Peter Handke: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt
04.11.2004
Die Texte dieses Bandes haben in der Regel gemein, daß sie ein grammatisches Modell benutzen und dieses mit Sätzen, die nach ihm formuliert sind, verwirklichen. Die Sätze sind jeweils Beispiele, Satzspiele. Weil jeder Satz ein Beispiel für das Modell ist, ergibt sich jeder Text in der Regel als eine Anordnung von syntaktisch ähnlichen Sätzen, die zwar, einzeln genommen, Beschreibungen sind, durch die Reihung jedoch das Modell kenntlich machen und auf diese Weise sowohl beschreiben als auch die Beschreibung als Beispiel einer vorgefaßten sprachlichen Struktur, als Satz zeigen: Jeder Satz hat eine Geschichte. Ergebnis ist, daß die satzweise Beschreibung der Außenwelt sich zugleich als Beschreibung der Innenwelt, des Bewußtseins des Autors erweist, und umgekehrt und wieder umgekehrt.
Wenn einer seine Sprache aufschreibt und trotzdem nichts erzähltHandkes konsequente und radikal formulierte Kritik an traditionellen literarischen Formen.
Der junge Mann, der 1966 in Princeton/USA den versammelten Groß- und Hauptschriftstellern der Gruppe 47 das Wort von der „Beschreibungsliteratur“ an den Kopf war, hieß Peter Handke und kam aus Österreich. Seine Worte mischten die Wahrnehmungsebenen der Altvorderen ziemlich auf, und natürlich war er verpflichtet, seinem theoretischen Scharmützel etwas praktisches folgen zu lassen. Das tat er mit den Romanen „Die Hornissen“ und „Der Hausierer“. Konsequenter und radikaler formulierte er die Kritik an traditionellen literarischen Formen jedoch mit dem Buch „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“ (1969), in dem die „Literatur mit der Sprache gemacht wird, und nicht mit den Dingen, die mit der Sprache beschrieben werden".
Elf Texte aus diesem Buch liest Peter Handke auf einer CD in der Reihe „eloquence“ der Deutsche Grammophon Literatur. Getreu seiner Vorstellung, von der Beschreibung Abstand zu nehmen, kümmert Handke sich mehr um den Rhythmus der Wörter, um ihren Inhalt, ihren Bezug zur Realität als dass er sie zum Erzählen benutzt. Die Komplexität des Buches, das neben den Texten Fotomontagen und andere Bilder enthält, kann die Lesung nicht vermitteln. Denn Handke arbeitet auch mit visuellen Energien, die seine Texte, die wie Statements oder Schlagworte eine Schneise in das Wortgeflecht schlagen, als Bildsprache im wörtlichen Sinne anbieten. Ein Kreuzworträtsel als grafisches Objekt eignet sich nicht zum Vorlesen.
„Das Wort Zeit“ kreist um die Bedeutung des Wortes Zeit. Mit der ablaufenden Zeit, während der das Sprechen in einer einzigen „Bewegung“ verläuft, redet der Sprecher (Handke) sich in einen Sprachwirbel hinein und reduziert die Wörter auf ihr Gerüst. Der Autor nimmt sie wörtlich: „und sah / zum ersten Mal / ZUM ERSTEN MAL / den Kaffee / aus der Tasse / jäh überschwappen / auf das weiße Tischtuch / im TRANSEUROPAEXPRESS.“
Peter Handke benennt, stellt fest, dokumentiert und hält sich doch heraus aus der Struktur des Erzählens, weil er lieber hinein möchte in die Struktur der Sprache, sie förmlich von innen heraus erklären möchte, in dem er sein Denken der Sprache zur Verfügung stellt. Seine Sätze scheinen allesamt sehr, sehr harmlos, unbedeutend, von profaner Schludrigkeit. In Wirklichkeit sind es Alarmsätze, Feststellungsätze: eben Sätze aus der „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“.
Neben den in der edition suhrkamp 1969 erschienenen Textsammlung gelesenen „Gedichten“ liest Peter Handke vier kürzere Prosastücke aus dem Sammelband „Prosa Gedichte Theaterstücke Hörspiel Aufsätze“, ebenfalls aus dem Suhrkamp Verlag, die erstmals 1967 in „Die Begrüßung des Aufsichtsrates“ (Residenz Verlag) erschienen sind.
Klaus Hübner
Peter Handke: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt.
Autorenlesung auf CD.
Deutsche Grammophon Literatur 981 587-8.
ISBN 3-8291-1422-2.
Textprobe:
„Ungeachtet dessen hatte er bessere Tage gesehen. Wenn es darauf ankam, konnte er mit der flachen Hand die Zeit totschlagen. Mit der toten Zeit freilich, die dann vor ihm lag, wusste er nichts anzufagen
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