Peter Handke als LiteraturkritikerEin begnadeter Polemiker
"Begleitschreiben" nennt der Schriftsteller Peter Handke jene Texte, mit denen er literarische Arbeiten anderer Autoren bewirbt. Die Sammlung von Texten wurde im letzten Jahr unter dem Titel "Tage und Werke" veröffentlicht. Darin scheut er auch nicht die Kritik an Theodor W. Adorno und Martin Walser.
- Autor Peter Handke im Oktober 2014 in Wien. (picture alliance / dpa / Georg Hochmuth)
Peter Handke: "Vor der Baumschattenwand nachts" Radikal verknappt
Peter Handke Eine notwendige Provokation
Peter Handke Eine notwendige Provokation
Bereits der sehr junge, gerade einmal 22 Jahre alt gewordene Peter Handke wusste um die Aporien der Literaturkritik. In einem Beitrag für die sogenannte "Bücherecke" im Radio Steiermark schrieb der junge Dichter als Rezensent:
"Die Literaturkritik wertet, für die Bewertung aber besteht in der Sprache nur ein begrenzter Vorrat an Worten; dieser Vorrat schießt automatisch in die Gedanken, wenn die Sprache des zu beurteilenden Textes beurteilt werden soll: das ist es, was die Literaturkritik oft zu einem leeren Geschäft macht."
Es ist mutig, dergleichen in einer Kritik zu schreiben; der Autor beißt ja gewissermaßen die Hand, die ihn füttert. Gleichwohl weiß jeder, der mit dem Schreiben von Kritiken zu tun hat, dass Handke nicht ganz daneben liegt. Er fährt dann ein wenig begütigend fort:
"Indes ist dieses Übel der Literaturkritik ein natürliches, und somit kein Übel; es ist die Natur der Kritik, zu bewerten; die Bewertungsworte aber sind von Natur aus abstrakt, das heißt, sie tragen in sich keinen Begriff von dem, was sie bezeichnen; (…) was ihnen trotzdem zu einer Wirkung verhilft, ist die Gewöhnung des Zuhörers; es geschieht nämlich, dass auf die Nennung des automatisch gesagten Wortes, etwa die Sprache sei dicht, in dem Zuhörer ebenso von selber eine Wertvorstellung von dem Kritisierten entsteht. Im eigenen Lesen wird dann der leere Hinweis, die Sprache sei dicht, sozusagen mit Begreifen gefüllt."
Strenges Urteil über Adorno und Walser
Zwei Jahre lang hat Handke ungefähr einmal im Monat eine Sammelrezension verfasst, die bisweilen ein halbes Dutzend Titel umfasste. Interessant sind diese Aufsätze, die den 100 Seiten umfassenden Schlussteil von "Tage und Werke" bilden, aus mehreren Gründen. Zum einen zeigen sie einen äußerst selbstbewussten oder, besser gesagt, seiner Sache sicheren Autor, der in diesen Sekundärtexten bereits deutlich seinen eigenen durchgeformten und klaren Stil ausbildet – man beachte die parataktische Reihung im gehörten Zitat und vergleiche sie etwa mit der späteren "Publikumsbeschimpfung". Zum anderen handelt es sich bei den besprochenen Werken in der Regel nicht um Eintagsfliegen, sondern um Titel, die noch heute im Umlauf sind – oft stammen sie aus der Bibliothek oder edition Suhrkamp. Und Handke urteilt streng, egal ob es sich bei den Verfassern um Theodor W. Adorno oder um Martin Walser handelt. Adornos Essay "Jargon der Eigentlichkeit", der Martin Heidegger aufs Korn nimmt, wird regelrecht verrissen. Hören Sie mal hinein:
"Soweit Adorno nun selber bei der Sache bleibt und über die Sprache des falschen Bewusstseins bramarbasiert, ist es ein Vergnügen, ihm zu folgen; jedoch wenn er im späteren Verlauf mit Heidegger selber anbindet und dessen Jargon gebraucht, schlägt das Unterfangen ihm übel aus; er verstrickt sich heillos in den Wirrwarr der Heideggerschen Terminologie und wird ungenau; seine sprachliche Methode (…) reicht an die Sache nicht mehr heran, wird krampfhaft und stumpft zusehends ab; die Worte werden schartig und schneiden nicht mehr; Jargon streitet wider Jargon (…)."
Die Walser-Rezension vom 5. Juli 1965 wiederum beginnt mit dem fast schon vernichtenden Satz:
"Martin Walser ist unter den jüngeren deutschen Autoren in seinem Metier der geschäftigste."
Experimenteller Sprachforscher
Es versteht sich, dass darauf nur noch ein Verriss folgen kann – es geht um den Essayband "Erfahrungen und Leseerfahrungen". Aber der junge Handke verreißt nicht aus Freude am Verreißen. Ein begnadeter Polemiker steckte von Anfang an in ihm, das zeigt sich auch hier, doch seine Argumente sind genau, und wenn er lobt, was oft geschieht, dann lobt er sorgfältig und mit Freude am Loben. Der Essay über die Korrespondenz zwischen dem in der DDR ansässigen Poeten Carlfriedrich Claus und dem westdeutschen Lyriker Franz Mon, der das Herzstück des Bandes bildet, trägt den Titel "Eine Ideal-Konkurrenz". Der Begriff, aus der Wirtschaft entlehnt, bezeichnet eine "reine und vollkommene Konkurrenz". Bei einer Wirtschaftskonkurrenz, erst recht wenn sie eine ideale ist, muss es einen Profit geben, und so auch hier. Handke beschreibt ihn. Sein Sensorium für die Valenz von Wörtern ist legendär – von Wörtern, die er nicht selten methodisch in einen anderen Kontext versetzt und überdies auf ihre Brauchbarkeit, ja einfach auf ihre Schönheit hin – vielleicht könnte man sagen: auf ihre praktische Schönheit hin – überprüft, ob es sich um ausgefallene oder fast schon aussterbende Wörter handelt wie das Wort "Saumseligkeit" oder um ganz alltägliche und allzu oft gebrauchte. Insofern ist Handke bis heute seinen Anfängen als experimenteller Sprachforscher treu geblieben, obwohl seine Poetik sich natürlich im Lauf der Zeit stark gewandelt hat und heute viel erzählerischer ist.
Und auch: viel ernster. Die Ironie spielt eine sehr untergeordnete Rolle bei Handke; hier weiß er sich seinem erklärten Idol Goethe verpflichtet. Einmal heißt es in Klammern: "Ein Wortspiel pro Text ist erlaubt." So eine Anmerkung klingt scherzhaft und ist doch zugleich auch ernst gemeint. Die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees für den schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer kommentiert Handke so:
"Tranströmer ist ein sehr nobler Mensch, aber zur Noblesse gehört auch eine gewisse Schalkhaftigkeit. Dieses Spielerische ist es wohl, das ihn zum Schreiben bringt, aber er lässt nicht zu, dass es in seinen Gedichten mitwirkt."
Ablehnung des Heinrich-Heine Preises
Angesichts dessen überrascht es vielleicht, dass Handke ausgerechnet in einer sehr ernsten Angelegenheit, nämlich der Verleihung bzw. Nicht-Verleihung des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Preises 2006, einen schalkhaften Ton anschlägt. Aber hier handelt es sich eben nicht um Dichtung, sondern eher um das, was einen zum Schreiben bringt, das reale Leben. In einem Brief an den inzwischen verstorbenen Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin heißt es:
"Ich schreibe Ihnen heute, um Ihnen (und der Welt) die Sitzung des Düsseldorfer Stadtrats (heißt das so?) zu ersparen, womit der Preis an mich für nichtig erklärt werden soll, zu ersparen auch meiner Person, nein, eher dem durch die Öffentlichkeit (?) geisternden Phantom meiner Person, und insbesondere zu ersparen meinem Werk oder meinetwegen Zeug (…) Ich bitte Sie – so das in Ihrer Macht steht -, die Sitzung oder Veranstaltung auf den Nimmerleinstag zu verschieben und statt dessen die Stadträte an die frische Luft zu entlassen, z.B. zu einem Picknick an den Rhein."
Das klingt denn auch ein wenig gewollt schalkhaft, es klingt – was die gespielten Unsicherheiten in der Wortwahl und die eingestreuten Fragezeichen verraten – nicht so souverän, wie es klingen soll. Und das ist ja letztlich auch nicht verwunderlich. "Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen", lautet der Titel der Dankesrede zum Ibsen-Preis, den Handke nicht zurückgeben musste. Im Brief an den Oberbürgermeister ist das Gegenteil der Fall, hier redet der Autor ausnahmsweise in umständlichen Parataxen, und es handelt sich offenbar nicht um Erschöpfung, auch nicht um moralische Erschöpfung, sondern um Verärgerung oder um mühsam unterdrückten, um camouflierten Zorn.
Peter Handke: Tage und Werke. Begleitschreiben. Suhrkamp, 288 S., 22,95 €.
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Peter Handke: Verknüpfen und Unverknüpftlassen HANS HÖLLER 1. Jänner 2100, 01:00 posten Über das Entziffern der Welt in Werken der Kunst: Kommenden Freitag wird im Burgtheater aus Peter Handkes Textsammlung "Tage und Werke" gelesen Wo immer man zu lesen anfängt in diesem Buch vom Lesen, es ergeben sich sofort vielfältige höchst persönliche und doch uns alle angehende Verbindungen. Handke schreibt zum Beispiel über Valentin Hausers Buch Greutschach. Ein Bergdorf erzählt, und sofort stellen sich Erinnerungen ein zur Herkunftswelt des Autors – und zu unser aller Kindheit, auch in dem Sinn, dass man etwas nie kennengelernt hat und sich doch daran erinnern kann. Genauso lässt Handke in einem anderen "Begleitschreiben" eine andere Erinnerung an einen geschichtlichen Landschaftsraum aufleuchten, utopisch in den schönsten Farben. Handke erzählt dort eine "Zusammenkunft von drei Schreibern", Dimitri T. Analis, Adonis und er selber, "einer syrisch-arabisch, einer griechisch-französisch, der dritte österreichisch-slawisch, in einem libanesischen Restaurant im 15. Pariser Arrondissement, es ist das bevölkerungsreichste "und auch völkervielfältigste der ganzen Stadt." Der eine, der österreichisch-slawische Autor, hört den Gesprächen der beiden anderen zu und verspricht ihnen, wenn sie dieses Gespräch in eine Korrespondenz verwandeln, es zu übersetzen. "Gesagt, geschrieben, übersetzt (ein bisschen spät)." Und dann blendet er eine utopische Erinnerung ein, eine der vielen wunderbaren Stellen in den mehr als dreißig – die Rundfunkbeiträge für die Bücherecke in Radio Steiermark nicht mitgezählt – Erzählungen vom Lesen und vom Entziffern der Welt in den Werken der Kunst, ein Wachtraum vom malerischen Werk Picassos, der fast einzig und allein mit der Nennung von geografischen Namen auskommt: Einmal habe ihm ein Malerfreund, "inzwischen lange tot", von Picasso gesagt, in dessen Malerei "seien noch einmal sämtliche Küsten des Mittelmeers aufgeflammt, von Haifa über Aleppo, von Kappadokien über Athen und den Peloponnes, von Marseille über Barcelona und Valencia, von der Enge von Gibraltar bis Marokko, Algier, Tripolis und Alexandria." Kunst im Alltag Und Handke fügt dieser Aufzählung hinzu, dass er "im Lesen als Übersetzer" dachte, auch in der Korrespondenz zwischen Dimitri T. Analis und Adonis "leuchteten die Mittelmeergestade im Kreise noch einmal auf, wenn auch auf eine andere – zage und zugleich 'panische' Weise." "Begleitschreiben" nennt Handke die unter dem Titel Tage und Werke zusammengestellten Vor- oder Nachworte zu Büchern und die Rezensionen, Reden, Zeitungsartikel, Radiobeiträge und Betrachtungen zu Werken der bildenden Kunst. So verschieden der mediale Kontext ihres Erscheinens war und so weit die Erscheinungsjahre auseinanderliegen, diese "Begleitschreiben" sind miteinander verbunden durch verwandte, einander ergänzende Denkmotive und vor allem durch ein erzählerisches Element, welches die beschriebenen Werke im Alltag verankert, ihnen eine Geschichte gibt und freundschaftlich das persönliche Ich in den Werken mitdenkt und würdigt. Und wir als Leser werden hineingenommen in eine seltene Aufmerksamkeit für Bücher und Kunstwerke, in welcher die Idee von Literatur spürbar wird: dass nämlich Lesen und Schreiben heute eine nur umso dringender gebrauchte Form der Weltentdeckung sind, weil das Bild der Welt nur immer noch mehr von "der" Wirtschaft, "den" Militärs und "den" Medien bestimmt wird. Handkes Titelwort Tage und Werke weist als umgestelltes Zitat auf Hesiods Werke und Tage zurück, ein griechisches Lehrgedicht, um 700 vor Christi Geburt entstanden, das in seinen Hexametern das Tagwerk und die Arbeitsrhythmen des Jahres in einer kleinbäuerlichen archaischen Welt beschreibt. Sie wird unter das Gesetz und die Ethik der friedlichen kultivierenden Arbeit gestellt – eine solidarische, dörfliche Gegenwelt zur aristokratisch-heroischen Kriegskultur in den homerischen Epen. Wenn Handke in seinem Buchtitel das Wort "Tage" an den Beginn setzt, erinnert er an sein Selbstverständnis als literarischer Chronist, der er mit seinen beständig geführten Notizbüchern ja auch ist, und das Wort "Werke" lässt uns an sein mehr als 50 Jahre währendes beständiges Am-Werk-Sein denken, ein Schreiben, das von Beginn an den Zusammenhalt mit dem Alltag und mit dem Tagewerk der vielen von der Literaturwelt ausgeschlossenen Menschen sucht. Wie ein Aufschrei klingt in einem seiner Tagebücher (Das Gewicht der Welt, 12. Dezember 1978) die Frage, an die er sein Recht zum Schreiben knüpft: "Warum eigentlich sollte nicht jeder seine Meisterwerke nötig haben". Alle die bunt zusammengewürfelten "Begleitschreiben" in Tage und Werke erscheinen in ihrem Neben- und Nacheinander so zusammengehörig und genau an ihrem Platz notwendig, als gehörten das Würfeln und die Buntheit zur Kunst, so wie "Verknüpfen und Unverknüpftlassen" das Schreiben ausmachen, und letztlich auch die Lebenskunst, wenn Identität nicht zur Erstarrung führen soll. (Hans Höller, Album, 13.2.2016) Peter Handke, "Tage und Werke. Begleitschreiben." € 23,60 / 287 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2016 Hinweis: Am 19. 2. (20 Uhr) lesen Philipp Hauß, Sylvie Rohrer, Dörte Lyssewski, Peter Simonischek u. a. im Wiener Burgtheater aus dem besprochenen Band. Link Burgtheater - derstandard.at/2000030990589/Peter-Handke-Verknuepfen-und-Unverknuepftlassen
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http://www.begleitschreiben.net/peter-handke-tage-und-werke/
or
http://www.glanzundelend.de/Red15/h15/peter-handke-tage-und-werke-struck.htm
Mit »Tage und Werke« setzt der Suhrkamp-Verlag die Reihe der Aufsatzsammlungen Peter Handkes fort. Der letzte Band aus dem Jahr 2002 (»Mündliches und Schriftliches«) versammelte Texte von 1992 bis 2001; neben Aufsätzen zu Schriftstellern (unter anderem Karl-Philipp Moritz, Hermann Lenz, Georges-Arthur Goldschmidt, Josef W. Jancker oder Ralf Rothmann) auch einige über Handkes zweiter Leidenschaft neben der Literatur, dem Kino, wie etwa Elogen zu den Regisseuren Abbas Kiarostami und Danièle Huillet/Jean-Marie Straub. Mit Helmut Färber wurde sogar ein (Film-)Kritiker essayistisch gewürdigt. Der aktuelle Band versammelt nun Aufsätze, Vor- oder Nachworte, Kurztexte und Reden Handkes von 2003 bis zur Gegenwart.
ctd at BEGLEITSCHREIBEN
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Peter Handke als Leselustmacher
Mit „Tage und Werke“ hat der Autor Peter Handke ein Buch über die Bücher vorgelegt und über das Schreiben der Anderen. Mit der Sammlung an Reden, Artikeln und Vorworten offenbart er sich als literarische Wanderer und Sucher. Und als unbescheiden.
| Artikel veröffentlicht: 12. Januar 2016 19:00 Uhr | Artikel aktualisiert: 15. Januar 2016 00:29 Uhr
Der Schriftsteller Peter Handke
Quelle: APA
Leipzig. „Mein Ideal ist der Leser“, verkündete einmal der Autor Peter Handke in einem Interview und gestand, dass er, wenn er in einem Café, im Park, in der Metro, wenn er wo auch immer Menschen in ein Buch vertieft finde, jedes Mal aufs Neue schaue und zu erkunden versuche: „Könnte das der Leser sein?“
Der Leser. Im Abteil eines Vorortzuges nach Versailles ist Handke ihm schließlich begegnet. Und das in gleich dreifacher Ausführung. Denn drei junge Männer saßen da und lasen, und was sie lasen war „jeweils ein ernstes Buch – es war, Schönheit der Bücher wie der drei Leser, offenbar die alte, die ernste, die ewig neue Literatur.“
So jedenfalls beschreibt es Handke, in diesem ihm wahrlich nicht fremden Tonfall einer gesetzten Feierlichkeit und stillen Emphase, die zu entäußern man heutzutage ja erst einmal den Mut haben muss, in der Vorbemerkung zu „Tage und Werke“. Ein Buch über die Bücher und über das Schreiben der Anderen. Eine Sammlung an Reden, Artikeln und Vorworten samt jenen Kurzrezensionen, die der damals Anfang 20-jährige Handke von 1964 bis 1966 für die „Bücherecke“ des ORF-Hörfunks verfasste.
Bewundern und lieben
„Begleitschreiben“ nennt der Autor seine Texte in diesem fast 300 Seiten umfassenden Kompendium. Was wie ein (selbst)ironischer Distanzversuch zu dessen Titel lesbar sein mag, spielt der doch – und das wohl eher nicht versehentlich – auf die „Werke und Tage“ des Hesiod an. Ein Kritiker maßregelte das dann auch schon als die „Unbescheidenheit des Jahres“, wohl nicht zuletzt davon ausgehend, dass ein Verfechter, um nicht zu sagen Prediger der „Ernsthaftigkeit“ und mithin Verfasser „ernster Literatur“ wie Handke es ist, solche Parallelen eben auch nur allen Ernstes ziehen könne. Und tatsächlich offenbart sich ja Handke, wie er denkt, fühlt, liest und schreibt, dann auch in „Tage und Werke“ lieber als unbescheiden denn ironisch.
Und außerdem natürlich als genauer Beobachter, als der literarische Wanderer und Sucher, der wirklich – und das heißt hier auf geradezu ansteckende Weise – bewundern und lieben kann. Was da über den slowenischen Erzähler Florjan Lipuš oder den griechischen Lyriker Dimitri Analis, was über Rolf Dieter Brinkmann, Kito Lorenc, John Cheever oder auch den Briefwechsel zwischen Romain Roland und Stefan Zweig (zwei Schriftsteller, die man in Handkes Kosmos nicht vermutet) zu lesen ist, macht diese Texte weniger zu Begleit-, als vielmehr zu Geleit-Schreiben. Schickt einen Handke damit doch gewissermaßen in die Spur, hin zu diesen Autoren und Werken.
Und völlig gleich ist, ob man die jeweils selbst schon gelesen hat, ob man sie „kennt“ oder nicht, weil besagte Spur oft eine ist, auf der, folgt man ihr nach, sich Augen und Ohren noch einmal anders und neu öffnen. Die Kunst der Betrachtung ist bei Handke eben auch eine Kunst der Stimulans.
Handke ein Leselustmacher, wie es keinen zweiten gibt. Und der dann trotzdem, man weiß es ja, selbst „neben der Spur“ sein kann. Was nicht jene Seitenhiebe meint, die Handke auch in diesem Buch austeilt, etwa in Richtung Uwe Tellkamp oder Martin Walser. Das sind Sentenzen einer Kritik, die sprachlich knapp, rigoros, klar, treffend ist.
„Wider-Rede“ in Oslo
Doch findet sich auch Anderes. Etwa dieser Text über Barack Obama. Ein Lob- und Hoffnungssingsang befremdlichen Überschwangs. Oder, als Gegenpol, aber ebenso aus der Spur, nur jetzt eben statt ins Schwärmen in Rage geratend, Handkes Rede im Nationaltheater von Oslo. 2014 bekam der Dichter dort den Ibsen-Preis überreicht. Und das nicht ohne Gegenproteste, die noch aus den alten, wahrlich nicht verheilten Wunden des Balkankrieges schwelten. Wegen seiner proserbischen Position denunzierte eine skandierende Menge Handke als „Mörder“ und „Faschisten“, der wiederum diesen Protestlern in einer „Wider-Rede“ attestierte „Feinde des Menschlichen“ und „Handlanger des ewigen Tötens“ zu sein.
Es ist dabei nicht die Frage, ob Handkes Reaktion in dieser Form legitim ist oder nicht. Dass aber die Sprache dieses sprachbewussten und sprachsensiblen Autors strauchelt und schäumt, sobald sie sich den Sphären des Politischen nähert, mag man bezeichnend finden.
„Es ist schon so: Ich suche Streit.“ Auch das ein Geständnis des Peter Handke, zu lesen in seinen „Phantasien der Wiederholung“. Und weil das so ist, weil dieser Autor, dieser Mensch so ist, schlägt sich das auch in „Tage und Werke“ nieder. Nur ein Begleitschreiben zum Hauptwerk, ist dieses Buch zugleich (und trotzdem) ein fraglos schönes Geleit-Schreiben. Für alle wirklichen, für alle „ernsten Leser“.
Peter Handke: Tag und Werke. Suhrkamp Verlag; 287 Seiten. 22,95 Euro
Von Steffen Georgi
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Dezember 23
10:402015
http://theberlintimes.de/kultur/duesseldorf-die-diva-schwaechelt-hingeschluderte-texte-von-peter-handke/
http://www.nzz.ch/fe
http://www.nzz.ch/fe uilleton/buecher/die -grenzen-der-souvera enitaet-1.18675464
Peter Handke als Kritiker
Die Grenzen der Souveränität
Neben seinem poetischen Schreiben hat Peter Handke immer auch die Literatur- und Literaturbetriebskritik gepflegt. Seine «Begleitschreiben» zeigen ihn als nicht immer offenen und originellen Geist.
- von Leopold Federmair
- 12.1.2016, 05:30 Uhr
- 1 Kommentar
Bildnis des Autors als Rezensent: Im neuen Buch versammelt Peter Handke Texte zur Literaturkritik. (Bild: Serge Picard / VU / Keystone)
«Tage und Werke», das neue Buch von Peter Handke, versammelt Gelegenheitsschriften, die meisten davon aus den letzten zehn Jahren. Im Untertitel sind sie treffend als «Begleitschreiben» charakterisiert, wobei es sich manchmal um eine Art Geleit für Autoren und Künstler handelt, die Handke am Herzen liegen, oft aber auch um durchaus kritische, literatur- und betriebskritische Stellungnahmen.
Der auch für Peter-Handke-Kenner überraschendste und aufschlussreichste, mehr als ein Drittel ausmachende Teil wird jedoch von Beiträgen gebildet, die der «österreichisch-slawische» Autor – so die Selbstbezeichnung – als junger Mann für die «Bücherecke» von Radio Steiermark verfasste. Dieser Titel klingt provinziell, und der Radiosender war es wohl insgesamt, doch die frühen Begleitschreiben Handkes sind auf der Höhe sowohl ihrer Zeit als auch der Bücher aus aller Herren Ländern, von denen sie erzählen. Wie damals, Mitte der sechziger Jahre, als «die Grazer auszogen, die Literatur zu erobern» (so ein Buchtitel der Edition Text + Kritik), überhaupt viele überregionale Impulse von der steirischen Landeshauptstadt ausgingen.
Ein gewaltiges Programm
Die Rezensionsbündel, die Handke ablieferte, sind sämtlich mit einer Einleitung versehen, die zeigen, wie der junge Autor sich geistig den Boden bereitet für alles, was er später schaffen sollte – ein gewaltiges Programm, mehr oder minder bewusst ausgearbeitet und schrittweise verwirklicht. Aufschlussreich etwa seine Bemerkungen über modernes Theater, wo er mit grosser Souveränität die Möglichkeiten und Grenzen – ja, auch schon die Grenzen – von epischem Theater à la Brecht und Illusionsdurchbrechung auf der Bühne sondiert. Wenig später hatte er die rasch hingeschriebene «Publikumsbeschimpfung» fertig, mit der er, sekundiert von Regisseur Peymann, Furore machte.
Ebenfalls berühmt wurde seine Provokation auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton im April 1966, wo er die «Beschreibungsimpotenz» der zeitgenössischen deutschen Literatur anprangerte. Was er über die Abgrenzung vom platten Realismus hinaus, der nie seine Sache war, genau meinte, blieb und bleibt unklar, doch der herausfordernde Gestus war schon in den Beiträgen zur «Bücherecke» vorgeprägt. Er findet sich auch in späteren Schriften wieder, nicht selten in Form überzogener Strenge, als Unduldsamkeit nicht nur gegenüber dem «abgrundbösen» Suhrkamp-Gesellschafter Hans Barlach, der in dem viel zu langen, geifernden Text mit dem launigen Titel «Von HB zu HB» erledigt wird, sondern auch in Äusserungen zu jüngeren Autoren.
Betulich und automatisiert
In den «Bücherecke»-Rezensionen fordert Handke Aufmerksamkeit für Widersprüche ein, also die Bereitschaft, die andere Seite wahrzunehmen, den Bogen gespannt zu halten und Widersprüche nicht vorschnell aufzulösen. Man spürt auch, bei aller frühreifen Souveränität, Einflüsse vom Zeitgeist – so ist die weitgehende Zustimmung zu den Schriften Herbert Marcuses bemerkenswert (die Ablehnung aller Dogmatismen hingegen fast selbstverständlich).
Wenn man als geneigter Leser in der Entwicklung Handkes, die der vorliegende Band unbeabsichtigt nachzeichnet, eine wiederkehrende Stelle feststellen kann, die den Reichtum seines Werks – vielleicht notwendigerweise – einschränkt, so ist es die schwache Bereitschaft, sich anderen, nicht nur den Weggefährten, zu öffnen, sich einzufühlen in fremde Gedankenwelten und sie aus ihren Widersprüchen heraus zu verstehen, gegebenenfalls auch zu schätzen.
Die späten Begleitschreiben Handkes wirken mitunter betulich, der Fragestil, zu dem er in den neunziger Jahren fand, wie automatisiert (eine der wesentlichen schöpferischen Aufgaben war für den jungen Mann die Entautomatisierung im Sinne der russischen Formalisten), deshalb unproduktiv, und manche Äusserungen schlicht und einfach ungerecht. Handke war und ist ein Kritiker – kein Hermeneutiker, kein Verstehenskünstler. Dieses Urteil mag überraschen, es könnte aber erklären, weshalb sein Werk, so zurückhaltend und umschreibend sein Erzähler auch auftritt, doch viel öfter das Selbst als das Andere im Auge behält.
Peter Handke: Tage und Werke. Begleitschreiben. Suhr
http://www.ardmediathek.de/radio/WDR-3-Buchrezension/Tage-und-Werke-Begleitschreiben-von-P/WDR-3/Audio-Podcast?documentId=32718384&bcastId=19358026
Vor allem der Band "Tage und Werke" enttäuscht. Er enthält knapp 50 Texte. Die meisten sind in den vergangenen 15 Jahren entstanden. Reden, Kritiken, Nachworte zu Autoren und Büchern - "Begleitschreiben", wie sie im Untertitel genannt werden. Manche von ihnen in eigener Sache, wie die Auseinandersetzung um den Heine-Preis oder den Rechtsstreit im Suhrkamp Verlag. Dann gibt es da aber auch noch 13 Radiofeuilletons mit Buchtipps, die der junge Handke Mitte der 1960er Jahre für Radio Steiermark produzierte. Ein Kessel Buntes also, in dem der einzige rote Faden der Bezug zur Literatur ist.
Wüsste man es nicht besser, hätte Peter Handke nicht auch in den vergangenen Jahren hervorragende Texte geschaffen, würde man glauben, er muss als "Rest of" schon die übrig gebliebenen Krümel zusammenklauben. Den Theaterdirektor Claus Peymann, "der, wenn er telefoniert, mit gleichwem?, sich immer erst verbinden lässt", nennt Handke liebevoll einen "geisterweckenden Provokateur". Den Lyriker Tomas Tranströmer, in dessen Nominierung für den Literaturnobelpreis er eine überfällige "Entscheidung für die Dichtung und die Poesie" sieht, bezeichnet er als "Elementarschreiber". Und am westfälischen Dichter Ernst Meister bewundert er "das stetige wilde Todes- und Sterbenmüssenbewustsein".
Doch Handke wäre nicht Handke, wenn er nur lobende Worte finden würde. Die Besprechung von Friederike Mayröckers "Vogel-Greif"-Gedichten nutzt er, um dem Kollegen Uwe Tellkamp an den Karren zu fahren, der im Klappentext von einer "Sprachzauberin" spricht. Solch "falscher Posaunenstöße" bedürfe es nicht: "Wäre ich nicht schon seit längerem ein Leser Friederike Mayröckers - Lesen als Mitbuchstabieren, Entdecken, Welt- und Selbsterforschen -, hätte solch Geschwafel mich weggejagt von diesem Buch, woandershin, in den Wald, ins Kino, zu einem anderen Buch." Im selben Text kritisiert Handke die "vorgefasste, gefahrlose Methodik" in den Büchern von Herta Müller, die seiner Ansicht nach "gefälschte Literatur von A bis Z sind". Eine Lanze dagegen bricht er für Dag Solstad, Dragan Aleksiæ oder Xaver Bayer und ihre "Primärliteratur", die "unmaskiert" daherkomme.
Nicht viel besser ist das zweite in diesem Jahr erschienene Buch Handkes, ein "Notizbuch" aus dem Jahr 1978, entstanden auf einer Amerikareise, die er in "Langsame Heimkehr" verarbeitete. Wenn schon so ein Heft veröffentlichen, um die Arbeitsweise des Autors zu zeigen, wie Raimund Fellinger im editorischen Nachwort schreibt, warum dann nur in Auszügen? Weil alles andere das Format der Insel-Bücherei sprengt? Das mag nicht überzeugen. So bleibt der Eindruck, dass auch dieses Büchlein nur zusammenfasst, was vom Tagewerk übrig blieb.
Wer kein Handke-Jünger ist, kann die Finger von beiden Büchern lassen.
Info Peter Handke: "Tage und Werke. Begleitschreiben", Suhrkamp, 288 S., 22,95 Euro. Peter Handke: "Notizbuch. 31. August 1978 - 18. Oktober 1978", Insel-Bücherei Nr. 1367, 68 S., 13,95 Euro