die feinen
Grauabstufungen ihrer Zweige. Er geht ziellos, doch dann, schreibt er:
"Mit dem Plan eines Weges kam jetzt die Freude am Unterwegssein."
Das neue Buch von Peter Handke, "Nachmittag eines Schriftstellers", ist ein Bericht, schlicht, ehrlich, unprätentiös. _(Peter Handke: "Nachmittag eines ) _(Schriftstellers". Residenz-Verlag. ) _(Salzburg; 96 Seiten; 24 Mark. )
Eine Art Werkstattbericht fast, wobei der "Schriftsteller" allerdings seine Werkstatt mit sich herumschleppt. Handke erzählt hier von seinem Schreiben und von dem Preis, den er dafür zahlt, von seinem Leben, also dem, was bleibt, nach den Phasen intensiver Arbeit: das bißchen Müßiggang, das Schlendern durch die Stadt und ihre Umgebung. Die zweckfreie Wahrnehmung noch der alltäglichsten Dinge, unscheinbare Kleinigkeiten, wie sie zuweilen am Wegrand liegen und so, irgendwann, doch ins Schreiben einwandern. Das, was ist, soll - so begreift er Schreiben und Existenz - zu seinem Recht kommen. Ein nobles Ziel.
Der "Schriftsteller", schon im Gehen, "auf der Schwelle", wird noch deutlicher: Er wendet sich noch einmal zurück - "nach dem Schreibtisch, der ihm für einen Augenblick als ein Ort der Gerechtigkeit" erschien. Potzteufel, mag mancher Mitbürger denken, welch große Worte. Deshalb sollte man sie genau lesen. Immerhin heißt es: "für einen Augenblick". Handke weiß also offenbar, daß die Versöhnung, die er - schreibend - erstrebt, "Schein" bleiben muß, der allenfalls im Geschriebenen erstrahlt, auch wenn er auf seine Existenz zumindest zurückwirkt.
Sicher: kein gewöhnliches Leben. So ist in dem ganzen Buch auch nur von dem "Schriftsteller" die Rede. Das wirkt hochgestochen. Nun versichert Handke aber, daß er früher diese Bezeichnung "höchstens ironisch oder verlegen gebrauchte". Also: Es muß sich hier etwas verändert haben. Nicht unbedingt seine Haltung zum Schreiben oder seine "Furcht vor dem Stocken, dem Nichtweiter-Können", sondern eher, durchs Schreiben bedingt, seine Haltung zum Leben. Er bringt es selbst auf eine knappe Formel: "Also nicht: ''Ich als Schriftsteller'', vielmehr: ''Der Schriftsteller als ich"''. Ein Rollenspiel zunächst. "Schreiben", sagt Handke (in seinen auf weite Strecken lesenswerten Gesprächen mit Herbert Gamper, _(Peter Handke: "Aber ich lebe nur von den ) _(Zwischenräumen. Ein Gespräch, geführt ) _(von Herbert Gamper". Amman Verlag, ) _(Zürich; 274 Seiten; 30 Mark. )
sei für einen Schriftsteller "mit dem Leben eigentlich identisch".
Handke nimmt also seine Rolle nicht nur ernst. Er versucht, sie zu verkörpern. Seine Notizbücher, vom "Gewicht der Welt" über die "Geschichte des Bleistifts" bis hin zu den "Phantasien der Wiederholung", die seit Jahren seine eigentliche Arbeit, das Erzählen, begleiten, bestätigen diesen Befund. Er ergibt sich auch, überdeutlich, aus dem "Nachmittag eines Schriftstellers". Hier wird eine Haltung ausgestellt.
Da kommt es denn auch knüppeldick. Von Sanftmut und Güte, von Gerechtigkeit und Demut sogar, von hehren, lauteren Werten ist zu sprechen, die Handke aus einer Tradition von Literatur bezieht, der er sich, nach wie vor, verpflichtet sieht. Diese Haltung liefert sich ungeschützt dem Hohn der Mitbürger, draußen im Lande, aus. Ein billiges Vergnügen. Einer ist halt immer der Dumme. Allerdings handelt es sich hier, das wird häufig und gerne übersehen, um eine ästhetische Haltung, die sich (deshalb) nicht unmittelbar auf Gesellschaft bezieht. Sondern: auf das "Phantasieren in Gestaltfolgen", auf den "sanften Übergang" zwischen den Sätzen, auf "die Form des Erzählens". Erzählen, sagt Handke in den Gesprächen mit Gamper, "heißt ja immer Entwerfen einer menschenwürdigen Welt".
Der eilige Zeitgenosse, gut genug konditioniert, vermißt hier natürlich die Realität. Zu Recht. Seine zugerichtete Wirklichkeit wird sich in Handkes Erzählung kaum finden lassen. Realität schon. Und zwar: in den Brüchen dieser Haltung. In dem Jähzorn und der blinden Wut, in überraschenden Aggressionsschüben. Aus früheren Büchern kennen Handkes Leser das: da waren die unerwarteten Ausbrüche in der "Kindergeschichte" oder der gezielte Mord im "Chinesen des Schmerzes". An solchen Stellen geht es mit Handke durch, dort bricht, fast unvermittelt, Realität ein in seine "Gegenwelt". Dort wird sichtbar, wie schwierig es ist, diese Haltung durchzuhalten, im Leben wie im Schreiben.
Erst einmal ist es, wie mir scheint, Handke gelungen, die extremen Spannungen seiner (schreibenden/geschriebenen) Existenz ästhetisch befriedigend zu integrieren, in der großen, ja großartigen Erzählung "Die Wiederholung", die letztes Jahr, im Herbst, erschienen ist.
Diese Erzählung, eine doppelte Bewegung, nach vorn und zurück, vergegenwärtigt (s)eine Kindheit und führt zugleich, aus der Gegenwart heraus, zurück in das Land der slowenischen Vorfahren. Die Wiederholung wird auch zur Wiederholung. Der Erzähler folgt den Spuren seines verschollenen Bruders, eines Widerstandskämpfers.
Er folgt dabei auch der Spur einer unterdrückten Sprache. Die Wiederholung führt ihn zurück auf den magischen
Grund dieser Sprache: Die Wörter werden wieder als Zauberwörter, die sie in der Kindheit waren, erinnert, und ihr Zusammenhang schafft, aufs neue und anders, den Raum zurück, der mit der Kindheit verloren schien. Gegenwart und Geschichte werden so reflektiert und gebrochen. Die andauernde Unterdrückung des slowenischen Volkes, das niemals Nation war, Leiden und Aufbegehren, Mythos und Gegenwart, Natur- und Lebensgeschichte sind ineinander verflochten. Und damit auch: der anarchische Grundimpuls seines Schreibens, die blanke Wut und die Demut gegenüber Menschen und Dingen.
Der "Nachmittag eines Schriftstellers" ist nur ein kleines Nachspiel dazu. Es läßt sich auch als Kommentar zur "Wiederholung" lesen. Als eine Beschreibung und Begründung der Existenz dieses Schriftstellers. "Im Zeichen der Erzählung habe ich angefangen! Weitertun. Sein lassen. Gelten lassen. Darstellen. Überliefern. Weiter den flüchtigsten der Stoffe bearbeiten, deinen Atem; dessen Handwerker sein."
Wahrlich ein bescheidenes und zugleich großes Programm. Eine kleine Erzählung, die von nichts (fast nichts) handelt und (beinahe) von allem, von der Furcht des Autors, seine Sprache zu verlieren, von dem, was er den "Haß auf die Landschaftsmaler" nennt, von den Feldern und Wiesen, den Farben und Formen und immer wieder von dem Gefühl, das im (nachgestellten) Motto seinen Ausdruck findet: "... es ist alles da, und ich bin nichts" (Goethe, Tasso). Demut reizt. Das ist wahr. Wer sich (absichtlich) klein macht, bedarf einiger Größe.
Peter
Handke: "Nachmittag eines Schriftstellers". Residenz-Verlag. Salzburg;
96 Seiten; 24 Mark. Peter Handke: "Aber ich lebe nur von den
Zwischenräumen. Ein Gespräch, geführt von Herbert Gamper". Amman Verlag,
Zürich; 274 Seiten; 30 Mark.
Das neue Buch von Peter Handke, "Nachmittag eines Schriftstellers", ist ein Bericht, schlicht, ehrlich, unprätentiös. _(Peter Handke: "Nachmittag eines ) _(Schriftstellers". Residenz-Verlag. ) _(Salzburg; 96 Seiten; 24 Mark. )
Eine Art Werkstattbericht fast, wobei der "Schriftsteller" allerdings seine Werkstatt mit sich herumschleppt. Handke erzählt hier von seinem Schreiben und von dem Preis, den er dafür zahlt, von seinem Leben, also dem, was bleibt, nach den Phasen intensiver Arbeit: das bißchen Müßiggang, das Schlendern durch die Stadt und ihre Umgebung. Die zweckfreie Wahrnehmung noch der alltäglichsten Dinge, unscheinbare Kleinigkeiten, wie sie zuweilen am Wegrand liegen und so, irgendwann, doch ins Schreiben einwandern. Das, was ist, soll - so begreift er Schreiben und Existenz - zu seinem Recht kommen. Ein nobles Ziel.
Der "Schriftsteller", schon im Gehen, "auf der Schwelle", wird noch deutlicher: Er wendet sich noch einmal zurück - "nach dem Schreibtisch, der ihm für einen Augenblick als ein Ort der Gerechtigkeit" erschien. Potzteufel, mag mancher Mitbürger denken, welch große Worte. Deshalb sollte man sie genau lesen. Immerhin heißt es: "für einen Augenblick". Handke weiß also offenbar, daß die Versöhnung, die er - schreibend - erstrebt, "Schein" bleiben muß, der allenfalls im Geschriebenen erstrahlt, auch wenn er auf seine Existenz zumindest zurückwirkt.
Sicher: kein gewöhnliches Leben. So ist in dem ganzen Buch auch nur von dem "Schriftsteller" die Rede. Das wirkt hochgestochen. Nun versichert Handke aber, daß er früher diese Bezeichnung "höchstens ironisch oder verlegen gebrauchte". Also: Es muß sich hier etwas verändert haben. Nicht unbedingt seine Haltung zum Schreiben oder seine "Furcht vor dem Stocken, dem Nichtweiter-Können", sondern eher, durchs Schreiben bedingt, seine Haltung zum Leben. Er bringt es selbst auf eine knappe Formel: "Also nicht: ''Ich als Schriftsteller'', vielmehr: ''Der Schriftsteller als ich"''. Ein Rollenspiel zunächst. "Schreiben", sagt Handke (in seinen auf weite Strecken lesenswerten Gesprächen mit Herbert Gamper, _(Peter Handke: "Aber ich lebe nur von den ) _(Zwischenräumen. Ein Gespräch, geführt ) _(von Herbert Gamper". Amman Verlag, ) _(Zürich; 274 Seiten; 30 Mark. )
sei für einen Schriftsteller "mit dem Leben eigentlich identisch".
Handke nimmt also seine Rolle nicht nur ernst. Er versucht, sie zu verkörpern. Seine Notizbücher, vom "Gewicht der Welt" über die "Geschichte des Bleistifts" bis hin zu den "Phantasien der Wiederholung", die seit Jahren seine eigentliche Arbeit, das Erzählen, begleiten, bestätigen diesen Befund. Er ergibt sich auch, überdeutlich, aus dem "Nachmittag eines Schriftstellers". Hier wird eine Haltung ausgestellt.
Da kommt es denn auch knüppeldick. Von Sanftmut und Güte, von Gerechtigkeit und Demut sogar, von hehren, lauteren Werten ist zu sprechen, die Handke aus einer Tradition von Literatur bezieht, der er sich, nach wie vor, verpflichtet sieht. Diese Haltung liefert sich ungeschützt dem Hohn der Mitbürger, draußen im Lande, aus. Ein billiges Vergnügen. Einer ist halt immer der Dumme. Allerdings handelt es sich hier, das wird häufig und gerne übersehen, um eine ästhetische Haltung, die sich (deshalb) nicht unmittelbar auf Gesellschaft bezieht. Sondern: auf das "Phantasieren in Gestaltfolgen", auf den "sanften Übergang" zwischen den Sätzen, auf "die Form des Erzählens". Erzählen, sagt Handke in den Gesprächen mit Gamper, "heißt ja immer Entwerfen einer menschenwürdigen Welt".
Der eilige Zeitgenosse, gut genug konditioniert, vermißt hier natürlich die Realität. Zu Recht. Seine zugerichtete Wirklichkeit wird sich in Handkes Erzählung kaum finden lassen. Realität schon. Und zwar: in den Brüchen dieser Haltung. In dem Jähzorn und der blinden Wut, in überraschenden Aggressionsschüben. Aus früheren Büchern kennen Handkes Leser das: da waren die unerwarteten Ausbrüche in der "Kindergeschichte" oder der gezielte Mord im "Chinesen des Schmerzes". An solchen Stellen geht es mit Handke durch, dort bricht, fast unvermittelt, Realität ein in seine "Gegenwelt". Dort wird sichtbar, wie schwierig es ist, diese Haltung durchzuhalten, im Leben wie im Schreiben.
Erst einmal ist es, wie mir scheint, Handke gelungen, die extremen Spannungen seiner (schreibenden/geschriebenen) Existenz ästhetisch befriedigend zu integrieren, in der großen, ja großartigen Erzählung "Die Wiederholung", die letztes Jahr, im Herbst, erschienen ist.
Diese Erzählung, eine doppelte Bewegung, nach vorn und zurück, vergegenwärtigt (s)eine Kindheit und führt zugleich, aus der Gegenwart heraus, zurück in das Land der slowenischen Vorfahren. Die Wiederholung wird auch zur Wiederholung. Der Erzähler folgt den Spuren seines verschollenen Bruders, eines Widerstandskämpfers.
Er folgt dabei auch der Spur einer unterdrückten Sprache. Die Wiederholung führt ihn zurück auf den magischen
Grund dieser Sprache: Die Wörter werden wieder als Zauberwörter, die sie in der Kindheit waren, erinnert, und ihr Zusammenhang schafft, aufs neue und anders, den Raum zurück, der mit der Kindheit verloren schien. Gegenwart und Geschichte werden so reflektiert und gebrochen. Die andauernde Unterdrückung des slowenischen Volkes, das niemals Nation war, Leiden und Aufbegehren, Mythos und Gegenwart, Natur- und Lebensgeschichte sind ineinander verflochten. Und damit auch: der anarchische Grundimpuls seines Schreibens, die blanke Wut und die Demut gegenüber Menschen und Dingen.
Der "Nachmittag eines Schriftstellers" ist nur ein kleines Nachspiel dazu. Es läßt sich auch als Kommentar zur "Wiederholung" lesen. Als eine Beschreibung und Begründung der Existenz dieses Schriftstellers. "Im Zeichen der Erzählung habe ich angefangen! Weitertun. Sein lassen. Gelten lassen. Darstellen. Überliefern. Weiter den flüchtigsten der Stoffe bearbeiten, deinen Atem; dessen Handwerker sein."
Wahrlich ein bescheidenes und zugleich großes Programm. Eine kleine Erzählung, die von nichts (fast nichts) handelt und (beinahe) von allem, von der Furcht des Autors, seine Sprache zu verlieren, von dem, was er den "Haß auf die Landschaftsmaler" nennt, von den Feldern und Wiesen, den Farben und Formen und immer wieder von dem Gefühl, das im (nachgestellten) Motto seinen Ausdruck findet: "... es ist alles da, und ich bin nichts" (Goethe, Tasso). Demut reizt. Das ist wahr. Wer sich (absichtlich) klein macht, bedarf einiger Größe.
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